Empörung und Entsetzen Missbrauch vertuscht? Ein TV-Bericht über Papst Johannes Paul II. wird in Polen zum Politikum

Papst Johannes Paul II. bei einem Besuch in Polen im Jahr 1979
Papst Johannes Paul II. bei einem Besuch in Polen im Jahr 1979
© DPA
In einem Fernsehbeitrag wird dem verstorbenen Papst Johannes Paul II. vorgeworfen, Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche Polens vertuscht zu haben. Dort sorgt der Bericht für Entsetzen. In der Regierung herrscht Empörung – aber nicht über den Papst.

Papst Johannes Paul II. hat in seiner Heimat Polen den Status eines Nationalhelden. Statuen und Bilder von ihm sind allgegenwärtige Teile der Stadtbilder. Der 2005 verstorbene und 2014 heiliggesprochene Pontifex wird in dem stark katholisch geprägten Land hoch angesehen.

Umso entsetzter sind die Menschen in Polen nach einem Bericht des örtlichen Fernsehsenders TVN. Demnach soll Johannes Paul II. vor seiner Wahl zum Papst im Jahr 1978 Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche Polens vertuscht haben.

In seiner Zeit als Kardinal und Bischof von Krakau habe Karol Wojtyla, wie Johannes Paul II. mit weltlichem Namen heißt, von Pädophilie-Fällen gewusst, berichtete der Privatsender unter Berufung auf Recherchen des Journalisten Michal Gutowski. Neu sind die Vorwürfe allerdings nicht; die Tageszeitung "Rzeczpospolita" hatte bereits im vergangenen Jahr darüber berichtet.

"Er bat, es nirgendwo zu melden" 

Laut dem Bericht von TVN versetzte Wojtyla Priester aus seiner Diözese, über deren Taten er informiert war, in andere Gemeinden, um Skandale zu vermeiden. Einer der Priester wurde demnach nach Österreich geschickt. Kardinal Wojtyla habe für ihn ein Empfehlungsschreiben an den Wiener Kardinal Franz König geschrieben, ohne ihn über die Vorwürfe gegen den Priester zu informieren.

Gutowski sprach für seine Recherchen mit Opfern pädophiler Priester, deren Angehörigen und ehemaligen Angestellten der Diözese. Er stützte sich auch auf Dokumente der ehemaligen kommunistischen Geheimpolizei SB und Dokumente der Kirche. Die Diözese Krakau habe ihm allerdings den Zugang zu ihren Archiven verweigert, sagte der Journalist.

Die katholische Kirche in Polen hatte sich bereits in der Vergangenheit geweigert, Dokumente an Gerichte und sogar öffentliche Kommissionen herauszugeben, die Missbrauchsfälle untersuchten.

Ein Zeuge, der um Anonymität bat, bestätigte, er habe Kardinal Wojtyla persönlich von pädophilen Handlungen eines Priesters im Jahr 1973 berichtet. "Wojtyla wollte zuerst sichergehen, dass es sich nicht um Bluff handelt", so der Zeuge. "Er sagte, er würde sich darum kümmern und bat, es nirgendwo zu melden."

Katholische Kirche in Polen will Kommission einberufen

Die katholische Kirche in Polen reagierte zunächst zurückhaltend auf den Bericht. Die Bestimmung seiner Rolle und eine gerechte Bewertung seiner Entscheidungen und Handlungen erfordere weitere Archivrecherchen, teilte der Koordinator der Bischofskonferenz für den Schutz von Kindern und Jugendlichen, Adam Zak, mit.

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"Heute haben wir zweifellos ein viel größeres gesellschaftliches Bewusstsein für die Auswirkungen sexuellen Missbrauchs", hieß es in der Stellungnahme weiter. Die Kirche habe Verfahren und Wege entwickelt, um zu reagieren und zu helfen.

Die katholische Kirche in Polen will nun ein unabhängiges Expertengremium einberufen, um Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Priester nachzugehen. Dem Gremium sollten Historiker, Juristen und Psychologen angehören, sagte der polnische Primas Wojciech Polak am Dienstag nach einem Treffen der Bischofskonferenz. Alle Bischöfe seien für die Einberufung der Expertenkommission gewesen.

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Nationalkonservative Regierung erzürnt über Berichte

Der TVN-Bericht löste bei der rechtsgerichteten Regierung in Warschau Empörung aus. Allerdings richtete sich diese nicht an den verstorbenen Pontifex oder an die katholische Kirche, sondern über den Bericht und den Fernsehsender.

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki nannte die Vorwürfe "einen Versuch, einen zivilisatorischen Krieg in Polen zu provozieren". Kulturminister Piotr Glinski sagte: "Ein Angriff auf den Papst ist ein Angriff auf Polen, auf die polnische Staatsräson."

