J. Peirano: Der geheime Code der Liebe Meine Mutter hat mich mein Leben lang entwertet und manipuliert. Nun akzeptiert sie meinen Kontaktabbruch nicht

Die Manipulationen ihrer Mutter verfolgen Sabine schon ihr ganzes Leben (Symbolbild)
Die Manipulationen ihrer Mutter verfolgen Sabine schon ihr ganzes Leben (Symbolbild)
© Bildnachweis: Motortion / Getty Images
Jahrzehntelang litt Sabine unter den Vorwürfen und Schuldzuweisungen ihrer Mutter. Sie brach den Kontakt ab. Doch nun ist die Mutter wieder in ihr Leben getreten. Fängt nun alles von vorne an?

Liebe Frau Peirano,

ich, 48, habe seit ich denken kann Probleme mit meiner Mutter. Sie war sehr launisch, konnte in einem Moment freundlich sein und im nächsten beim gleichen Verhalten ohne Vorwarnung wütend werden. Sie hat mich vor Freunden blamiert, hatte immer Streit mit allen meinen festen Partnern. Sie war oft beleidigt und konnte tagelang schmollen. Ich war als Mädchen sehr verängstigt und angepasst und habe mich bemüht, nichts falsch zu machen.

Trotzdem reichten Kleinigkeiten, damit sie ausgerastet ist, mir die Schuld gab und sich dann beleidigt zurück zog. Im Endeffekt sagte mein Vater dann immer: "Was streitet ihr euch denn?" Und er befahl mir, mich zu entschuldigen.

Mein Vater war eigentlich ein sehr lieber, friedlicher, gerechter und kluger Mann. Nur er hat nicht genau hingeschaut, was meine Mutter mir alles angetan hat. Wir hatten ein gutes Verhältnis. Er ist leider vor zehn Jahren gestorben. Bezeichnenderweise ging es auch damals nur um den Schmerz meiner Mutter. Ich habe sie getröstet. Aber sie ist nie auf die Idee gekommen, dass auch ich meinen Vater verloren habe. Das Geld hat selbstverständlich sie behalten und mir nicht einmal ein (wertloses) Bild als Erinnerungsstück gegeben.

Ich hatte ein enges Verhältnis zu meiner Großmutter, mit der sie immer im Kriegszustand lebte. Sie erzählte mir sehr üble (und ich weiß mittlerweile: erlogene) Dinge über meine Großmutter und stellte mich vor die Wahl: ich oder sie. Als ich 18 war, warf sie mich aus dem Haus. Ich hatte ein Einser-Abi, war fleißig und höflich, nahm keine Drogen und ging in klassische Konzerte. Aber sie fand immer einen Grund.

Immer war ich Schuld. Sie hat sich nie entschuldigt. Sie hat mir auch nie zugehört, was mich eigentlich stört oder belastet. Ich musste mich komplett anpassen und ihr alles Recht machen, und auch das reichte nie. Zum Beispiel habe ich an IHREM Geburtstag immer unglaublich viel für sie getan: Gekocht, gebacken, musiziert, ein schönes Geschenk ausgesucht. Mein Geburtstag, auch mein 40. Geburtstag, war Anlass für einen Anruf, bei dem sie dann über sich selbst erzählt hat.

Sie hatte nie Empathie für mich. Wenn ich überlastet war, hieß es nur: "Daran bist du auch selbst Schuld." Aber wenn sie überlastet war (wie immer), musste ich volles Verständnis zeigen.

Sie hat von mir verlangt, dass ich überall die Beste war: Dass ich den besten Mann heirate, die besten Kinder habe, ein schönes Haus, einen guten Beruf, ein tolles Abitur, tolles Staatsexamen, Doktortitel, nebenbei noch ehrenamtlich tätig bin und gut musiziere (ich singe). Und das Gemeinste: Ich habe das ALLES geschafft, sogar noch mehr. Und jetzt ist sie neidisch auf mich, macht meine Erfolge klein und sich groß.

Sie behauptet, sie hätte auch immer gearbeitet. Dabei war sie Hausfrau und hat Bridge und Tennis gespielt, während ich erfolgreiche Juristin bin. Und sie hört mir nicht mehr zu, seit ich gut und professionell singe und auch mit Profi-Musikerinnen auftrete. Weder hört sie meinen Gesang an, noch interessiert sie sich dafür. Und das, obwohl sie selbst Musik liebt, und zwar die gleiche, die ich mache. Ihre Erwartung war also: Sei eine super Tochter, schaffe alles, und wenn du es geschafft hast, bis du falsch und böse, weil du mich neidisch machst.

Auf meiner Hochzeit hat SIE die Gästeliste gemacht und dafür gesorgt, dass fast alle ihrer Freunde kamen, aber nur wenige unserer Freunde ("Die kennst du doch nicht so lange"). Das heißt, mein Mann und ich waren quasi nur die Schaufensterpuppen, die geheiratet haben, damit sie den Erfolg ihren Freunden vorweisen konnte.

