Dieser Artikel erschien in der stern-Printausgabe Nr. 4 am 15. Januar 2015.
Seit ein paar Jahren schon hintergehe ich meine Frau. Ich führe ein Doppelleben. Die Versuchung war schon lange in meinem Kopf herumgespukt, doch gleich nachdem ich das erste Mal schwach geworden war, schwor ich mir: Das war das erste und letzte Mal. Natürlich kam es anders.
Inzwischen läuft die Sache einmal die Woche. Kurz vor Feierabend rufe ich dann meine Frau an. "Du, ich habe gerade eben noch einen Haufen Arbeit auf den Tisch bekommen", lüge ich. "Tut mir leid, aber heute kann es etwas später werden."
Doch statt im Büro zu hocken, gehe ich auf Jagd. Meist wird daraus ein kurzes, schmutziges Treffen in Bahnhofsnähe. Bei "Better Burger", dem besten Burger-Laden der Stadt. Den Jungs hinter der Theke muss ich nicht mehr viel erklären, ein kurzes Nicken reicht. Ein paar Minuten später sitze ich dann vor dem Traum all jener Männer, die sich noch nicht der Bio-Selbstoptimierungsdiktatur gebeugt haben: einem fetttriefenden 300-Gramm-Beefsteakhack-Genuss. Mit Käse, Chilisauce und Röstzwiebeln. Hau rein!
Ich habe dieses Doppelleben nie gewollt. Es sind familiäre Umstände, die mich dazu gezwungen haben. Denn ich, ein passionierter Fleischesser, bin in meiner sechsköpfigen Familie seit gut drei Jahren von neu erweckten Vegetariern umzingelt. Außer mir und unserem Hund Lotta essen alle nur noch Tofu, Seitan und Gemüse.
Der Wandel meiner Lieben zur fleischlosen Glaubensgemeinschaft vollzog sich ähnlich unaufgeregt und unblutig wie die Montagsdemonstration in Leipzig. Mein Sohn Lukas, damals 13, verkündete eines Tages am Abendbrottisch: "Ich esse ab jetzt kein Fleisch mehr. Ich habe keine Lust, dass irgendwelche Tiere für mich leiden und getötet werden." Ich fand das gut. Aufgeklärt und selbstbewusst. Aber natürlich dachte ich: Na warte, bis wir das nächste Mal bei McDonald’s vorbeikommen. Nach einem Fußballspiel kann kein 13-jähriger Junge mit pubertären Wachstumsschüben einer 20er-Packung Chicken-McNuggets widerstehen, dachte ich.
Ich sollte mich irren.
Die nächste Tofu-Konvertitin war meine Tochter Malena, damals 10 Jahre alt. Sie wollte ihrem großen Bruder nacheifern und erklärte: "Wir können doch nicht in den Zoo gehen, alle Tiere süß und niedlich finden und danach eine Currywurst essen." Auch sie blieb von da an resistent gegen Fleisch, vom Wiener Schnitzel bis zu - das traf mich besonders hart – meiner kulinarischen Geheimwaffe, der Maggi-Tüten-Bolognese.
Ich trug es mit Fassung. Noch war nichts verloren. Meine Frau würde mich nicht im Stich lassen, dachte ich. Als wir uns damals kennenlernten, gingen wir oft ins Steakhouse. In meiner Erinnerung sind das einige unserer schönsten Abende. Mr und Mrs Rumpsteak zu zweit bei gedimmtem Deckenlicht. Nein, meine Frau würde zu mir halten.
Goodbye Bulette, hello Mandelmus
Doch die bekam eines Tages das Buch "Tiere essen" des amerikanischen Schriftstellers und Weltverbesserers Jonathan Safran Foer in ihre Hände. Das Buch ist ein Pamphlet über die ökonomischen, gesellschaftlichen und umweltrelevanten Auswirkungen des weltweiten Fleischverzehrs. Ein Weltbestseller, die Bibel aller hippen Vegetarier. Die Moderatorin und Autorin Charlotte Roche war davon so begeistert, dass sie sich das Buchcover gleich auf den Arm tätowieren ließ. So weit ging meine Frau glücklicherweise nicht, aber auch für sie hieß es nach der Lektüre: Goodbye Bulette, hello Mandelmus. Auf meine beiden kleinen Söhne Matteo, 3, und Bela, 1, konnte ich jetzt nicht mehr setzen - die beiden wurden quasi als Mini-Veggies geboren.
Ich erinnere mich gut an eines unser ersten vegetarischen Familienessen. Meine Frau füllte die Teller mit einer selbst kreierten Tofu-Bolognese. "Ihr werdet gar nicht merken, dass da kein Fleisch drin ist", sagte sie und wirkte sehr überzeugend.
Mein Sohn Lukas rief nach der ersten Gabel: "Mmmh, wirklich lecker!", meine Tochter eine Sekunde später: "Das müssen wir jetzt jede Woche essen!" Alle drehten sich erwartungsvoll zu mir: Jetzt fehlte nur noch meine Jury-Wertung. Eigentlich wollte ich irgendetwas Diplomatisches, Unverfängliches sagen, aber mehr als ein "Ja, schmeckt echt okay!" bekam ich nicht raus. Die anderen sahen mich an, als hätte ich gerade in einem Pariser Feinkostrestaurant mit drei Michelin-Sternen einen Pom-Döner mit Knoblauchsauce bestellt.
