Das Smoked-Meat-Sandwich ist nicht einfach nur ein Sandwich. Es ist ein Brotmonstrum mit einem üppigen Fleischberg und Senf, ein deftig-rustikaler Snack, der in Montreal Kultstatus genießt, vergleichbar mit dem Pastrami-Sandwich aus New York, dem er ähnelt. In beiden Fällen steht das Fleisch im Vordergrund, das gewürzt, gepökelt, geräuchert und anschließend gedämpft wird - eine Spezialität der jüdischen Küche, die rumänische Einwanderer einst nach Nordamerika gebracht hatten.
Dieses Sandwich zu essen ist heikel. Das Brot ist so weich, dass das Gebilde auseinanderfällt, wenn man hineinbeißt. Außerdem tropft ständig Senf auf die Finger – appetitlich sieht das nicht aus. "Aber es schmeckt göttlich", sagt Fernsehkoch Martin Baudrexel. "Genau so muss das sein."
Das Sandwich als Retter in der Not
Baudrexel lernte das Smoked Meat vor 20 Jahren kennen. 1994, mit Mitte 20, war er nach Montreal gekommen, um eine Kochausbildung zu machen, und wie viele Berufskollegen erlag auch er bald der "Kochkrankheit", wie er es nennt: Während der Arbeit aß er kaum. Das holte er meist nach Feierabend nach, und da es dann oft schon nach Mitternacht war, musste das Essen schnell verfügbar, nahrhaft und einfach sein. "Es ist paradox", sagt er. "Da arbeitet man den ganzen Tag mit feinsten Zutaten und hat abends Appetit auf etwas Bodenständiges." Pizza war auf Dauer keine Lösung, das Smoked Meat Sandwich hingegen schon - direkt vor seiner Haustür war einer dieser Kultläden, in denen es verkauft wurde. "Das hat mich gerettet", sagt er. Eine Zeit lang aß er es jeden zweiten Tag dort.
Martin Baudrexel
Der Münchner Koch ist den meisten Menschen aus dem Fernsehen bekannt. Er war Teil des Teams der Doku-Soap "Die Kochprofis - Einsatz am Herd" bei RTL2, später wechselte er zur Sendung "Die Küchenchefs" bei VOX, wo er noch heute zu sehen ist (jeden Dienstag um 23.15 Uhr). In München führte Martin Baudrexel jahrelang eigene Restaurants. Das erste, "Rubico", schloss im Juli 2011, und das zweite, das "Isargold", gab er 2013 auf. Derzeit konzentriert er sich auf seine TV- und Messe-Auftritte.
Am deutlichsten erinnert er sich daran, wie er alleine in seinem WG-Zimmer saß, sein Sandwich aß, ein Bier dazu trank und aus dem Fenster blickte. Wie er den Arbeitstag hinter sich ließ und langsam zur Ruhe kam. Ein Moment des inneren Friedens sei das oft gewesen, sagt Baudrexel - jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als ihm der Appetit verging. Aber so richtig. Was nicht daran lag, dass er des Sandwichs überdrüssig war.
Es war ein ziemlich heruntergekommenes Viertel, in dem Baudrexel damals wohnte. Er war jung, das Geld war knapp und die Bleibe bezahlbar. Unter seinem Zimmer wummerten die Bässe einer Disco, und oft war es so laut, dass er vor drei Uhr morgens nicht einschlafen konnte. In den unfreiwillig wachen Stunden hatte er oft am Fenster gesessen und gedankenverloren auf die neonbeleuchtete Straße geschaut. Irgendwann fiel ihm auf, dass er von seinem Zimmer aus direkt in die Küche des Smoked-Meat-Ladens gegenüber blicken konnte. Baudrexel war angehender Koch und neugierig - und geschockt, als er sah, wie die Männer dort arbeiteten.
"Ein ziemlicher Saustall"
"Der Laden war ein ziemlicher Saustall", erinnert er sich. Je länger er dort wohnte und in diese Küche blickte, desto unappetitlicher wurden die Sandwiches für ihn. "Da standen alte, verschwitzte Männer mit Bierbäuchen und schmierigen Kitteln", sagt er. "Was mich zum Beispiel wahnsinnig aufgeregt hat: Die haben zwischendurch nie ihre Messer gereinigt." Die groben Fleischscheiben für die Sandwiches werden frisch abgeschnitten. Dafür müssen die Köche die große, gepökelte Rinderbrust jedes Mal aus dem Dampf holen. "Der Schleim, den das gepökelte Fleisch abgab, trocknete immer wieder an den Messern fest." Auch die Bretter, einst weiß und inzwischen unappetitlich dunkelbraun und gewellt, wurden nie gereinigt, geschweige denn, dass sich die Köche ihre Hände zwischendurch gewaschen hätten.
