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Andreas Englisch Vatikanexperte: Warum Benedikts Tod ein "Befreiungsschlag" für die Kirche ist und wie er Franziskus attackierte

Papst Benedikt XVI. ist am Silvestermorgen 2022 im Vatikan gestorben
Papst Benedikt XVI. ist am Silvestermorgen 2022 im Vatikan gestorben
© Michael Kappeler / DPA
Im Alter von 95 Jahren ist der emeritierte Papst Benedikt XVI. an Silvester 2022 gestorben. Der deutsche Vatikanexperte Andreas Englisch hat seinen Weg lange beobachtet. Mit dem stern spricht der Wahl-Römer über das Erbe des Verstorbenen.

2005 sagte er voraus, dass Joseph Ratzinger nach dem Tod Papst Johannes Pauls II. als neuer Pontifex gewählt würde. Sieben Jahre später prophezeite er, dass Ratzinger als Papst Benedikt XVI. zurücktreten werde. Ohne Zweifel, Andreas Englisch kennt sich aus im Vatikan. Seit dem Ende der 1980er Jahre lebt der Deutsche in Rom und begleitet die Oberhäupter der katholischen Kirche auf ihren Reisen und im Vatikan. Mit dem stern spricht der Experte über den emeritierten Papst, dessen Vermächtnis und die Zukunft der katholischen Kirche.

Herr Englisch, Sie haben ein Buch über den verstorbenen Papst Benedikt XVI. geschrieben und mehrfach mit ihm gesprochen. Wie würden Sie ihn beschreiben?

Scheu. Zurückhaltend. Er war jemand, von dem selten Freundschaften ausgingen. Es gab in seinem Leben durchaus Männer und Frauen, die seine Freundschaft suchten, aber das war eine Einbahnstraße. Ratzinger hat nur mit seiner Familie, seiner Schwester und seinem Bruder, und ganz wenigen Menschen um sich herum gelebt. Ich kenne seinen besten Freund, den ehemaligen Sekretär Josef Clemens, sehr gut. Die beiden haben über 30 Jahre zusammengelebt. Ratzinger war ein Wissenschaftler. Er hat Zeit in seiner Studierstube verbracht und er hat die Welt draußen als etwas Bedrohliches empfunden. Wenn Sie seine Bücher lesen, werden Sie sehen, dass er Leute zitiert hat wie den Kirchenlehrer Augustinus – und der ist seit eineinhalb Jahrtausenden tot. Einen anderen, den Ratzinger geliebt hat, war Bonaventura, der ist 1274 gestorben. Der emeritierte Papst hatte Verbindungen zu Menschen, die aus einer anderen Welt kamen. Unsere Welt war nicht seine.

Sie haben nach dem Tod Benedikts in einem Interview gesagt, dass er eigentlich nicht der richtige Mann für das Papstamt gewesen ist – genau deshalb?

Ich kann mich daran erinnern, dass ich einmal bei einer Feierstunde ihm zu Ehren war. Es waren viele Gratulanten da, aber er wollte irgendwann gehen. Und da wurde er gefragt, warum er nicht die anderen Gratulanten in Empfang nehmen will. Dann sagte Ratzinger: "Ich stehe nicht gerne im Mittelpunkt." Damals war er noch Präfekt der Glaubenskongregation. Und ich dachte, für jemand, der nicht gerne im Mittelpunkt steht, muss das Amt des Papstes, wo man ununterbrochen im Mittelpunkt steht, die Hölle sein.

Hätte er die Wahl zum Papst 2005 "einfach" ablehnen können?

Ja, denn nach jeder Wahl wird man gefragt, ob man die Wahl annimmt. Er hat ablehnen wollen, aber sein Freund, Kardinal Meisner aus Köln, hat offenbar lange auf ihn eingeredet. Ratzinger hatte sich aber auch selbst eine Falle gestellt: Als er den Totengottesdienst für Johannes Paul II. gehalten hat, hat er immer wieder gesagt, dass dieser in sein Amt von Gott gerufen wurde und er immer gekommen ist. Da konnte Ratzinger schlecht sagen, dass Gott ihn gerufen hat und er nicht gekommen ist. Das war eine heikle Situation. Aber dass er sich nicht geeignet fühlte für das Amt, hat er mir immer wieder gesagt. 

