Ist Vegan nur eine Art der Speisezubereitung oder mehr eine Form der Religion? Diese Frage drängt sich schon im Alltag auf, aber erst Recht beim Kreuzzug um das vegane Restaurant Cafe Gratitude in Hollywood. Die "New York Times" hat dem umstrittensten Vegan-Tempel der USA nun einen Besuch abgestattet. Interessanter als die leckeren Gerichte und die überpräsenten Sinnsprüche eines erfüllten Lebens, die von Wandinschriften, Menükarten und Essensbezeichnungen auf die Besucher einprasseln, ist der Glaubenskrieg um das Promi-Restaurant.
Veganes Steak-Leak
Im Frühjahr ist nämlich herausgekommen, dass die Besitzer und Galionsfiguren des Vegan-Tempels seit langem selbst ganz gern Fleisch essen. Und zwar so richtig: Sie sollen sich dicke, marmorierte Steaks auf den Grill werfen. Das blieb verborgen, während sie recht geschäftstüchtig ihr Café und angeschlossene Cateringdienste zu einer Leitmarke für veganes Leben in Los Angeles machten.
Mahnwachen zogen auf
Während niemand Anstoß daran nehmen würde, wenn sich die Betreiber eines Steakhouse auch dann und wann mal Sushi und Pizza gönnen, ist das bei Veganern anders. Zumindest ein Teil der veganen Gemeinde Hollywoods reagierte geschockt auf den Fleisch-Verrat. Sofort erschien eine Boykottseite auf Facebook und tägliche Mahnwachen zogen vor dem Etablissement auf. So sollten nichtsahnende Hollywood-Touristen vor dem Tempel der Fleischfresser gewarnt werden.
Besitzer einer Farm
Man muss zugeben, dass es Terces und Mathew Engelhart mit dem Fleisch auch etwas übertrieben haben. Sie reden blauäugig davon, dass sich ihr eigener Geschmack beim Essen eben entwickelt hätte und tun so, als hätten sie gar nicht gewusst, dass sich um veganes Essen auch ein Kult der "Besser-Menschseins" rankte. Außerdem verzehren sie nicht nur gern mal ein blutiges Steak. Nein, obendrein besitzen sie eine Farm, auf der Schlachtvieh gezogen wird. Wenn die Tiere auch ökologisch leben, wartet am Ende doch der Metzger auf sie.
Für Carrie Christianson sind diese Aussagen nur lahme Ausreden. Sie initiierte die Boykottgruppe - und begründet ihre Aktion: "Wir sind so sauer, weil Veganismus ein Glauben ist. Du unterstützt ein Restaurant, weil du glaubst, die teilen diese Philosophie. Und dann kommt raus, dass sie es nicht tun. Alle Veganer sollten wissen, dass diese Leute eine Schlacht-Farm betreiben!"
Todesdrohungen gegen die Vegan-Verräter
Kübelweise erhielten die Engelharts Todesdrohungen, nachdem sie als Fleischesser geoutet wurden. "Es macht mich traurig, dass Entscheidungen, die wir in unserer privaten Lebensführung getroffen haben, Leute so aufregen, dass sie uns nach dem Leben trachten. Ich bin sehr entmutigt", gestand Terces Engelhart dem "Hollywood Reporter", als sie noch mit der Presse redeten.
Zumindest extrem geschäftstüchtig
Todesdrohungen und Hasskommentare werfen kein gutes Licht auf einen Teil der veganen Szene. Viele reagierten aber auch weit gelassener und erinnerten etwa daran, dass ihr Gemüse auch meist von Farmern gezogen würde, die selbst keine Veganer seien. Doch die Engelharts vermieden es bisher auch konsequent, darauf einzugehen, dass sie ihre Supporter angelogen oder zumindest bewusst im Unklaren gelassen hatten. Erst durch den öffentlichkeitswirksamen Besuch von Promis wurde das Cafe Gratitude zu der Institution, die es heute ist. Kein Wunder, dass diese Lokalgrößen nun glauben, man habe sie vor den falschen Karren gespannt.
Und auch beim Besuch der New York Times fand sich im Restaurant kein Hinweis auf die fleischlichen Begierden der Besitzer, dafür wurde jeden Gang für die Gäste mit dem Schlechte-Gewissen-Sinnspruch: "Und wofür bist du heute dankbar?" verziert.