"Am schlimmsten aber war es, wenn sich die Herren unter die Schürze griffen und am Gemächt kratzten", sagt Baudrexel. Irgendwann sei das zum Running Gag geworden. Wenn er Freunde zu Besuch hatte, machten sich die jungen Männer einen Spaß daraus, auf den großen Moment zu warten: Da! Jetzt! Er tut er es wieder! – und brüllten vor Lachen, wenn es tatsächlich geschah. Doch essen konnte Baudrexel sein Sandwich dort nicht mehr ohne weiteres.
Elegantes Fingerfood
Lange hatte er nicht mehr an diese Zeit gedacht. Erst als er vor fünf Jahren, im Sommer 2009, den Auftrag bekam, das Catering für eine Hochzeit zu übernehmen, kamen die Erinnerungen hoch. Damals betrieb Baudrexel sein Restaurant "Rubico". Geplant war ein sogenanntes Flying Buffet, ein mehrgängiges Menü auf kleinen Tellern. Die Braut war Jüdin und wünschte sich eine jüdische Spezialität. Baudrexel schlug Pastrami beziehungsweise Smoked Meat vor, sie war sofort begeistert.
Nur: Wie sollte er das servieren? Das Sandwich, so wie er es kannte, kam für eine Hochzeit nicht in Frage. Eine repräsentablere Lösung musste her, und so kam er auf diese Idee: "Wir schnitten das Fleisch hauchdünn auf, wie ein Carpaccio, und legten die Teller damit aus. Den knallgelben amerikanischen Senf haben wir in einem Espuma, also einen leichtem Schaum untergebracht und diesen auf dem Fleisch angerichtet. Das Roggenbrot steckten wir als hauchdünnen Chip in den Schaum", erzählt Baudrexel.
Am aufwendigsten war die Zubereitung des Fleisches, die eine jahrzehntelange Tradition hat. Das Fleisch wird erst mit Gewürzen und Pökelsalz eingerieben und muss einige Tage in eine Folie gewickelt im Kühlschrank liegen, dabei regelmäßig gewendet werden, damit sich das Salz gleichmäßig verteilt. Dann wird es gründlich gewässert, erneut mit Gewürzen eingerieben und stundenlang im Smoker geräuchert. Allein mit dem Fleisch war Baudrexel gut fünf Tage beschäftigt.
Alles andere als Fastfood
Doch es hat sich gelohnt: Das Ergebnis war edler und feiner als das Original, doch der Geschmack stimmte. Es sah toll aus, kam bei den Gästen gut an und die Braut war glücklich.
Am meisten hatte sich Baudrexel darüber gefreut, dass es ihm gelungen war, den speziellen Geschmack von damals selbst hinzubekommen - die Läden halten ihre Rezepte natürlich geheim - und etwas Besonderes daraus zu machen. Wie viel Arbeit dahinter steckt, wurde ihm dabei erst richtig bewusst. Ein Smoked-Meat-Sandwich ist eben doch kein Fastfood, auch wenn es als solches verkauft und wahrgenommen wird.
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Falls Sie Appetit bekommen haben: Auf der nächsten Seite verrät Martin Baudrexel sein Rezept für Pastrami mit Kartoffelschaum und Roggenbrot.