Beziehungsprobleme
Wenn Liebe wirklich durch den Magen geht, dann werden in diesen Tagen viele Partnerschaften und Familien auf eine harte Probe gestellt. Rund sieben Millionen Menschen ernähren sich in Deutschland bereits vegetarisch, Tendenz steigend.
Der Berliner Autor Attila Hildmann, der über seinen Wandel vom Fleischklops zum veganen Muskelmann mit Karotten-Sixpack schreibt, wird von seinen Fans wie der Heilsbringer einer neuen Religion verehrt. Die spöttischen Wurst-Fundamentalisten von einst, die mit Sprüchen wie "Ich mag Vegetarier nicht. Die essen meinem Steak das Essen weg" jede Tischgesellschaft zum Brüllen brachten, sie sind verstummt. Wer heute noch nach dem Motto "Fleisch ist mein Gemüse" lebt, der steht jetzt am Rand. "Die Wurst wird die Zigarette der Zukunft", warnte neulich der Wurstfabrikant der Rügenwalder Mühle.
Mich trifft dieser Zeitgeist besonders hart. Die Esskultur meiner ansonsten wirklich großartigen Eltern orientierte sich viele Jahre am Werbeslogan einer Brathähnchen-Restaurantkette: "Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald."
Mit 18 jobbte ich eine Weile bei McDonald’s. Ich stand am Grill, acht Stunden lang, briet Hunderte von Cheeseburgern, Big Macs und McRibs. Die Arbeit war stupide, der Lohn eine Zumutung und der Chef ein Choleriker, aber die Mittagspausen waren ein kulinarisches Fest. Mit großer Leidenschaft kreierte ich aus dem, was die McDonald’s-Küche hergab, meine eigenen Burger-Kreationen. Ungerechterweise schaffte es keine zur Marktreife.
Wertevorstellungen prallen aufeinander
Verhaltensforscher würden wohl sagen, dass meine Impulskontrolle in Sachen Fleisch sehr niedrig liegt. Anruf bei der Züricher Ernährungswissenschaftlerin Christine Brombach, die seit vielen Jahren das Essverhalten der Deutschen untersucht. "Im schlimmsten Fall prallen in solchen Konstellationen nicht nur unterschiedliche Geschmäcker aufeinander", sagt sie, "sondern tief gehende Wertvorstellungen. Wenn sich Ihre Frau aus ethischen Gründen entschieden hat, kein Fleisch mehr zu essen, dann werden Reibungen wohl unvermeidlich sein. Dann geht es um grundsätzliche Lebensfragen: Möchte ich mich bewusst ernähren? Welchen Wert haben Tiere für mich, oder ist Essen nur eine Industrieware, die der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung dient?"
Und wer sich damit nicht beschäftigen will, dessen Ehe kann dann schon mal den Bach runtergehen. So wie bei unserem ehemaligen Currywurst-Kanzler Gerhard Schröder. Seine Ehe mit Hillu soll auch daran gescheitert sein, dass sie angeblich immer zu wenig Fleisch in den Kochtöpfen hatte. Nach der Scheidung floh Schröder erst mal nach Berlin. In die Hauptstadt der Currywurst.
Ich war also gewarnt. Und erwischte mich eines Tages dabei, wie ich bei Youtube Filme über industrielle Massentierhaltung anschaute. Bei einem kam ich nur bis Minute 1:47, dann wurde mir übel. Ein paar Sekunden mehr, und ich hätte danach vielleicht nie wieder Schweinefleisch angerührt. Jedenfalls nicht ohne Würgereiz. BSE, Gammelfleisch im Döner, Antibiotika im Geflügel, Pferdefleisch in der Lasagne - manchmal frage ich mich schon, was einem unverbesserlichen Fleischesser wie mir eigentlich noch an guten Argumenten bleibt außer dem grenzenlos bräsigen "Mir schmeckt’s halt".
Heimliche Herdtriebe
Mein Glück ist, dass ich nicht unter radikalen Gemüse-Talibans lebe. Und heimlich kann ich weiter sündigen. Neulich war meine Familie ein ganzes Wochenende ausgeflogen. Es mag Männer geben, die dann Cage-Fighting-Turniere mit Frauenbeteiligung besuchen oder spontan im Billigflieger nach Amsterdam jetten, um mal wieder ordentlich zu saufen und zu kiffen. Nicht mein Fall. Ich blieb zu Hause und ernährte mich zwei Tage lang von Filet Mignon. Ohne Beilagen. Wunderbar!
Ich hinterließ natürlich keine Spuren. Ich putzte und lüftete den Tatort, also die Küche, als wäre darin ein Mord geschehen. Wobei, wenn man es genau nimmt ... Das schlechte Gewissen blieb jedenfalls. Ich fühlte mich, als hätte ich mit meinen blutig-roten Filets diese kleine, unschuldige vegetarische Küche für immer entweiht.
Neulich platzte schließlich die Bombe. Meine Frau sagte den Satz, vor dem sich alle Männer fürchten. "Wir müssen reden!" Und legte triumphierend einen Bon von "Better Burger" vor mich hin, den sie in meiner Jackentasche gefunden hatte. Ich dachte noch: Das war’s jetzt. Bye-bye, Burger.
Doch dann sagte sie: "Warum nimmst du mich da nicht mal mit?“ Ich starrte sie an. "Na, dann machen wir eben ein Date zu dritt. Du, ich und dein geliebter Burger."
Das hat sie wirklich gesagt.