Facebook-Aufruf Begegnung im Krankenhaus: Kölner sammelt Klamotten für obdachlosen Bettnachbarn

Coronavirus: "Die Vergessenen" – wie eine Sängerin Obdachlosen in Hamburg hilft
© stern




Wyn Matthiesen: “Stay home“ lautet der Appell vieler Politiker und Prominenter in Zeiten der Coronakrise. Aber was, wenn man kein Zuhause hat, so wie Obdachlose? Viele Hilfseinrichtungen zur Essensausgabe und zum Duschen sind geschlossen. Und wenn man keinen Ort mehr hat, an dem man wirklich sicher ist, kann die Coronakrise zur Existenzfrage werden. Wie geht es aktuell Menschen, die auf der Straße wohnen?  


Wyn Matthiesen: Ich treffe mich gleich mit der Sängerin Alli Neumann auf der Reeperbahn. Sie unterstützt die Petition “Corona-Schutz für Obdachlose” von GoBanyp, dem ersten mobilen Duschbus für Obdachlose in Deutschland. Echt krass: vorhin am Telefon hat sie mir erzählt, dass sie Menschen begegnet ist, die seit mehreren Tagen nichts mehr gegessen haben. Auch heute ist sie wieder auf der Reeperbahn unterwegs und verteilt Essensgutscheine. Ich werde sie gleich begleiten und vor allem fragen, was eigentlich ihre Motivation ist. Selbstverständlich gilt es dabei auch für mich, den Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten, so wie alle anderen momentan auch.  


Wyn Matthiesen (Voice-Over): Alli Neumann verteilt zusammen mit ihrer Schwester Feeja Reiche auf der Reeperbahn Essensgutscheine an Menschen ohne Dach überm Kopf, und das schon seit mehreren Tagen. Was ist ihre Motivation? 


Alli Neumann: Nächstenliebe natürlich. Uns geht es gut in Deutschland und wir persönlich haben auch die Kapazität noch zu helfen. Und das wollen wir natürlich auch tun. Gestern haben wir Leute gefunden, die haben zehn Tage lang nicht gegessen. Die sind ja nicht aufgefunden worden von uns oder anderen Ehrenamtlichen. Wir haben dann Lebensmittelgutscheine gekauft.  


Wyn Matthiesen (Voice-Over): Die beiden Frauen besorgen zunächst Lebensmittelgutscheine in einem Supermarkt. 


Alli Neumann: Wir kommen gerade von Penny und haben Lebensmittelgutscheine gekauft. Das ist die einzige Möglichkeit, die wir gerade haben, ohne selbst Lebensmittel anzufassen. Damit können sich jetzt Leute selber was holen.  


Wyn Matthiesen (Voice-Over): Peppi heißt der erste Obdachlose, den Alli trifft. 


Wyn Matthiesen: Haben sich die Hygienemaßnahmen verschlechtert? 


Peppi: Total, weil alles zu ist. Du kannst nicht mal, wenn du einen Euro auf der Tasche hast, auf ein öffentliches Klo gehen, weil auch die sind zu. Da steht immer “warten Sie“ und da kannst du fünf Stunden hin latschen, dann steht da immer noch “warten Sie“.  Es ist alles dicht hier.  


Wyn Matthiesen (Voice-Over): Über mangelnde Essenversorgung kann sich Peppi nicht beklagen. 


Peppi: Hier fahren Hells Angels vorbei und geben dir Essen. Der Elbschlosskeller gibt dir Essen. Hier sind Leute aktiv, was du dir vorher gar nicht vorstellen konntest. Also Essen ist gesichert, danke.  


Wyn Matthiesen (Voice-Over): Was steckt hinter der Kampagne „Corona-Schutz für Obdachlose” von GoBany? 


Alli Neumann: Die konkreten Forderungen sind eine dezentrale Unterbringung in Hamburg, der Obdachlosen und vor allem eine schnelle Lösung zu finden.  


Alli Neumann: Am allerbesten, indem man die Petition unterstützt. Sie findet man auf change.org, oder einfach Gobanyo-Petition bei Google eingeben – dann findet man das. Und wir hoffen, dass es ganz schnell eine andere Lösung gibt als diese.  


Wyn Matthiesen: Ist es hier schlimmer geworden seit der Coronakrise? 




Thorsten Moehl: Ja auf jeden Fall. Es gibt keine geöffneten Tagesaufenthaltsstätten mehr, wo Leute dann mal was zu essen bekommen oder wo die sich aufwärmen können. Insofern ist dringend Hilfe geboten. Das kann auch nicht alles der Staat leisten, sondern da muss bürgerliches Engagement passieren, das ist ganz, ganz wichtig. 


Wyn Matthiesen (Off-Speaker): Wie schützen sich Alli und Feeja eigentlich selber vor dem Coronavirus? 