Sie warf mir immer vor, ich sei eine schlechte Tochter, schlechte Mutter, ein egoistischer, fieser Mensch. Sie ist die Einzige, die es so sieht. In meinem Umfeld gelte ich als emphatisch, liebevoll, verlässlich, hilfsbereit, freundlich. Lange war ich noch freundlicher, um meinen Makel wieder wett zu machen. Als ich nach Beweisen oder Beispielen für meinen angeblich schlechten Charakter fragte, wich sie aus.

Ich habe sie gefragt, ob sie mit mir eine Klärung macht. In der Sitzung (vor ca. zehn Jahren) sagte die Therapeutin, dass sie sehen könne, dass ich mein Mutter verstehen würde, aber dass meine Mutter mich nicht verstehe. Darauf brach meine Mutter die Sitzungen ab. Vor fünf Jahren eskalierte es noch einmal, sie manipulierte und erpresste mich finanziell, und ich sagte, dass wir einen Konflikt hätten und ob sie den klären wolle. Das lehnte sie ab. Sie sei über 75 und wolle nur ihre Ruhe.

Danach war sie weiter unberechenbar, respektlos und verletzend. Als ich Corona hatte, fragte sie nicht, wie es mir gehe, obwohl ich schwer krank war. Sie gratulierte meinem Mann nicht zum Geburtstag. Sie verweigerte uns, in ihr Ferienhaus zu gehen, dass sie lieber leer stehen ließ.

Ich hielt es nicht mehr aus und brach vor einem Jahr den Kontakt wortlos ob, litt eine Weile und erholte mich dann von den ständigen Angriffen. Jetzt geht es mir besser.

Nun ist sie wieder aufgetaucht und bombardiert mich mit Anrufen, verlangt Geld von mir (für die Hochzeit, die 20 Jahre zurück liegt) und will ein "liebevolles, familiäres Verhältnis". Ich merke, dass mir die Luft wegbleibt. Ich kann nicht schlafen, zittere wieder und weiß nicht, wie ich da rauskomme. Und noch etwas: Sie ist alt, und ich habe Schuldgefühle, wenn ich sie später nicht pflege, wenn sie krank und pflegebedürftig wird.

Was raten Sie mir?

Sabine T.

Liebe Sabine T.,

ich kann mir in etwa vorstellen, wie sehr Sie unter Ihrer Mutter gelitten haben. Das klingt schwer nach seelischem Missbrauch. Und obwohl ich keine Diagnosen bei Menschen stellen kann, die ich nicht persönlich gesehen und angehört habe, kann ich sagen, dass Ihre Mutter sich als ein Mensch mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung qualifiziert. Bitte prüfen Sie das selbst: Auf der Seite www.narzissmus.org werden die Merkmale von Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung detailliert beschrieben, mit dem Fokus des Verhaltens von narzisstischen Müttern gegenüber ihren Töchtern.

Es hat schon vielen meiner Patientinnen die Augen für das oft schwer zu fassende Störungsbild geöffnet und ihnen geholfen, sich von dem Missbrauch zu erholen. Am Besten gelingt das im Rahmen einer Psychotherapie.

Auf Ihre Mutter treffen die folgenden Merkmale einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu:

Sie hat Sie

  • oft entwertet
  • Ihnen die Schuld gegeben
  • sich nicht entschuldigt
  • extrem hohe Erwartungen an Sie gestellt
  • sich nicht an irgendwelche Spielregeln gehalten, sondern diese nach Lust und Laune verändert
  • Stimmungsschwankungen gehabt
  • war für Konflikte und Kompromisse nicht zu haben
  • hat die Tatsachen verdreht und Dinge erfunden, um sich in ein gutes Licht zu rücken
  • die Täter-Opfer Rolle verdreht (Du bist der Täter, ich bin das Opfer)
  • Ihren Vater dazu gebracht, dass er sie und ihre Launen in den Mittelpunkt gestellt hat und ihr Verhalten gedeckt und entschuldigt hat
  • egozentrisch und egoistisch gehandelt
  • war neidisch auf Sie und Ihre Erfolge
  • hat manipuliert, gestraft und erpresst
  • und vor allem hatte sie keinerlei Empathie für Sie und kein Interesse daran, Ihre Sichtweise zu hören.

Sie sehen, da kommt einiges an Belastungen zusammen, und ich kann gut verstehen, dass Sie nach all den Jahren an einen Punkt gekommen sind, wo Sie merken: Das ertrage ich nicht mehr. Sie haben Abstand gewonnen und Ihre Wunden verheilen lassen. Wahrscheinlich wird das noch einige Jahre in Anspruch nehmen, Sie werden oft wütend sein und es werden sicher auch viele Tränen bei Ihnen fließen. Lassen Sie das zu, hören Sie sich zu, nehmen Sie sich viel Zeit dafür.

