Papstbuch Der große Konservative im Vatikan

Über 26 Jahre regiert Johannes Paul II. im Vatikan, auf seinen Reisen wird er von Menschenmassen bejubelt. Doch was der Papst in seinem neuen Buch "Erinnerung und Identität" schreibt, ist für die Gläubigen mitunter schwer zu ertragen.

Manche Gläubige hatten schon gehofft, der Papst sei milder geworden. Altersmilde sozusagen, versöhnlicher beim Umgang mit Streitthemen. Doch wer sein neues Buch "Erinnerung und Identität - Gespräche an der Schwelle zwischen den Jahrtausenden" liest, merkt schnell, dass diese Hoffnung trügerisch war. Nicht nur wegen des Vergleichs des Holocausts mit der Abtreibung, der in Deutschland schon Empörung auslöste. Es sind die alten Themen, die das Buch beherrschen - die Warnung vor der Verführung des Westens, die Skepsis vor der Demokratie und immer wieder die Aversion gegen freie Sexualität und Empfängnisverhütung. Wenn das Buch das geistige Vermächtnis von Johannes Paul II. darstellt, dann wird klar: Dieser Papst wird ein schwieriges Erbe hinterlassen.

Wojtylas persönliches Buch

Das 224-Seiten-Werk, das an diesem Mittwoch im Weltbild Buchverlag (Augsburg) erscheint, ist ein persönliches Buch. Karol Wojtyla, in der Nähe von Auschwitz geboren, hat die Martyrien unserer Zeit durchlitten: Herrschaft der Nazis und der Kommunisten, zwei Ideologien ohne Gott. Sie waren die Herrschaft des Bösen für ihn, und das hat ihn geprägt, bis heute: Eine Welt ohne Gott ist die alles überschattende Furcht dieses Papstes: "So zu leben, als ob Gott nicht existierte, bedeutet, außerhalb der Koordination von Gut und Böse zu leben...." Heißt das, Nicht-Gläubige und die Menschen im glaubensfernen Westen könnten Gut und Böse nicht unterscheiden?

Problematisch auch sein Zugang zum Holocaust. Da führt er die Schwachstelle der Demokratie an, denn die Nazis waren zunächst legal ins Parlament gekommen. Doch zum Makel des Anti-Judaismus der Kirche (Juden als "Christusmörder" zu verdammen), der eine blutige Spur durch die europäische Geschichte zieht und auf den die Nazis geschickt und eiskalt aufbauen konnten, kein Wort. Dabei hatte der Papst bei dem großen "Mea Culpa" (Schuldbekenntnis) im Jubeljahr 2000 um Vergebung für die Judenverfolgung der Christen gebeten.

Dunkle Mächte am Werk

Dann spricht der Papst von "Anti-Evangelisierung", ein böses Wort, und er meint damit "freie Liebe", Pille und Präservativ, kurz: "Manipulation des Lebens". Dunkle Mächte sieht er am Werk, weltweit und im Schutz der Demokratie. Es klingt nach Verschwörung, nur was genau gemeint ist, erfährt der Leser nicht: "Dieses Programm arbeitet mit enormen finanziellen Mitteln, nicht nur in den einzelnen Nationen, sondern auch auf Weltebene. Tatsächlich verfügt es über große Zentren ökonomischer Macht, mit deren Hilfe es versucht, den Entwicklungsländern die eigenen Konditionen aufzuzwingen."

Hat er damit die Kampagnen für Kondome in der Dritten Welt im Visier? Die Bevölkerungspolitik der UN, die ihm schon lange ein Dorn im Auge ist? Dann fährt der Papst schweres Geschütz auf: "In Anbetracht all dessen kann man sich zu Recht fragen, ob das nicht eine andere Form von Totalitarismus ist, die sich heimtückisch verbirgt unter dem Anschein der Demokratie."

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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"Kein Mann der lauen Kompromisse"

Versöhnlich und altersmilde klingt das wahrlich nicht. Das Buch basiert auf Gesprächen, die der Papst 1993 mit den polnischen Philosophen Józef Tischner und Krzysztof Michalski führte. Doch er soll den Text nochmals aktualisiert haben. "Dieser Papst ist kein Mann der lauen Kompromisse", meinte ein Theologe im Vatikan einmal. Über 26 Jahre regiert der große Konservative im Vatikan, auf seinen Reisen wurde er von Millionen Menschen bejubelt - doch was er sagt, ist für das Glaubensvolk, vor allem in Europa, mitunter schwer zu tragen. Das wird in dem Buch erneut deutlich.

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Peer Meinert/DPA