Liebe Frau Peirano,
ich bin seit 2011 mit einem Mann afghanischer Herkunft (meine Eltern sind auch aus Afghanistan) verheiratet, den ich zwei Jahre vorher kennenlernte. Mein Mann und ich haben einen gemeinsamen Sohn, der bald 3 wird. Die Beziehung fing bereits problematisch an, noch bevor wir heirateten. Ich weiß heute, dass wir uns keine gute Grundlage aufgebaut haben und hätte ich das Wissen von heute, würde ich ihn kein zweites Mal heiraten. Nichtsdestotrotz haben wir geheiratet. Bereits im Sommer 2012 wollte ich mich scheiden lassen, habe mich aber nicht getraut, weil ich Angst hatte, dass die Leute über mich reden werden. Außerdem wollte ich die Beziehung nicht einfach so aufgeben. Als ich dann schwanger wurde, hat sich unsere Ehe sehr positiv verändert. Von der Schwangerschaft bis hin zur Geburt und auch das erste Lebensjahr unseres Sohnes haben wir sehr glücklich miteinander verbracht.

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe
Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben.
Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.
Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.
Seit Ende 2014 haben die Probleme wieder angefangen. Mein Mann neigt zu Gewalt. Er hat mich mehrmals geschlagen. Mir ins Gesicht gespuckt, den Finger verdreht und mit Füßen auf mich eingetreten. Er bereut seine Tat jedes Mal und gibt zu, dass es falsch ist und betont immer wieder, er würde sich ändern. Ganz zu Anfang der Beziehung konnte ich damit umgehen bzw. habe es ausgehalten, was auch daran lag, dass ich sehr jung und naiv war. Ich wollte, dass die Beziehung um jeden Preis hält. Dann kamen unsere besseren Zeiten, ich glaubte daran, dass das Kind ein Segen für unsere Ehe sei. Anfangs war es auch so. Aber nun stehen wir wieder, wo wir ganz zu Anfang standen. Ich halte es einfach nicht mehr aus. Neben den Handgreiflichkeiten, die weniger geworden sind, häufen sich die Beschimpfungen und tiefste Beleidigungen mir und meiner Familie gegenüber.
Eigentlich weiß mein gesunder Menschenverstand, dass ich ihn verlassen muss. Ich bezweifle, dass er sich ändern wird. Um in Zukunft seine Gewalt und Wut nicht zu spüren zu bekommen, müsste ich stets darauf achtgeben, alles richtig zu machen. Er ist auch der Meinung, dass ich ihn provoziere und anzicke, daher sei ich die Ursache für sein Gewaltpotenzial.
Ich hoffe, dass Sie mir helfen können,
Samira
Liebe Samira,
danke für Ihr Vertrauen! Aus meiner Erfahrung ist es für Frauen, die von ihren Männern geschlagen werden, sehr schwer, darüber zu sprechen. Dass Sie diesen Schritt gewagt haben, ist sehr mutig und zeigt, dass Sie wirklich etwas verändern wollen. Aus Ihrer Beschreibung sehe ich, dass Ihr Mann nicht nur körperliche Gewalt gegen Sie ausübt, sondern auch seelische. Er beschimpft sie, beleidigt sie und redet Ihnen ein, dass Sie es verdient haben, geschlagen zu werden, weil Sie sich falsch verhalten. Ein Glück, dass Ihr gesunder Menschenverstand durchschaut hat, dass das ausgemachter Blödsinn ist. Ihr Mann ist alleine für sein Verhalten verantwortlich. Da er nur in Ausnahmesituationen Einsicht zeigt und sich dann allerdings wieder gewalttätig verhält, bin ich sehr skeptisch, dass er sich ändern könnte.
