Iranische Freiheitsbewegung Was der Friedensnobelpreis für Narges Mohammadi bedeutet – für Irans Regime und dessen Gegner

Drei Frauen, die ein Tuch tragen, sitzen nebeneinander
Die iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi (Mitte) neben der iranischen Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi (links) während eines Treffens in Teheran im August 2007. Jetzt wurde Mohammadi mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet – während sie inhaftiert ist
© Vahid Salemi / Picture Alliance / AP
Narges Mohammadi gewinnt den Friedensnobelpreis im Jahr 2023. Die iranische Frauenrechtlerin sitzt derzeit im Gefängnis und hat vielleicht noch gar nicht von dem Preis erfahren.

Der Friedensnobelpreis 2023 geht an die inhaftierte iranische Frauenrechtlerin Narges Mohammadi – "für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen in Iran und ihren Kampf für die Förderung der Menschenrechte und der Freiheit für alle", wie das Nobel-Komitee in Oslo schreibt. Mehr als 300 Einzelpersonen und Organisationen waren nominiert – so viele wie nie. Die Vergabe ist ein wichtiges Zeichen: Das Nobelpreiskomitee ehrt damit auch den Kampf der iranischen Frauen gegen staatliche Diskriminierung. Eine wichtige Botschaft auch an das Regime in Teheran: Eure Verbrechen sind nicht vergessen. 

Der Zeitpunkt ist gut gewählt: Knapp drei Wochen nach dem Todestag von Jina Mahsa Amini, der jungen kurdischen Frau, die vor einem Jahr nach Misshandlung durch die iranische Sittenpolizei starb, und deren Tod die Protestbewegung in Iran unter dem Slogan "Frau, Leben, Freiheit" ausgelöst hatte, wird der Preis für Narges Mohammadi zum Signal.

In Iran und weit darüber hinaus wird er als eine Würdigung all der Iranerinnen und Iraner verstanden, die seither aus ihrem Land fliehen mussten. Als Ehrung auch für die mutigen Menschen, die ihr Augenlicht verloren, wenn mit Schrot in Demonstrationszüge hineingeschossen wurde. Und für die Eltern, die ihre Kinder begraben mussten, nachdem diese zum Protestieren auf die Straße gegangen waren.  

Dieser Preis ist ein Ansporn für alle – in Iran und in der Diaspora – die sich für die Freiheitsbewegung in Iran einsetzen. Das Signal dieses Tages: Wir sehen euch, wir hören euch – und wir halten euch in Ehren.

Die Angst der Machthabenden vor weiteren Protesten

Für das iranische Regime kommt die Nachricht von der Ehrung für seine Gefangene zu einem schwierigen Zeitpunkt. Erst vergangene Woche löste ein weiterer Übergriff der Sittenpolizei internationale Empörung aus. Die 16-jährige Armita Garavand wurde von Sittenwächtern aus einer Teheraner U-Bahn gezerrt und kurz darauf bewusstlos in ein Krankenhaus eingeliefert. Garavand war ohne Hidschab unterwegs zur Schule. Nun liegt sie im Koma. Eine Agentin der Sittenpolizei soll sie körperlich angegriffen haben. Der Fall erinnert frappierend an das Schicksel der Protest-Ikone Jina Mahsa Amini. 

Das Teheraner Krankenhaus, in dem Garavand sich nun befindet, wird von der Polizei schwer überwacht. Ihre Mutter soll festgenommen worden sein. Die Islamische Republik versucht mit aller Kraft zu verhindern, dass Garavands Familie oder Freunde mit den Medien sprechen. Das zeigt, wie groß die Angst der Machthaber in Teheran vor einer neuen Protestwelle ist.

Narges Mohammadi setzt sich seit rund drei Jahrzehnten für Frauenrechte in Iran ein. Die 51-Jährige verbüßt aktuell eine langjährige Haftstrafe. Seit November 2022 teilen sie und die seit 2020 inhaftierte Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi eine Gruppen-Zelle im Evin-Gefängnis in Teheran. Sie leben Bett an Bett. 

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Taghavis Tochter, Mariam Claren, sagte kurz nach der Nachricht von der Preisverleihung an die Zellengenossin ihrer Mutter zum stern: "Selbstverständlich wussten sie von der Nominierung. Aber freitags – also heute, als die Preisvergabe verkündet wurde – dürfen keine Telefonanrufe aus dem Evin-Gefängnis heraus getätigt werden. Die Inhaftierten dürfen weder anrufen noch angerufen werden. Deswegen hoffe ich, dass Narges Mohammadi anderweitig erfährt, dass sie den Friedensnobelpreis gewonnen hat." 

Aus dem Gefängnis setzt sich Mohammadi weiterhin für die inhaftierten Frauen ein. Ende 2022, während der landesweiten Aufstände gegen Irans Machtapparat, deckte Mohammadi in einem Bericht aus der Haft mutmaßliche Folter und sexuelle Misshandlungen zahlreicher Frauen im Hochsicherheitsgefängnis auf. Sie kämpft gegen die Todesstrafe und psychische Gewalt in der Isolationshaft. Anfang Juni sorgte sie mit einem weiteren Bericht aus Evin-Gefängnis heraus dafür, dass die Welt erfuhr, wie schlecht es ihrer Zimmernachbarin Nahid Taghavi gesundheitlich geht, dass sie dringend medizinische Versorgung benötigt.  

Sie habe nach der Verkündung der Ehrung für Mohammadi geweint, sagt Mariam Claren in Köln, und direkt versucht, deren Ehemann anzurufen. "Der ging natürlich nicht ans Telefon, weil ihn wahrscheinlich gerade Tausende Menschen anrufen." 

Zweite Iranerin mit Friedensnobelpreis

Mohammadi hat Physik studiert, danach journalistisch gearbeitet und war Mitbegründerin eines Menschenrechtszentrums in Iran, das dann verboten wurde. "Sie ist jemand, der einen sehr hohen Preis bezahlt", sagt Claren. Das Regime habe Mohammadi dreizehnmal festnehmen lassen, sie fünfmal verurteilt – zu insgesamt 31 Jahren Gefängnis und 154 Peitschenhieben. Ihre Kinder, mittlerweile 16 Jahre alte Teenager, habe sie seit acht Jahren nicht gesehen. Die Familie lebe im Ausland. Mohammadi dürfe nicht mit ihren Kindern telefonieren.  

Narges Mohammadi ist die zweite Iranerin, die den Friedensnobelpreis erhält. 2003 ging er an die iranische Menschenrechtlerin und Juristin Shirin Ebadi. Schon damals ein wichtiges Zeichen: Ebadi war die erste Muslimin in der mehr als 100-jährigen Geschichte des Friedensnobelpreises, die diese Auszeichnung erhielt, und erst die elfte Frau. Die Vergabe blieb nicht ohne Folgen: 2009 befand sie sich auf einer Auslandsreise, als die Regierung ihr Büro in Teheran durchsuchen und ihr Vermögen beschlagnahmen ließ. Sie lebt seitdem im Exil. Das Regime in Iran hat bislang noch nicht auf die Vergabe des Friedensnobelpreises reagiert. Es bleibt abzuwarten, welche Folgen die Verleihung für Narges Mohammadi haben wird.  

Eines aber hat dieser Preis schon jetzt erreicht: Er hat den Blick der Welt auf den Mut all der Iranerinnen und Iraner gelenkt, die seit einem Jahr für die Freiheit kämpfen. Auf die Menschen, die das iranische Regime am liebsten vergessen wüsste.