Die Regierung bestellte sogar den US-Botschafter wegen des TV-Berichts ein. Das Außenministerium in Warschau begründete den Schritt mit "Aktivitäten eines Fernsehsenders, eines Investors auf dem polnischen Markt". TVN gehört zum Unternehmen Discovery aus den USA und ist als privater Sender der Regierung ein Dorn im Auge.

Im polnischen Czestochowa steht eine der größten Statuen von Papst Johaness Paul II.
Im polnischen Czestochowa (Tschenstochau) steht eine der größten Statuen von Papst Johaness Paul II.
© PAP/WALDEMAR DESKA / DPA

"Das Außenministerium ist sich bewusst, dass das mögliche Ergebnis dieser Aktivitäten mit den Zielen eines hybriden Krieges übereinstimmt, der darauf abzielt, Spaltungen und Spannungen in der polnischen Gesellschaft zu verursachen", heißt es in einer Mitteilung.

Parlament und Bischöfe wollen Ansehen von Papst Johannes Paul II. verteidigen

Der Sejm, Polens Parlament, verabschiedete zudem eine Resolution, die den "guten Namen" des Papstes verteidigen soll. Das Parlament verurteile "auf das Schärfste die schändliche Kampagne der Medien". "Es ist ein Versuch, Johannes Paul II. mit Materialien zu diskreditieren, die nicht einmal die Kommunisten zu verwenden wagten." Man werde nicht zulassen, dass das Bild des ehemaligen Papstes zerstört werde. Die konservativ-liberale Opposition boykottierte die Abstimmung.

Auch Polens Bischöfe sprachen in der Abschlusserklärung ihrer Vollversammlung von "noch nie da gewesenen" Versuchen, "die Person und das Werk des heiligen Johannes Paul II. zu diskreditieren". Der Krakauer Erzbischof Marek Jedraszewski sprach sogar von einem zweiten Attentat auf Johannes Paul II. Am 3. Mai 1981 wurden auf dem Petersplatz Schüsse auf den Pontifex abgefeuert, er überlebte schwer verletzt.

Die polnischen Bischöfe appellierten "an alle, das Andenken an einen unserer bedeutendsten Landsleute zu achten". Dabei hatten sich Ende Dezember fast zwei Drittel der Polinnen und Polen in einer Umfrage eigentlich dafür ausgesprochen, den Umgang von Johannes Paul II. mit Missbrauchsfällen zu untersuchen, berichtete die Nachrichtenseite katholisch.de.

Papst-Enthüllungen könnten Wahlkampfthema werden

Kurz vor dieser Umfrage gab der Autor Ekke Overbeek aus den Niederlanden an, er habe "felsenfeste Beweise" dafür gefunden, dass Johannes Paul II. als Erzbischof Missbrauch vertuscht hat. Overbeek erklärte, Johannes Paul II. habe in seiner Zeit als Krakauer Erzbischof dazu beigetragen, Fälle von Missbrauch innerhalb der Kirche zu verschleiern. Für sein kürzlich erschienenes Enthüllungsbuch "Maxima Culpa" bezog sich der Niederländer auf alte polnische Geheimdienstdokumente.

Der amtierende Papst Franziskus verteidigte unterdessen seinen Vorgänger. In einem Interview mit der argentinischen Zeitung "La Nacion" sagte er, man müsse die Dinge in ihrem jeweiligen zeitlichen Kontext betrachten. Erst mit dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche Bostons 2002 habe man sich mit dem Problem Missbrauch in der Kirche befasst. "Damals hat man alles vertuscht."

Die Causa um den verstorbenen Papst Johannes Paul II. könnte in den nächsten Monaten noch ein heißes Eisen bleiben. Im Herbst wird in Polen ein neues Parlament gewählt und damit auch eine neue Regierung. Die amtierende Rechts-Partei PiS liegt zwar in den Umfragen vorne, hat aber im Vergleich zur letzten Wahl an Zustimmung verloren. Die konservativ-liberale Oppositionsplattform KO konnte hingegen leicht dazugewinnen.

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Für die PiS ist die Debatte um die Papst-Enthüllungen eine Möglichkeit, die sie zu ihrem Vorteil nutzen kann. Die Partei und insbesondere ihr Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski stehen wegen steigender Preise und Korruptionsskandalen in der Kritik. Die PiS könnte die Empörung um die Papst-Berichte dazu nutzen, von eigenen Problemen abzulenken.

Für die Opposition sind die Enthüllungen ein heißes Pflaster. Zu starke Kritik am Nationalhelden Papst Johannes Paul II. könnte deutlich nach hinten losgehen. Denn die katholische Kirche ist immer noch sehr einflussreich bei älteren Wählerinnen und Wählern und auf dem Land – Stimmengaranten für die PiS.