Pisa-Studie Der Dampfer Schule ist zu träge

Jeder vierte 15-Jährige kann einfachste Texte nicht verstehen und nur auf Grundschulniveau rechnen. Auch in der zweiten Pisa-Studie schneiden deutsche Schulen schlecht ab - ein Ergebnis, dass niemand so richtig überrascht.

Die Erklärungen für das erneut schlechte Abschneiden beim Pisa-Test folgten prompt: "Schule ist ein großer, schwerer Dampfer und kein Schnellboot - alle Manöver sind auf lange Frist ausgelegt", sagte Michael Gomolzig, Sprecher des Landesverbandes Bildung und Erziehung (VBE) über die Ergebnisse des jüngsten Bildungsreports.

Auch für den Deutschen Philologenverbande seien die Ergebnisse nicht überraschend: Man habe nicht davon ausgehen dürfen, dass innerhalb von nur drei Jahren ein großer Sprung nach oben auf der Rangskala der Industrieländer erfolgen könne, sagte Verbandsvorsitzender Heinz-Peter Meidinger.

Deutschland nur unteres Mittelmaß

Beim zweiten weltweiten Pisa-Schultest sind nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur die deutschen Schüler in allen drei Testdisziplinen nur in der unteren Hälfte der Leistungstabelle von 31 Industriestaaten. Beim aktuellen Schwerpunkt Mathematik konnten sie sich um drei Plätze verbessern und belegen jetzt den 17. Rang. Schüler zwar mittelmäßige Leistungen, wenn es um Grundrechnen geht. Bei anspruchsvollen Aufgaben in Wahrscheinlichkeitsrechnen oder Geometrie fallen sie jedoch zurück.

Bei Lesen und Textverständnis, Schwerpunkt des ersten Pisa-Tests im Jahr 2000, kommt Deutschland vom 21. auf den 20. Rang, gewinnt aber nur wenige Punkte hinzu. Auch dies gilt nicht als Sprung nach vorn. Im Nebengebiet Naturwissenschaften erreicht Deutschland nun den 16. Rang. Zuvor war dies der 20. Platz. In Naturwissenschaften hatte Deutschland bereits bei der Pisa-Vorgänger-Untersuchung TIMSS im Jahr 1997 das Mittelfeld erreicht.

50.000 Schüler befragt

Für die neue Studie waren im Frühjahr 2003 bundesweit 50.000 Schüler im Alter von 15 Jahren getestet worden. Die Auswertung wird seit Wochen mit Spannung erwartet. Offiziell werden die Ergebnisse von der Kultusministerkonferenz und der OECD erst am 7. Dezember vorgestellt.

Drei Jahre nach der ersten Pisa-Studie belegt die Untersuchung erneut: In keinem anderen vergleichbaren Staat der Welt hängt der Schulerfolg so stark von Einkommen und Vorbildung der Eltern ab wie in Deutschland. Das deutsche Schulsystem versagt nach dem Fazit der Forscher bei der Förderung von Arbeiter- und Migrantenkindern. Bei gleicher Begabung hat ein Akademikerkind in Deutschland eine mehr als dreimal so große Chance, das Abitur zu erlangen, als ein Facharbeiterkind.

GEW fordert Förderung benachteiligter Schüler

Als Konsequenz aus den Pisa-Ergebnissen für deutsche Schulen hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ein Förderprogramm für benachteiligte Schüler und mehr Lehrerfortbildung gefordert. Die GEW-Vorsitzende Eva-Maria Stange sprach sich zudem dafür aus, das gegliederte Schulwesen in Deutschland schrittweise umzubauen. "Die Schüler brauchen jetzt eine qualitativ hochwertige Ausbildung."

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Kurt Beck ist vom Ergebnis und dem erneut schlechten deutschen Abschneiden bei der weltweiten Pisa-Studie nicht überrascht. Es sei ziemlich naiv zu glauben, dass zwei Jahre nach der ersten Studie jetzt andere Ergebnisse herauskommen würden, sagte Beck. "So schnell ändern sich Dinge nicht." In den vergangenen Jahren seien trotzdem viele Dinge auf den Weg gebracht worden, wie Ganztagsschule und Qualitätssteigerung.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat als Konsequenz aus der neuen Pisa-Studie eine umfassende Reform des Bildungswesens gefordert. Das Ergebnis der Studie zeige, "dass wir das gesamte Bildungssystem erheblich anders strukturieren und steuern müssen", sagte BDI-Bildungsexperte Heinrich Höfer. Bessere Ergebnisse seien frühestens in zwei bis drei Jahren zu erwarten.

Insgesamt zeigte sich der auch für Bildung zuständige Leiter der BDI-Abteilung für Technologie- und Innovationspolitik wenig überrascht über das Ergebnis der Untersuchung. "So neu und überraschend ist das nicht." Seit die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrer ersten Pisa-Studie dem deutschen Bildungssystem vor drei Jahren nur einen Platz im unteren Drittel zugewiesen hatte, sei zu wenig Zeit ins Land gegangen.

Die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD), hatte zur jüngsten Pisa-Studie erklärt, größere Veränderungen seien innerhalb eines so komplexen Systems wie der Schule kurzfristig nicht zu erreichen. Als Konsequenz aus der ersten Pisa-Studie hatte die Bundesregierung 2002 beschlossen, die Länder bei der Ausweitung von Ganztagsschulen finanziell zu unterstützen. Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) hatte zudem das Ziel formuliert, das deutsche Bildungswesen bis 2010 international an die Spitze zu führen.

AP/DPA AP DPA

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