Spätestens seit dem Mord an George Floyd im vergangenen Jahr ist das Thema Rassismus in den gesellschaftlichen Debatten allgegenwärtig. Aber führen wir diesen Diskurs richtig? Der Kabarettist und Autor Marius Jung geht das Thema gern mit Humor an, verfolgt mit seinem neuen Buch "Wer wird denn da gleich schwarzsehen" aber auch ganz ernsthafte Anliegen: Er wünscht sich eine Debatte, in der beide Seiten aufeinander zugehen und miteinander reden. Schließlich, so betont Jung, bringe jeder seine eigenen Vorurteile und Ressentiments mit.
Im stern-Interview spricht Marius Jung über Rassismus-Witze, seine eigenen Erfahrungen und darüber, wie er Weißen erklärt, dass das N-Wort nicht akzeptabel ist.
Marius Jung: "Wir alle haben Ressentiments in uns"
stern: Herr Jung, erzählen Sie doch mal Ihren besten Witz über Rassismus.
Marius Jung: Ich eröffne auf der Bühne immer gerne mit dem Spruch: "Mein Name ist Marius Jung – wenn man so aussieht wie ich, kann man nicht verleugnen, wo man herkommt: Ich komme aus Köln." Das sagt für mich ganz viel über das Thema aus.
Man darf also über Rassismus lachen – auch als Weißer?
Ich glaube, dass wir über alles Witze machen können und sollten. Und Rassismus ist viel zu ernst, um keine Witze darüber zu machen. Wir brauchen Abstand zu einem Thema, um darauf schauen zu können. Erst dann können wir die Strukturen und die Probleme erkennen.
Wie reagiert denn Ihr Publikum auf solche Sprüche?
Das ist völlig unterschiedlich. Im Kabarett arbeitet man oft mit dem berühmten Lachen, was einem im Halse stecken bleibt. Ich erzähle etwas ganz Lockeres und drehe dann den Spieß plötzlich um, um klarzumachen, wo der Rassismus steckt. Ich glaube, dass Rassismus einfach da ist. Und erst in dem Moment, wo auch mein Gegenüber dieser Ansicht ist, können wir über Rassismus sprechen. Denn wenn jemand nicht glaubt, dass es Rassismus in Deutschland gibt – und davon gibt es genug Menschen –, dann bleibt die Diskussion im luftleeren Raum.
Gibt es für Sie auch eine rote Linie, die Sie nicht überschreiten würden?
Die muss ich aus meinem Gefühl heraus sowieso ziehen, weil meine Grenze nicht die Grenze der anderen ist. Und gleichzeitig geht es immer darum, dass die Haltung dahinter stimmt. Ich kann ziemlich üble Gags machen, wenn das Publikum merkt, dass ich auf der richtigen Seite stehe.

"Wer wird denn da gleich schwarzsehen"
232 Seiten
17,95 Euro
ISBN 978-3841907769
Aber natürlich ist Rassismus auch ein sehr ernstes Thema, mit dem Sie persönlich teils schmerzhafte Erfahrungen gemacht haben, von denen Sie in Ihrem Buch berichten. Können Sie sich spontan erinnern, wann Sie zuletzt Rassismus erlebt haben?
Vor zwei, drei Tagen ging ich die Straße entlang und eine Frau blieb vor mir stehen und starrte mich an, als hätte ich eine Kalaschnikow auf sie gerichtet. Sie hatte ein bisschen Angst im Blick. Da bin ich zu ihr hingegangen und habe sie gefragt, ob irgendwas wäre und dann raunzte sie mich nur an, ich solle dahin gehen, wo ich herkomme. Das sind aber Momente, die ich heute viel besser aushalten kann, weil ich mich viel damit beschäftigt habe und weiß, die Frau meint eigentlich nicht mich. Ich bin lediglich Projektionsfläche.
Wie oft passiert Ihnen so etwas?
Manchmal passiert es täglich oder sogar mehrfach täglich und dann wieder eine Woche lang nicht. Aber wenn es mir zum Beispiel gerade gut geht mit meiner Familie, kann ich das oft auch weglächeln. Das darf man nicht unterschätzen. Wenn ich alles abspeichern würde, wäre der Speicher hier oben längst voll – so eine große Festplatte hat niemand. Denn die Einschätzung jeder Situation und die Einschätzung meiner Person tätige am Ende ich. Wenn mich jemand runtersetzen will und ich gehe da nicht mit, dann kommt das auch nicht so bei mir an. Deshalb müssen wir zum Beispiel unseren Kindern viel mehr Empowerment mitgeben, damit sie ein gutes Selbstbewusstsein haben.