Alli Neumann:  Ehrlich gesagt probieren wir vor allem, die Bedürftigen zu schützen.... Wenn wir jetzt den Mundschutz tragen, dann vor allem, damit wir nicht die Gefahr eingehen, dass wir die auch noch anstecken.  


Wyn Matthiesen (Off-Speaker): Unter einer Brücke treffen wir Cheyenne. Sie wohnt hier mit ihren zwei Hunden.  


Wyn Matthiesen: Was hat sich verändert seit der Coronakrise? 


Cheyenne: Ich finde weniger Leute. Wir finanzieren uns überwiegend durch Spenden, durch Flaschen sammeln, Schnorren. Und das fällt jetzt alles flach. Keine Leute unterwegs, keine Biertrinker also auch keine Flaschen.  


Wyn Matthiesen: Was würdest du dir für eine Unterstützung von der Politik? 


Cheyenne: Ich weiß nicht, was das für einen Sinn macht, gerade mit Quarantäne – und wir laufen dann dreckig durch die Gegend. Anfälliger für Corona geht es ja gar nicht. Da geht es ja gar nicht. Ich denke gerade Hygiene ist wichtig, gerade bei so einem Fall. Da sind wir natürlich außen.  


Wyn Matthiesen: So, ich bin jetzt auf dem Weg zurück. Das war echt eindrucksvoll. Mein Gefühl ist, dass es viele Ehrenamtliche gibt, die den Obdachlosen helfen mit Speisen und Getränken. Und die sind dafür sehr dankbar. Was allerdings komplett fehlt, ist Hygiene. Und Hygiene ist nun mal wichtig, um zu verhindern, sich anzustecken.  


Wyn Matthiesen: Die Obdachlosen richtig zu unterstützen ist schwer. Denn obwohl man helfen will, kann es passieren, dass man das Virus an die weitergibt, die es am wenigsten gebrauchen können. Alli und ihre Schwester zeigen, wie es geht: Mit Mundschutz, Handschuhen und viel Liebe.  
Im Krankenhaus lernte ein Kölner einen Obdachlosen kennen, der seine Kleidung verloren hatte. Über Facebook rief er zu Spenden auf – die Hilfsbereitschaft war riesig.

Meistens ist das Elend in unserer Gesellschaft weit weg, nur ein Name, eine Nachricht, ein Mensch am Straßenrand, den man gar nicht wirklich wahrnimmt. Doch manchmal kommt es zu Situationen, in den die Privilegierten mit den Problemen der Armen konfrontiert sind – und sich erst dann wirklich darüber klar werden, wie schwer die es jeden Tag haben.

Für den Kölner Oliver Frommlet war sein Krankenhausaufenthalt am vergangenen Wochenende ein solches Erlebnis. Frommlet teilte sich das Zimmer mit Jürgen, einem Obdachlosen, der seit Wochen draußen in der Kälte geschlafen hatte. Nun musste er im Krankenhaus behandelt werden – und zu allem Überfluss war seine Kleidung in der Klinik verlorengegangen. Oliver Frommlet berichtete davon in der Facebook-Gruppe "Meine Südstadt", in der sich Menschen aus dem Kölner Stadtteil vernetzen. Und er hatte eine Bitte: "Wer hat Herrenklamotten abzugeben?" Die Kleidungsstücke könnten im Krankenhaus abgegeben werden.

Obdachloser findet Geldbeutel und wird zum Helden
Obdachloser findet Geldbeutel und wird zum Helden
© KameraOne
Obdachloser findet Geldbeutel und macht ein kleines Vermögen – weil er eine ehrliche Haut ist

Kölner Facebook-User spenden "alles, was man braucht"

Hilfe war dringend gefragt, denn der Obdachlose besaß nicht einmal mehr Schuhe. Das Problem war allerdings innerhalb weniger Stunden gelöst. Viele Kölner wurden auf Frommlets Post aufmerksam und brachten Kleidung ins Krankenhaus. An der Rezeption sollten sie einen bestimmten Code nennen, um klarzumachen, dass die Spenden für den Obdachlosen Jürgen gedacht waren.

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So war der Bedarf schnell gedeckt. "Langsam ist schon fast alles da ausser nem Job und ner Wohnung", so ein Update von Frommlet. Der Kölner postete nur fünf Stunden nach seinem Aufruf ein Bild von Jürgen, umgeben von Kleidungsspenden: "Er ist total erschöpft von den ganzen Sachen und der vielen direkten Hilfe, ihr seid die Besten! Der liebe Jürgen hat jetzt alles, was man braucht und noch viel mehr." Schuhe, Jacken, Pullis, Unterwäsche und Decken wurden abgegeben. Damit übersteht Jürgen hoffentlich die kalten Wintertage.

epp