Essay Ich bin eine Frau Anfang 40 – muss ich mich vor dem Älterwerden fürchten?

  • von Linda Tutmann
Wie fühlt sich das Leben als Frau jenseits der 50 und 60 an? Unsere Autorin unternimmt eine Reise in ihre eigene Zukunft. Und merkt: Der Kampf um die eigene Sichtbarkeit geht schon in der Gegenwart los.
Frau mit Spiegel steht in einem Maisfeld
Unter Beobachtung: Wie blickt die Gesellschaft auf Frauen in der Lebensmitte? 
© Oleksandra Troian / Imago Images

Das Alter meiner Großmutter war bis zu ihrem Tod ein Geheimnis. Auf ihren Geburtstagsfeiern, die sie gern und mit vielen Menschen feierte, auf denen sie bis in den Morgen barfuß tanzte, wurde nur hinter vorgehaltener Hand über diese zwei Ziffern spekuliert, die der Grund waren, dass wir zusammengekommen waren.

1972 schrieb die US-Autorin Susan Sontag einen Text darüber, dass das Alter bei Männern und Frauen unterschiedlich bewertet werde. Nach der Kindheit werde das Geburtsjahr einer Frau zur Geheimsache, ihrem Privateigentum. Dieses Geheimnis habe etwas Schmutziges, so formulierte es Sontag. Bei Männern sehe das anders aus. Wer als Mann über sein Alter lüge, gelte als unmännlich.

Ich kann meine Großmutter nicht mehr fragen, ob sie Sontags Gedanken geteilt hätte; sie starb vor fünf Jahren. Aber das größte Kompliment, das man ihr machen konnte, war, dass sie für unsere Mutter gehalten wurde, wenn sie mit mir und meinen Geschwistern unterwegs war. Dann strahlte sie und zwinkerte uns zu. Nie hätte sie ihr Gegenüber korrigiert. Meinen Großvater hingegen interessierte das nicht, er trug schludrige Jacketts und lachte über seine Frau. Das Geheimnis um ihr Alter: eine Marotte.

Vor Kurzem musste ich an meine Großmutter denken – und daran, dass sie nie alt sein wollte. Eine Kollegin schob mir ein Buch der Autorin Bascha Mika zu. "Mutprobe: Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden" heißt es. Das Buch erschien vor zehn Jahren, gefühlt vor einer halben Ewigkeit.

Werden Frauen im Alter unsichtbar?

Wie ist das heute, wollte meine Kollegin wissen. Müssen Frauen immer noch Angst davor haben, älter zu werden? Ich war kurz etwas beleidigt. Ich bin 42 Jahre alt. Natürlich nicht mehr richtig jung, ich habe Falten, die Haut wird weicher, mein Gesicht schmaler. Viele Gedanken hatte ich mir bisher über das Älterwerden noch nicht gemacht. Aber: Ich lese das Buch. Und grusele mich etwas. Mika schreibt von dem "Verschwindefluch", der Frauen ab Anfang 40 ereile: Sie werden unsichtbar. Kann das stimmen, auch heute noch? Und was bedeutet das für mich?

Erschienen in stern 07/2024