Münster macht in Multiplex
Früher war alles anders. Ich ging ins heimische Kino und wusste, was mich dort erwartet. Popcorn, das man bereits an der Kasse riechen und später zwischen den Sitzen wiederfinden konnte. Eine fast schon lieb gewonnene Geräuschkulisse aus Geschmatze und dem neckischen Knistern von Chipstüten. Die unvermeidliche Langnesewerbung, die nach dem 483. Sehen zwar eindeutig an Witz verlor, dafür aber wenigstens das baldige Ende des Werbeblocks ankündigte. Nicht zu vergessen, der zwischenmenschliche Aspekt: Nirgends waren Annäherungsversuche so gut als unbeabsichtigt tarnbar.
Wahrscheinlich hätte alles so bleiben können, wäre da nicht unsere unersättliche »Höher-schneller-weiter«-Konsumgesellschaft, die sich nach getaner Arbeit auf der Suche nach Zerstreuung und immer neuen Superlativen ins Nachtleben zu stürzen pflegt. Damit sie dabei nicht ins Leere fällt, hat das Erlebnis Kino einen neuen Namen bekommen. Multiplex nennt sich die ultimative Unterhaltung schlechthin. Diesen Monat wird nun auch unsere Universitätsstadt mit der Eröffnung eines Cineplex-Kinos beglückt.
Nach 16 Monaten Bauzeit und 80 Millionen Mark Kosten heißt es wohl: Was lange währt, wird endlich ... anders als alles, was es in puncto Kino in Münster bislang gegeben hat. Am Hafen entstand ein gläsernes Bauwerk, das allein schon durch seine variable Lichtanlage für Überraschungen sorgt: PC-gesteuert wird auf den Wänden der Eingangshalle ein sich ständig veränderndes Farbenspiel dargeboten. Das 18 Meter hohe Foyer heißt den vergnügungssüchtigen Cineasten willkommen, der sich in einem der insgesamt 2.700 Sessel der neun Kinosäle niederlassen kann. Im größten Saal bieten 250 Quadratmeter Leinwand eine Herausforderung für die Sinne. Ausgefeilteste Technik bestimmt sowohl Akustik wie Bildpräsentation.
Da schnödes Zelluloid allein heute anscheinend niemanden mehr ins Kino locken würde, hört Entertainment im Cineplex nicht mit dem Abspann auf: Im Gebäude befindet sich zudem der »Tanzpalast Bellagio«. Wer eher koordinierte Bewegung bevorzugt, dem steht das »Fit for Life« offen - ein Fitnesscenter, das über Sauna und Solarium verfügt. Und letztendlich wird im Cineplex nicht einfach gegessen, nein: Erlebnisgastronomie heißt das Zauberwort, das das Rundumangebot an Unterhaltung vervollständigt.
Und was ist mit Münsters alteingesessener Kinoszene? Minderwertigkeitskomplex statt Multiplex? Ein Gutachten besagt, dass das Großkino für die Schließung einiger Betriebe sorgen könnte. Bei aller Schwarzmalerei wäre es vielleicht gut, sich mal daran zu entsinnen, weshalb man »eigentlich« ins Kino geht. Münsters Kinoprogramm war auch ohne das Cineplex haute cuisine, wie zwei von der Bundesregierung für ihre Jahresfilmprogramme ausgezeichnete Lichtspieltheater beweisen. Schließlich wird für den Kenner Wasser auch im Cineplex wohl nicht zu Wein werden und ein schlechter Film nur durch perfekte technische Präsentation nicht unbedingt besser.
Das Zwischenmenschliche kommt allerdings auch im neuen Unterhaltungsgiganten nicht zu kurz: Zusätzlich zu den normalen Sitzen gibt es »Pärchensitze«. So gesehen spricht doch eigentlich nichts dagegen, sich das Ganze einmal näher anzuschauen ... (dg)