Er war eine der Gallionsfiguren für die Verständigung zwischen den Kirchen. Nicht zuletzt sein Charisma zog jedes Jahr bis zu 200.000 Jugendliche in das Kloster Taizé im Burgund und machte es zum größten Jugendwallfahrtsort Europas. Frère Roger, Gründer und Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé, wurde am Dienstagabend während eines Abendgebets vor 2500 Gläubigen von einer Frau mit einem Messer angegriffen und verletzte ihn so schwer, dass er binnen einer Viertelstunde verblutete. Er wurde 90 Jahre alt. Zu Rogers Nachfolger wurde der Deutsche Bruder Alois, ein Katholik, bestimmt.
Vermutlich geistesgestörte Attentäterin
Staatsanwalt Jean-Louis Coste erklärte , die Täterin habe das Messer erst einen Tag vor dem Angriff gekauft. "Es scheint jetzt, dass dies geplant war, und es ist offensichtlich vorsätzlicher Totschlag", sagte er auf einer Pressekonferenz. Zunächst hatte es geheißen, die 36 Jahre alte Frau sei geistig verwirrt. Nach einem Verhör erklärte die Staatsanwaltschaft eine Unterbringung in der Psychiatrie jedoch für unnötig. Das rumänische Außenministerium bestätigte in Bukarest, dass die tatverdächtige 36-jährige Frau rumänische Staatsbürgerin ist. Sie sei als Touristin in Frankreich unterwegs gewesen, hieß es. Ministerpräsident Calin Popescu Tariceanu hat sein Bedauern zum Ausdruck gebracht. Tariceanu sagte, Bruder Roger sei "ein Vorbild für die Jugend" und ein "leidenschaftlicher Diener der christlichen Einheit" gewesen. Er habe Rumänien gut gekannt und immer wieder viele Jugendliche aus diesem Land nach Taizé eingeladen.
Roger Louis Schutz-Marsauche kam am 12. Mai 1915 als Sohn eines protestantischen Pfarrers in Provence (Kanton Vaud) in der Schweiz zur Welt. Sein Vater war Schweizer, die Mutter stammte aus Burgund. Schutz studierte Theologie in Lausanne und Straßburg und wurde als Pastor ordiniert. 1940 ließ sich er sich in Taizé, einem kleinen Dorf im Burgund nieder. Er kaufte ein leer stehendes Herrenhaus, in dem er Verfolgte, vor allem Juden, vor den Nazis versteckte. 1942, als die Deutschen auch die Kontrolle im südlichen Frankreich übernahmen, durchsuchte die Gestapo das Herrenhaus und verhaftete die Insassen; Schutz konnte fliehen. Im Sommer 1944 kehrte er mit zwei Freunden zurück und nahm sich der deutschen Kriegsgefangenen in den Lagern der Umgebung an.
Brüderlichkeit und Versöhnung zwischen Nationen und Konfessionen
Im Laufe der Jahre kamen vier neue protestantische Freunde hinzu und zu Ostern 1949 kam es zur Gründung eines evangelischen Ordens, dessen erste sieben Brüder sich zu Ehelosigkeit, Gütergemeinschaft und zur Anerkennung eines Priors bekannten - das Amt, das Schutz bis zu seinem gewaltsamen Tod innehatte. Brüderlichkeit und Versöhnung zwischen den Nationen, Konfessionen und Klassen sind bis heute Kern der Berufung, die sich die "evangelischen Mönche" auferlegt haben. Gläubige anderer christlicher Konfessionen fanden Aufnahme in der Gemeinschaft, ohne die Zugehörigkeit zu ihrer Kirche widerrufen zu müssen. Die Grenzen hoben sich in der Gemeinschaft auf.
Das Französische ist die Sprache der Verständigung, in der Liturgie, in der Elemente der römisch-katholischen Messe mit evangelischen und ostkirchlichen Formen der Andacht verschmolzen sind, haben alle Sprachen Raum. Ihren Unterhalt bestreitet die Gemeinschaft aus dem Ertrag der handwerklichen und künstlerischen Werkstätten, aus Druck und Vertrieb von Büchern, CDs und Schallplatten sowie aus den Einkünften der Brüder, die einem weltlichen Beruf nachgehen.
Ab Ende der 60er Jahre pilgerten jedes Jahr bis zu 200.000 vor allem junge Menschen aus allen Teilen der Welt nach Taizé und lebten in Zelten und Baracken. Drei Mal täglich treffen sich die Pilger mit den mittlerweile etwa 90 Mitgliedern der Gemeinschaft zu Gebet und Meditation in der Erlöserkirche. Ostern 1970 lud Roger zu einem Konzil der Jugend ein, das erstmals 1974 stattfand und mehr als 40.000 Jugendliche nach Taizé zog. Seither trafen und treffen sich Jahr für Jahr Zehntausende junger Menschen aus aller Welt jeweils um die Jahreswende in wechselnden Städten.

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Papst spendete Heilige Kommunion
Obwohl Schutz zuletzt sehr gebrechlich war, verlor er nichts von seiner Ausstrahlung. Der Hamburger Erzbischof Werner Thissen sagte über ihn, man habe erlebt, "wie ein Mensch von innen heraus leuchtet, der ganz aus dem Evangelium lebt". Trotz seines hohen Alters und seiner angegriffenen Gesundheit ließ es sich Frère Roger nicht nehmen, im April zur Beisetzung des Papstes Johannes Paul II. nach Rom zu reisen. Bei der Begräbnisfeier spendete der spätere Papst Joseph Ratzinger dem Protestanten auf dem Petersplatz vor den Augen der ganzen Welt die Heilige Kommunion - eine Handlung, die nach dem Amtsverständnis der katholischen Kirche nicht gestattet ist und später vom Vatikan auch als ein "zufälliges" und "ungewolltes" Ereignis bezeichnet wurde, das keinesfalls verallgemeinert werden dürfe.
Für Frère Roger war das gemeinsame Abendmahl nie ein Problem. In Taizé nahm er regelmäßig an Eucharistiefeiern teil und selbst Johannes Paul II. hatte dem Taizé-Gründer mehrfach die Heilige Kommunion erteilt. Frère Roger hat gezeigt und gelebt, dass die Trennung zwischen Protestanten und Katholiken nicht unüberwindbar ist - auch nicht im wohl schmerzhaftesten Unterschied, dem Fehlen eines gemeinsamen Abendmahls.