Finnland "Ich verbringe mehrere Wochen im Jahr alleine in der Wildnis": Happiness-Coach über Glück, Einsamkeit und die Natur

Happiness-Coach Mikaela Creutz auf einer kleinen Wanderung im Wald.
Mikaela Creutz ist Happiness-Coach, Fotografin und Wanderführerin bei der Outdoor Association in Finnland. Sie lebt in Lappland, im Norden des Landes. 

© Laura Csapó
Die Finnen sind das glücklichste Volk der Welt – das liegt vor allem an ihrem Zugang zur Natur, sagt Happiness-Coach Mikaela Creutz. Sie verbringt mehrere Wochen im Jahr in der Wildnis, alleine, mitten im Wald und bei minus 30 Grad. Was ist ihr Schlüssel zum Glück?

Frau Creutz, was bedeutet Glück für Sie?
Die Natur – sie spendet Kraft, Erholung und ist der Schlüssel für unser Wohlbefinden. Unser Leben ist künstlich erschaffen und voll von Ablenkungen, die um unsere Aufmerksamkeit buhlen – dazu die Distanz zu vergrößern, gibt uns Ruhe im Alltag und eine andere Perspektive. Das spielt eine große Rolle für unser Glück. Hier in Finnland ist die Natur Teil unseres Lebens und eine verfügbare Ressource. Man ist umgeben von Wäldern und Seen. Es muss auch nicht immer ein extravaganter Ausflug sein. Nur 15 bis 30 Minuten pro Tag in der Natur zu verbringen, reicht oft schon. Das hebt den Puls an und klärt den Geist.

Wie haben Sie Ihre Verbindung zur Natur gefunden?
Vor zehn Jahren habe ich noch in der Finanzbranche gearbeitet, im Herzen der finnischen Hauptstadt Helsinki. Ich habe mich dort nach einer engeren Beziehung zur Natur gesehnt, wollte weg von diesem konstanten Stress und meine Gedanken wieder hören können. Ich habe mich bei einem Orientierungskurs angemeldet und gelernt, wie ich mich frei durch die Wildnis bewegen kann, wie man eine Karte und einen Kompass verwendet. Danach bin ich eine Woche lang mit einer Gruppe Gleichgesinnter nach Lappland aufgebrochen, um in der Natur zu wandern und zu campen.

Ich bin also aufs Ganze gegangen – und zu meiner Freude hat mir das genau das Selbstbewusstsein gegeben, von dem ich mehr in meinem Leben gebraucht habe. Danach bin ich jeden Monat auf kleinere Expeditionen gegangen, um mein Können zu stärken. Heute wandere ich, wann immer ich die Möglichkeit habe, und verbringe mehrere Wochen im Jahr allein in der Wildnis, vom Sommer bis in den Winter hinein. Ich schlafe mitten im Nirgendwo in einem Zelt – auch bei minus 30 Grad Celsius.

Fühlen Sie sich nicht manchmal einsam dabei?
Auch wenn ich die Gesellschaft von anderen genieße und kulturelle Aktivitäten schätze, brauche ich den Frieden, die Stille und diese Distanz vom Stadtleben. Sich mit seinem inneren Ich zu verbinden, ist ein lebenslanger Prozess. Und natürlich ist es nicht immer einfach, allein zu sein. Vor meiner ersten langen Solo-Wanderung hatte ich Angst – davor, was für eine Art von Person ich bin und ob ich mich langweile. Aber alles zurückzulassen und mir Zeit zu geben, hat mich realisieren lassen, dass ich meine Gesellschaft sehr genieße. Und es gab viel zu tun auf der Wanderung, ich musste  mich auf die einfachen Dinge konzentrieren: Sich zu bewegen, etwas zu trinken, zu kochen, mich warmzuhalten, zu schlafen.