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Seit dem Tod von George Floyd und der Black-Lives-Matter-Bewegung ist das Thema sehr präsent in der Öffentlichkeit – vor allem in den USA, zunehmend aber auch in Deutschland. Stellen Sie Fortschritte fest?
Da passiert viel, weil der Rassismus nicht mehr zu verleugnen ist. Diese acht Minuten Todeskampf von George Floyd haben so viel verändert, weil sich diesen Bildern keiner verschließen konnte. Für uns in Deutschland war es gar nicht so schlecht, dass dieser Mord auf der anderen Seite des Teiches passiert ist. Mit diesem Abstand können wir die Dinge besser erkennen. Hier gibt es die ganz große Angst vor der Nazikeule. Da verschließen sich die Menschen und es ist dann ganz schwierig, sie wieder dazu zu bringen, sich für das Thema zu öffnen.
Heißt das, dass wir die Art und Weise, wie wir den Diskurs über Rassismus führen, ändern müssen?
Auf jeden Fall. Wenn wir in den Diskurs gehen wollen, müssen wir erst einmal die eigene Fehlbarkeit einräumen. Wenn ich davon ausgehe, dass alles, was ich sage, richtig ist, brauche ich nicht zu diskutieren. Ich bin überzeugt davon, dass wir alle Ressentiments in uns haben. Ein Beispiel dafür sind die Witze über die Polen, die Autos klauen. Das sind ganz tief verwurzelte Sachen, die wir uns bewusst machen müssen, um gegen sie angehen zu können.
Seine eigene Fehlbarkeit eingestehen und sich selbst hinterfragen – gilt das für beide Seiten?
Das gilt für jeden. Wir brauchen die Offenheit dafür, dass der andere vielleicht doch einen Satz sagt, den ich gut finde. Ich spreche jetzt nicht von der NPD oder der AfD, sondern von diesem arglosen Rassismus, der uns oft Menschen verletzen lässt, ohne dass wir es merken.
Vor allem ältere Menschen benutzen oft noch ganz selbstverständlich Worte, die mittlerweile als rassistisch gelten, weil sie sich nie damit auseinandergesetzt haben.
Ich habe auf der Bühne oft die Frage ans Publikum gestellt: Wie nennen Sie nicht-weiße Menschen? Da kommt dann vor allem auf dem Land als Antwort oft das N-Wort, als sei das ganz normal. Dabei habe ich kurz davor gesagt, dass dieses Wort rassistisch konnotiert ist und von Weißen nicht benutzt werden sollte. Und dann kommt immer der Satz: "Das habe ich ja nicht so gemeint."
Wie geht man damit um?
Reden, reden, reden. Ich erinnere mich an eine ältere Dame, die mir lächelnd das N-Wort zurief. Da habe ich gesagt: "Sobald wir uns besser kennen, nenne ich Sie nur noch Schlampe." Ein Raunen ging durch den Saal, aber sie lächelte plötzlich und sagte: "Ach so." Da haben es die Leute plötzlich verstanden. Begriffe wie Zigeunersoße oder Mohrenkopf lösen bei vielen Menschen etwas Positives aus, aber dadurch verlieren sie natürlich nicht ihren Ursprung und ihren Sinn.

Können Sie nachvollziehen, wenn Leute völlig verunsichert sind und gar nicht mehr wissen, was sie noch sagen dürfen und was nicht?
Diese Verunsicherung ist Teil des Prozesses. Es ist durchaus gut, wenn wir verunsichert sind, weil das nämlich heißt, dass der eigene Status quo in Frage gestellt wird. Unsere Sprache verändert sich, und das schockiert viele Menschen. Jeder hat Angst davor, Privilegien und Macht einzubüßen. Aber es muss irgendwann bei den Menschen ankommen, dass niemand tot umfallen wird, wenn er das N-Wort nicht mehr benutzt.
Eine ganz ähnliche Diskussion gibt es ja auch beim Gendern.
Natürlich können die Gegner da immer sehr gut argumentieren, dass unsere Sprache dadurch kaputtgeht. Aber ein Gendersternchen oder die Abkürzung N-Wort sind Störer. Sie sollen stören, damit wir uns bewusst werden, dass da etwas nicht stimmt, dass da Menschen nicht genannt werden oder Menschen sich verletzt fühlen.
Zusammenfassend: Was würden Sie sich von weißen Menschen wünschen?
Eigentlich würde ich erst einmal lieber sagen, was ich mir von uns allen wünsche: Ich glaube, wir müssen uns gegenseitig zuhören. Denn für einen Diskurs braucht es immer zwei. Natürlich geht es um Rassismus von Weißen gegenüber Nicht-Weißen, das ist völlig klar. Aber es braucht von beiden Seiten Offenheit und Verständnis. Von weißen Menschen wünsche ich mir, dass sie akzeptieren, dass es Rassismus gibt, dass es ihn jeden Tag gibt und dass wir als nicht-weiße Menschen jeden Tag damit leben. Und da müssen sie auch mal ein wenig mehr Verständnis aufbringen, wenn wir manchmal komisch reagieren, weil das Maß einfach voll ist.