Interview "Kinder stärker fordern und fördern"

Der Schulreformer und Lehrerbildner Heinz Klippert trainiert mit Pädagogen neue Lehrformen. Wegen der veränderten Bedingungen in Familie, Gesellschaft und Wirtschaft müsse sich der Unterricht dringend verändern, fordert er. Nachfolgend das Interview mit Klippert im Wortlaut:

Herr Klippert, warum tun sich Schüler heute schwerer mit dem Lernen?

"Die Schüler von heute sind nicht schlechter als früher, sie sind anders. Wir haben mediengeprägte Kinder, für die das 'Entertainment-Angebot' ihrer Lehrer eher langweilig ist. Wir haben immer mehr verwöhnte Kinder, die Spaß erwarten und sich im Unterricht möglichst wenig anstrengen wollen. Und wir haben in immer stärkerem Maße Kinder, die von Hause aus kein hinreichendes Sozialverhalten mitbringen. Deshalb ist der traditionelle Unterricht mit seiner ausgeprägten Lehrerzentrierung in der Krise. Früher waren die Schüler im Schnitt sicherlich geduldiger, konnten sich besser konzentrieren und zeigten mehr Bereitschaft, dem Lehrer zuzuhören. Das ist heute deutlich anders geworden."

Wie haben sich die Anforderungen an Schüler verändert?

"Heute wird von den Schülern verlangt, dass sie selbstständig arbeiten, Probleme lösen, gezielt recherchieren, überzeugend präsentieren, im Team arbeiten, Informationen strukturieren und selbst Texte schreiben können. Verlangt werden also Fach-, Methoden-, Kommunikations-, Team- und Präsentationskompetenz. Mittlerweile wird das durch die neuen Bildungsstandards und Curricula auch festgeschrieben, das Problem ist nur: Wie kommen wir dorthin? Bislang bietet die Schule den Schülern zu wenig Gelegenheit, das alles zu lernen und zu üben."

Was muss sich also am Unterricht ändern?

"Wenn wir erwarten, dass Schüler Probleme lösen können, dann müssen wir ihnen auch Probleme geben, die sie mit verschiedenen Hilfsmitteln zu lösen haben. Das heißt, wir brauchen Lernsituationen, die vielseitige methodische Anforderungen an die Schüler stellen. Sie müssen stärker gefordert und vorbereitend auch gefördert werden. Dazu muss man systematisch Kommunikations-, Team-, Präsentations- und Rhetoriktraining machen, aber auch konsequent an den entsprechenden Lern- und Arbeitsmethoden feilen. Wichtig dabei: Die abstrakte Belehrung hilft wenig. Entscheidend ist das praktische Tun und Erfahren der neuen Methoden."

Ist bei den Lehrern die Bereitschaft dafür da?

"Die Bereitschaft ist bei einer Vielzahl von Lehrkräften da, aber noch nicht das Instrumentarium zur erfolgreichen Vermittlung der besagten Schlüsselqualifikationen. Theoretisch weiß man oft gut Bescheid, aber praktisch ist einfach das Handwerkszeug zu wenig gefestigt. Wir müssen also auch Lehrertraining machen. In der ersten Phase der universitären Ausbildung wird diesbezüglich viel zu wenig getan, in der zweiten Phase sind neue Methoden zwar ein gängiges Thema, aber das genuine Erfahren und Durchspielen dieser Methoden kommt in aller Regel zu kurz. Das ist unser großes Manko."

Muss nur das Lernkonzept geändert werden oder auch das ganze Schulkonzept?

"Die Lehr- und Lernmethodik muss sich verändern, aber auch die schulischen Rahmenbedingungen müssen sukzessive modernisiert werden. Dabei geht es weniger um schulstrukturelle Veränderungen von oben, sondern um kleinschrittige, sukzessive Veränderungen an der Basis. Wir fangen mit praktischem Lehrertraining an, um den Lehrkräften Mut zur Veränderung zu machen. Sie müssen sich mit den neuen Methoden vertraut machen, sich üben und in Teams an der Umsetzung arbeiten. Erst dann wenden wir uns den Rahmenbedingungen zu, fördern Teamarbeit im Kollegium, stellen engagierte Lehrkräfte für die Fortbildung frei, organisieren Schülertrainings, verändern Zeittakte und Stundentafeln und überprüfen die Ressourcenverteilung."

Das heißt, eine Reform von oben bringt wenig?

"Nein, man wird den Unterricht in seinem Kern nicht über Vorgaben und Strukturreformen von oben verändern, wie das viele Bildungspolitiker hoffen. Reformen setzen sich letztlich nur dann durch, wenn sich die zuständigen Akteure kompetent fühlen und die betreffenden Methoden positiv erlebt haben. Eine nachhaltige Unterrichtsentwicklung verlangt daher vor allem eines: Intensive Lehrerfortbildung, systematisches Schülertraining und konsequente „Hilfe zur Selbsthilfe“ für die Lehrkräfte."

AP

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos