Wie wird eigentlich Fremdscham hergestellt? Man nehme drei scheue Politiker, einen unvorstellbar glücklichen Schlagersänger, der auch schreiben kann, eine Prise Bob Geldorf, eine Extraportion Betroffenheit und ein schnödes Impro-Studio in kräftigem Beige. Und dann stellt man ein Mikrofon mittenrein. Das Ergebnis ist ein Lied – nein: ein "Song"! – über Kriegsflüchtlinge. Ein echter Schlager in die Magengrube.
Mit dem Ausdruck feierlicher Ergriffenheit in Augen und Stimme singen Fabio Reinhardt von den Piraten, Hakan Taş von der Linken, Thomas Birk von den Grünen und der Schlagersänger Donato Plögert über das Leid der Flüchtlinge – und über die Erlösung, die die Zielländer ihnen bieten kann. Für die Liebe und das Leben (so, wie eben jeder Schlagersong) und gegen Hass und Angst und Gewalt und Krieg und all das. "Sie wollen weiter nichts als leben, weil nur das noch ihnen blieb. Denn sie fliehen aus ihrer Heimat vor Gewalt und Glaubenskrieg", erklärt der Text dem aufmerksamen Hörer.
"Wer Assad entkommen ist, übersteht auch diese vier Minuten"
Schon der Titel "Sie suchen nach dem Morgen" zeigt, dass die singenden Politiker hoffen – nein: wissen –, dass mit diesem Lied nun alles besser wird. Das hat schließlich damals bei Band Aid ja auch geklappt. "Das, was ihre Augen sahen, ist für uns kaum vorstellbar", schmachtet Plögert – und wirft die Frage auf, wieso denn nun auch noch die Ohren der bedauernswerten Vertriebenen dran glauben müssen.
"Wer Assad und IS entkommen ist, wird auch diese vier Minuten Willkommensmusik überstehen. Hoffe ich", schreibt der Autor Gideon Böss auf Twitter über das Resultat. Und tatsächlich weiten die singenden Politiker den Begriff der deutschen Willkommenskultur mit ihrem Hit doch etwas zu doll aus. Albern wirkt das Ganze vor allem durch die Diskrepanz zwischen Inhalt und Darstellung des Songs: Betroffenheit, Textunsicherheit, Kamerascheu und Fehlamplatzigkeitsgefühl auf der einen Seite – ein vor Lebensfreude sprühender Schlagerrhythmus und herzsprengender Text auf der anderen. Birk, das muss man sagen, singt dabei tatsächlich überraschend gut.
Der Abspann nennt das ganze dennoch hochtrabend einen "Song" und den gibt es sogar auf CD. Danke dafür an die Sponsoren aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien. Alle Erlöse dieses Titels gehen zu gleichen Teilen an das Flüchtlingsrat-Projekt und den Verein "Berliner singen mit Flüchtlingen". Viel Spaß damit, aber Vorsicht: Das ist nix für schwache Nerven.