Eigentlich war es unvorstellbar, was da am Sonntag irgendwo zwischen Warschau und der Vatikanstadt geschah: Nur eine Stunde vor seiner feierlichen Amtseinführung trat der wegen Geheimdienstverstrickungen in die Kritik geratene neue Warschauer Erzbischof Stanislaw Wielgus zurück. Offiziell hieß es zunächst lediglich, der Papst habe den Rücktritt angenommen. Jedoch scheint klar, dass Wielgus diese schwere Entscheidung nicht allein getroffen haben kann. Nachdem Benedikt XVI. bereits im September wegen seiner umstrittenen Rede in Regensburg zum Thema Dschihad weltweit kritisiert wurde, beginnt für ihn das neue Jahr gleich mit einem Fehlstart.
Schließlich hatte der Vatikan den Bischof bis zuletzt in Schutz genommen und betont, vollstes Vertrauen in ihn zu haben. Beobachter warnten aber seit Tagen, Benedikt werde seine Entscheidung, sich hinter Wielgus zu stellen, bereuen. "Das wird schmerzliche Konsequenzen für den Papst haben", sagte der Historiker und ehemalige polnische Außenminister Bronislaw Geremek der Zeitung "La Repubblica". Wie die meisten Polen zeigte auch er sich überzeugt, dass Benedikts Vorgänger Karol Wojtyla einen anderen Nachfolger für Kardinal Jozef Glemp ausgewählt hätte. "Aber die Kirche ist eine hierarchische Institution: Roma locuta, causa finita (Rom hat gesprochen, die Sache ist erledigt)", erklärte Geremek.
Brisanz des Falles unterschätzt
Da hatte er sich getäuscht. Und auch mit Wielgus’ Rücktritt scheint die Sache noch lange nicht erledigt. Denn Polen hat im Vatikan Jahrzehnte lang eine ganz besondere Rolle gespielt. Johannes Paul II. unterstützte in den 80er Jahren die pro-demokratische Solidarnosc-Bewegung und trug so zum Fall des Kommunismus in Polen im Jahr 1989 bei. Auch Benedikt hat nach dem Tod seines Vorgängers mehrmals betont, wie sehr ihm die Nation seines Vorgängers am Herzen liegt - nicht umsonst führte ihn eine seiner ersten Reisen im vergangenen Mai unter anderem nach Warschau, Krakau, Wadowice und Auschwitz. Aber das diplomatische Geschick, mit dem Karol Wojtyla die polnische Vergangenheit anging, scheint seinem Nachfolger zumindest im Fall Wielgus gefehlt zu haben.
Fast scheint es heute wie ein Omen, dass Benedikt in einer Rede vor dem polnischen Klerus dazu aufrief, Sündern in der Kirche zu vergeben und ihre Taten in den geschichtlichen Kontext einzuordnen: "Man muss sich vor der Anmaßung hüten, sich als Richter über die vergangenen Generationen aufspielen zu wollen, die zu anderen Zeiten und unter anderen Umständen gelebt haben", sagte er. Dabei unterschätzte er allerdings die Brisanz, die die Spitzel- Vergangenheit eines Geistlichen auch heute noch in Polen hat.
Papst Benedikt revidiert nur ungern
Benedikt ist bekanntermaßen ein Mann, der einmal getroffene Entscheidungen nur ungern ändert. Das hat er wohl auch im Fall Wielgus bis zuletzt versucht. Gut zwei Wochen lang hielt der Vatikan trotz stets neuer Enthüllungen über die Geheimdienstkontakte von Wielgus an seiner offiziellen Linie fest: Der Heilige Stuhl habe "bei seiner Entscheidung zur Ernennung des neuen Erzbischofs von Warschau alle Umstände seines Lebens untersucht, auch die, die mit seiner Vergangenheit in Zusammenhang stehen".
Aber nachdem Wielgus seine Kontakte zum Geheimdienst schließlich öffentlich eingestand, machten sich auch im Heiligen Stuhl Verärgerung und Irritation breit. Ob und in welchem Maße der Fall Wielgus Benedikt und dem Vatikan geschadet hat, wird die Zeit zeigen. Aber eine "bella figura" hat der Papst bei dem ganzen Hin und Her nicht gemacht.