Ein Boot am Ufer des Saimaa-Sees in Finnland.
Natur ist eine zugängliche Ressource in Finnland: Hier am Saimaa-See haben viele Finnen Sommerhäuser, in denen sie viel Zeit verbringen. So extravagant muss es aber gar nicht sein: Laut Happiness-Coach Mikaela Creutz reichen 15 bis 30 Minuten pro Tag in der Natur. 
© Laura Csapó

Fürchten Sie sich, wenn Sie allein in der Natur unterwegs sind?
Ich würde mich als durchschnittlich Sicherheits-bedürftige Person beschreiben, aber ich habe mich langsam vorgetastet. Ich kenne meine Grenzen. Ich habe keine Angst allein im Wald zu schlafen. Das ist für mich die natürlichste Umgebung, in der ich Zeit verbringe. Ich finde es oft viel schwieriger, Menschen zu verstehen und die komplexen Systeme, die wir um uns erschaffen haben. Tiere haben mehr Angst vor mir als ich vor ihnen. Und vor der Dunkelheit braucht man sich auch nicht fürchten. Die Augen gewöhnen sich an die Umgebung. In der Nacht erleuchten Sterne, der Mond und der Schnee die Umgebung, wenn es keine Lichtverschmutzung gibt. Außerdem fühle mich in Finnland sehr sicher. Ich wohne im Norden – in Lappland – dort schließe ich weder mein Auto noch meine Türe ab. Zumal ich durch meine Trips immer mehr innere Sicherheit gewonnen und mit heimgebracht habe.

Was hat Sie die Natur gelehrt?
Es gibt keinen richtigen oder falschen Weg, die Natur zu genießen. Man fühlt sich dort total unbedeutend – auf eine sehr schöne Art und Weise. Weltliche Sorgen schwinden auf einmal. Diese Erlebnisse in der Natur haben für mich auch mit Gleichberechtigung zu tun. In Finnland ist es ganz natürlich, oft sogar selbstverständlich, dass man auch als Frau gelernt hat, alleine in der Natur zurechtzukommen. Das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Es gibt hier für alle dieselben Möglichkeiten. Die Natur lässt einen wachsen. Und diese Stärke lässt sich auch auf den Alltag übertragen.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Wo finden Sie diese innere Stärke?
Für mich sind die weiten, offenen Landschafen des Nordens sehr wichtig, die Sonnenuntergänge, der Wald. Die Größe der Bäume, die uns umgibt, lässt uns kleiner fühlen. Das hat auch etwas Beschützendes an sich. Wir haben hier in Finnland eine richtige Sommerhaus-Kultur und verbringen viel Zeit in Hütten direkt am See. Dort spüren wir die beruhigenden Effekte von Wasser. Diese Freiflächen sind wichtig, um den Geist frei reisen zu lassen. Und selbst wenn man nicht am Wasser lebt, muss man sich eigentlich nur an den Rand eines Feldes stellen und man spürt denselben Effekt. Das gibt einem das Gefühl von Lebendigkeit und es erdet einen.

Was heißt das finnische Sisu für Sie?
Sisu bedeutet Selbstsicherheit, Selbstbewusstsein, Ausdauer und Durchhaltevermögen. Dabei geht es weniger um einen glücklichen Moment, sondern darauf, sich auf die essenziellen Dinge zu konzentrieren. Sisu ist eine innere Kraft. Sie zu erlangen, ist ein lebenslanger Prozess.

Was bedeutet das Jedermannsrecht für die Finnen?
Das Jedermannsrecht ist total wertvoll, es macht uns die Natur zugänglich – es bedeutet, dass jeder dasselbe Recht auf die Natur hat. Das finnische Umweltzentrum schätzt, dass Finnland 6300 Kilometer Küstenlinie hat. Zählt man die Seen dazu sind geschätzt 215.000 Kilometer. Finnland hat ein Netzwerk von 41 Nationalparks, die nichts kosten. Jeder Finne kann temporär sein Zelt aufstellen, wo immer er möchte – solange man nichts anstellt oder Spuren in der Natur hinterlässt. Man kann spazieren, Fahrrad fahren oder Ski fahren, auch auf Privatgrund. Mit diesen Rechten kommt aber natürlich auch eine Verantwortung. Man sollte niemanden in seinem Zuhause stören oder Privathäusern zu nahe kommen. In Finnland gibt es kaum Zäune – außer vielleicht, um schöne Blumen vor Rentieren zu schützen.