Ich verstehe voll und ganz, dass Sie es nicht mehr aushalten, von Ihrem Mann geschlagen, beschimpft und beleidigt zu werden, denn Ihr Selbstwertgefühl wird schwer beschädigt. Wer von seinem Partner geschlagen und beschimpft wird, fühlt sich klein und wertlos. Je kleiner und wertloser man sich fühlt, desto schwerer ist es, sich zu wehren oder zu trennen. Das ist fatal! Gerade im Kreise Ihrer Familie und in Ihrem Zuhause sollten Sie sich geborgen fühlen – das sollte ein sicherer Ort sein. Bei Ihnen ist es das Gegenteil: Es ist der unsicherste Ort in Ihrem Leben, weil es jederzeit zu Angriffen und Schlägen kommen kann. Das versetzt Sie in einen Zustand dauernder Alarmbereitschaft und in Stress. Sie sind ständig irritiert, weil Sie in einer nahen Beziehung mit einem Partner leben, der Ihnen schlimme Dinge antut.
Kommentare erwünscht!
Liebe Leserinnen und Leser,
Ihre Kommentare sind eine große Bereicherung für meine Beiträge – vielen Dank und bitte weiter so! Ich freue mich über Ihre eigenen Erfahrungen sowie über Ihre Gefühle und Gedanken beim Lesen der Frage. Aber bitte denken Sie daran, dass hier jemand etwas Intimes von sich preisgibt. Dazu braucht man einen geschützten Raum. Deshalb schreiben Sie bitte stets respektvoll und konstruktiv. Abwertende und gehässige Beiträge (gegen die ratsuchende Person, andere Leser oder gegen mich) werden nicht veröffentlicht, da sie den geschützten Raum gefährden.
Herzliche Grüße, Julia Peirano
Ihr gesunder Menschenverstand sagt es Ihnen bereits, dass Sie Ihren Mann verlassen müssen. Ich kann Ihnen da nur voll und ganz zustimmen. Diese Ehe ist schädlich, und Sie sollten Sie zu Ihrem eigenen Wohl, aber auch zum Wohl Ihres Kindes, beenden. Denn wie wirkt es sich auf Ihren Sohn aus, wenn er Zeuge davon wird, wie sein Vater seine Mutter schlägt? Wenn er selbst ständig in Angst und Schrecken leben muss? Es droht die Gefahr, dass sein Vater irgendwann auch ihn schlägt oder misshandelt.
Meine Frage ist nun, wie Sie es anstellen können, Ihren Mann zu verlassen. Sie brauchen auf jeden Fall Verbündete. Deshalb ist meine Frage, wer in Ihrer Familie oder in Ihrem Umfeld Ihnen glauben würde und für Sie Partei ergreifen würde? Was würden zum Beispiel Ihre Mutter, Ihr Vater oder Ihre Geschwister sagen, wenn Sie wüssten, wie Ihr Mann Sie behandelt? Haben Sie Freundinnen und Verbündete außerhalb Ihrer Familie, mit denen Sie reden können? Ebenso empfehle ich Ihnen, sich in das Thema einzulesen. Zum Beispiel "Gewalt in der Partnerschaft: Ursachen – Auswege – Hilfen" von Andrea Buskotte oder "Wenn die Seele nicht mehr leiden kann" von Rita H. Naumann.
Ein ganz wichtiger Schritt ist es, die Gewalt in Ihrer Ehe nicht mehr zu vertuschen, sondern mit Ihrem Umfeld offen darüber zu sprechen. Allerdings ist es möglich, dass Ihr Mann dadurch noch aggressiver wird und seine Wut an Ihnen auslässt. Deshalb brauchen Sie eine kompetente Beraterin, die viel Erfahrung in dem Bereich hat und mit Ihnen die wichtigen Schritte durchspricht, um sich von Ihrem Mann zu trennen und auch Ihr Kind in Sicherheit zu bringen. Eine gute Anlaufstelle sind Frauenhäuser, die es in vielen Städten gibt. Sie bieten kompetente Erfahrung an und können Ihnen helfen, die nächsten Schritte durchzusprechen. Wenn es ratsam ist, gibt es auch die Möglichkeit, mit Ihrem Kind in einem Frauenhaus zu wohnen, wo Ihr Mann Sie nicht finden und bedrohen kann. Von dort aus können Sie die nächsten Schritte planen. Der Kontakt mit anderen betroffenen Frauen wird Ihnen sicher helfen, Ihre Situation klarer einzuschätzen.
Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Mut, diesen wichtigen Schritt in eine sichere Zukunft zu gehen.
Herzliche Grüße,
Julia Peirano