In einem Nachruf haben Sie geschrieben, dass Benedikt das Papsttum "entzaubert" habe und jetzt eine neue Ära beginne. Wie meinen Sie das?

Als Ratzinger gewählt wurde, lief die Kirche noch mit einer vor Stolz geschwellten Brust herum. Aber diese Epoche ist vorbei. Schon Franziskus wurde zum Papst einer Kirche gewählt, die das Haupt tief in den Staub drücken muss wegen der Missbrauchsskandale, der Massenaustritte. Ratzinger war der letzte Papst einer selbstbewussten Kirche. Der Rücktritt entzaubert das Amt insofern, als dass Gott einen Menschen durch den Heiligen Geist einsetzt. Wenn nun ein Papst zurücktritt, bedeutet es, dass man künftig Päpste zum Rücktritt auffordern kann. Es zeigt, dass die Entscheidung mehr in der Hand eines Menschen als in Gottes Hand liegt. Das Amt ist menschlicher geworden.

Nun ist mit Benedikt der erste deutsche Papst seit mehreren Jahrhunderten gestorben. Glauben Sie, das ist eine Schwächung für die Bedeutung der Kirche in Deutschland?

Ich glaube, dass Ratzingers schwierige Haltung zu allem, was sexuellen Missbrauch anging, die Kirche in den letzten Jahren stark belastet hat. Es ist eher ein Befreiungsschlag, weil der größte Teil der Kirche absolut bereit ist, dort aufzuräumen. 

Nun gibt es keinen zurückgetretenen Papst mehr, macht das den Weg frei für einen Rücktritt von Papst Franziskus? Er kämpft ja seit geraumer Zeit mit gesundheitlichen Problemen und hat 2022 sogar eine Reise abgesagt.

Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Er hat selbst gesagt: "Ich habe mein Rücktrittsgesuch unterschrieben und wenn ich medizinisch nicht mehr in der Lage bin, meinen Job auszuüben und sollte ich dann auch nicht mehr in der Lage sein, zurückzutreten, dann ist das Schreiben vorbereitet." Das kann so kommen, aber jetzt sofort wird er das nicht tun. Er will die Reformen durchführen, die er sich vorgenommen hat. Er hat jetzt ein Problem weniger, denn Ratzinger als Chef der Traditionalisten hat ihm über Jahre Knüppel zwischen die Beine geworfen. Dass Franziskus jetzt erstmals freie Hand hat, könnte dafür sorgen, dass es im Pontifikat noch jede Menge Überraschungen geben wird. 

Inwiefern hat sich Benedikt in die Vorhaben seines Nachfolgers eingemischt?

Es gab einige Attacken. Die erste war recht simpel: Ratzinger hatte vor seinem Rücktritt eine Enzyklika geschrieben, die er nicht mehr veröffentlichen können und er hat Franziskus gezwungen, sie unter seinem Namen zu publizieren. Bei der zweiten ging es um die wiederverheirateten Geschiedenen. Diese werden in der katholischen Kirche eigentlich von allen Sakramenten ausgeschlossen. Das hat Franziskus rückgängig gemacht, aber da sind Ratzinger und seine Gruppe massiv gegen vorgegangen. Er hat zum Beispiel gesagt, dass Franziskus einen Fehler gemacht hat.

Würden Sie sagen, dass sich dieses Modell aus einem zurückgetretenen Papst und einem amtierenden Papst als schlecht herausgestellt hat?

Es belastet die Kirche, klar. Aber es ließ sich nicht verhindern. Wenn ein Papst zurückgetreten ist, muss ein neuer gewählt werden. Meiner Ansicht nach wird es das in Zukunft immer mal wieder geben.

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