Porträt Dr. Julia Peirano
© Kirsten Nijhof

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben. 

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Nur dadurch können Sie zu dem Menschen werden, der Sie wirklich sind und die toxischen Spuren und die hohe Anpassung an die Wünsche anderer überwinden.

Interessant - und leider aufgrund des Störungsbildes nicht wirklich verwunderlich - ist es, dass Ihre Mutter jetzt wieder auf diese manipulativen und strafende Weise Kontakt zu Ihnen aufnimmt. Eine normal emphatische Mutter würde nachfragen, warum Sie den Kontakt abgebrochen haben, ob es etwas zu klären oder zu besprechen gäbe, damit Sie wieder Kontakt haben können.

Ihre Mutter rumpelt mit einer finanziellen Forderung in Ihr Leben. Sie will Geld, sie rechnet ab (zu Ihren Ungunsten, denn ich vermute mal, es war niemals abgesprochen, dass Sie die Kosten für die Hochzeit zurück zahlen), sie stellt sich selbst in den Mittelpunkt, sie will Stress machen und Sie bestrafen. Und sie trampelt über Ihre Grenzen.

Wenn Sie noch nicht reagiert haben, würde ich Folgendes raten: Klären Sie kurz und sachlich die finanzielle Forderung (nämlich, dass es keine gibt). Schreiben Sie dann auf der Meta-Ebene: "Ich bin überrascht, dass du nicht fragst, wie es mir geht und warum ich den Kontakt abgebrochen habe. Wir hatten einen Konflikt, und du wolltest den Konflikt nicht klären. Durch den ungeklärten Konflikt ist dein Verhalten mir gegenüber respektlos, nicht verlässlich und nicht wertschätzend. Ich ertrage das nicht mehr. Bitte akzeptiere, dass ich keinen Kontakt mehr möchte."

Sie werden wahrscheinlich bemerken, dass Ihre Mutter weiterhin Streit und Diskussionen suchen wird, Sie möglicherweise im Umfeld anschwärzt und droht, wo sie nur drohen kann.

Das nennt sich "narzisstische Zufuhr". Narzissten kann man als "emotionale Vampire" sehen, die sich an den Gefühlen anderer Menschen bedienen und ständig Aufmerksamkeit brauchen (oder eine Bühne). Wenn sie keine positive Aufmerksamkeit bekommen, nehmen sie auch negative. Hauptsache, es gibt ein Drama, bei dem sie selbst sich als Opfer darstellen können. Und sie lieben es, sich an den negativen Gefühlen anderer Menschen zu weiden.

Unterbinden Sie den Kontakt am Besten komplett: Reagieren Sie nicht auf Emails, Briefe, Besuche und Anrufe. Oder schreiben/antworten Sie immer mit dem gleichen Wortlaut: "Du wolltest den Konflikt nicht klären. Ich ertrage dein Verhalten nicht mehr. Bitte akzeptiere, dass ich keinen Kontakt zu dir möchte." Jede Variation des Wortlauts wäre Wasser auf den Mühlen Ihrer Mutter.

Rechnen Sie damit, dass Ihre Mutter Ihnen jegliche Erbschaft oder Hilfeleistung (z.B. Betreuung der Kinder) entziehen wird und alles tun wird, um Sie im familiären Umfeld in ein schlechtes Licht zu rücken. Es geht dabei um ein Machtspiel. So wie eine Katze nicht umhin kann, eine Maus zu quälen, lieben narzisstische Menschen es, anderen Schmerzen zuzufügen. Doch solange etwas (z.B. Schulden, tägliche Berührungspunkte, Schuldgefühle) Sie noch an Ihre Mutter bindet, wird sie das schamlos ausnutzen, um Sie gefügig zu machen. Also sorgen Sie am Besten selbst dafür, dass Sie komplett unabhängig sind, sofern das noch nicht geschehen ist.

Der letzte Punkt ist, dass Sie sich damit anfreunden, dass Sie nach dem Missbrauch Ihre Mutter im Alter wahrscheinlich nicht betreuen können, ohne dass es toxisch für Sie wäre. Das ist vermutlich der schwerste Punkt, denn sie wurden dazu erzogen, die Wünsche Ihrer Mutter über Ihre eigenen zu stellen. Holen Sie sich hier am Besten Hilfe.

Vielleicht hilft Ihnen folgender Gedanke: Ihre Mutter war immer exzellent darin, ihre eigenen Interessen zu verfolgen und das Beste für sich heraus zu holen. Sie wird es sicher auch schaffen, dafür zu sorgen, dass sie im Alter gut betreut wird und alle für sie springen. Nur sie hat es mit Ihnen zu weit getrieben, so dass Sie auf ihre Tochter dabei verzichten muss. Schützen Sie am besten auch Ihre Kinder, damit die nicht für Sie einspringen müssen.

Herzliche Grüße

Julia Peirano

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