Das Rezept: "Pastrami, Kartoffelschaum und Roggenbrot"
Zutaten
Das Fleisch
für eine Rinderbrust (1,7 bis 2 Kg); zum Beispiel für ein Fingerfood-Buffet
Zum Pökeln
- 30 g Pökelsalz (ca. 2 EL) pro Kilogramm Fleisch (bitte genau abwiegen; bei 1,7 kg Fleisch wären es 51 g, bei 2 kg Fleisch wären es 60 g Pökelsalz)
- 40 g brauner Zucker
- 2 EL Koriandersamen, geröstet und kurz im Mörser angestoßen
- ½ EL schwarzer Pfeffer, frisch gemahlen
- 2 TL Paprikapulver, süß
- 1 EL getrockneter Knoblauch
- 1 TL Senfkörner
- etwas Muskat
Zum Würzen
Pro Kilogramm Fleisch (bitte entsprechend umrechnen auf das gekaufte Fleischstück)
- 40 g Koriandersamen (entspricht 7 EL)
- 30 g schwarzen Pfeffer (entspricht 5 EL, ganze Beeren)
- 20 g Knoblauchgranulat
Alle Pökelzutaten mischen. Falls das Fleisch eine Fettschicht hat, diese bis auf zwei bis drei Millimeter wegschneiden. Das Fleisch auf der Fettseite mit einer Gabel mehrfach ein wenig einstechen, dabei darauf achten, nicht das Fleisch darunter anzustechen.
Das Fleisch gründlich mit der Pökelmischung einreiben und für vier Tage in einem Gefrierbeutel im Kühlschrank pökeln. Dabei mehrmals täglich wenden, damit das Fleisch gleichmäßig durchpökelt.
Fleisch nach vier Tagen kalt abspülen. 30 Minuten in kaltem Wasser einlegen. Dann das Wasser wechseln und den Vorgang zwei Mal wiederholen.
Einen Smoker auf 120 °C vorheizen. Ein Fleischthermometer in das Fleisch stechen und das Fleisch bei 110 °C ca. drei Stunden räuchern, bis eine Kerntemperatur von 75 °C erreicht ist.
Die Gewürze kurz rösten. Dabei immer den Koriander zuerst in die Pfanne geben, nach einer Minute bei mittlerer Hitze den schwarzen Pfeffer dazugeben und 30 Sekunden mitrösten. Beides im Mörser grob zerstoßen.
Das Fleisch trocken tupfen und großzügig mit Pfeffer, Koriandersamen und etwas Knoblauchgranulat einreiben. Anschließend das Fleisch in Zeitungspapier eingewickelt an einem kühlen Ort ruhen lassen.
Für den Meerrettich-Kartoffelschaum
- 1 mehligkochende Kartoffel
- 100 ml Milch
- 4 EL Sahne
- 1 EL Butter
- 2 EL Dijionsenf
- 2 EL frisch geriebener Meerrettich, ersatzweise Sahne-Meerrettich aus dem Glas
- Salz
- Pfeffer
- Muskat
- Zitronensaft
Die Kartoffel schälen, klein schneiden und in Salzwasser weich kochen. Durch eine Kartoffelpresse drücken. Milch, Sahne, und Butter aufkochen, Senf und Meerrettich dazu geben, ein paar Minuten ziehen lassen. Mit den pürrierten Kartoffel vermengen. Mit Salz, Pfeffer, Muskat und Zitronensaft abschmecken. Durch ein sehr feines Sieb passieren, in einen Sahnebläser füllen und ein bis zwei Sauerstoffkapseln zugeben.
Für die Roggenbrotchips
- ca. 300 g Roggenbrot
- etwas Olivenöl
- 1 Knoblauchzehe
Roggenbrot dünn aufschneiden, mit etwas Olivenöl und der Knoblauchzehe einreiben. Im Ofen bei 160 °C ca. 8 Minuten goldbraun rösten.
Außerdem
- etwas Kerbel oder andere Kräuter zum Garnieren
Anrichten
Das Fleisch so dünn wie möglich aufschneiden und flach auf Teller auslegen, wie bei einem Carpaccio. Dabei entsprechen bei einem Buffet 120 g Fleisch einer Portion - etwas mehr, wenn es eine Vorspeise sein soll. Auf jeden Teller einen Klecks warmen Kartoffelschaum geben. Die gerösteten Roggenbrotscheiben auf den Schaum setzen. Mit Kerbel oder anderen Kräutern garnieren.
Extra-Tipp
Das Fleisch ist, in Frischhaltefolie gewickelt und im Kühlschrank gelagert, rund einen Monat haltbar. Außerdem lässt sich damit auch das normale Smoked-Meat-Sandwich zubereiten: Grob in Scheiben schneiden. Zwei Scheiben Roggenbrot dick mit Senf bestreichen, am besten mit dem amerikanischen "French's Classic Mustard". eine Scheibe dick mit dem Fleisch belegen, die andere Scheibe auflegen. Guten Appetit!