Wann immer ich nach Rom darf, zieht es mich zu ihr: einer Statue, so fließend, so leicht, so weich, dass nichts an Marmor erinnert, sondern alles an Menschlichkeit. Die Pietà von Michelangelo, bestellt als schönste Statue Roms und geliefert als schönste Statue aller Zeiten, macht glücklich, weil sie ausstellt, was der Mensch erschaffen kann – und ist doch zutiefst morbide, immerhin sehen wir einen Leichnam: den von Jesus Christus, auf den Knien seiner Mutter Maria.
An die Pietà musste ich denken, als ich die Bilder vom aufgebahrten deutschen Papst Benedikt XVI. in Rom sah. Die Inszenierung des Todes gehört zum Mythos des Papsttums, Johannes Paul II. hatte sich im Amt zu Tode gequält, er wollte der Welt zeigen: Dies ist kein Amt von dieser Welt. Benedikt hat durch seinen Rücktritt den anderen Weg gewählt. Er wurde (wieder) zum Menschen, indem er zugab, dass seine Kräfte nicht mehr reichten. Nun stellt sich die Frage, wie man einen emeritierten Papst bestattet, wie man diesen ganz besonderen Mythos inszeniert. Die katholische Kirche, erfahren in Inszenierungen, wird einen Weg finden. Aber die Vermenschlichung des Amtes hat auch dazu geführt, dass viel menschlichere Maßstäbe angelegt werden und schon jetzt eine Frage kursiert: In welchem (Ausnahme-)Zustand hat der Ausnahme-Theologe Joseph Ratzinger seine Kirche hinterlassen?
Neue Regeln für die Globalisierung
Joe Biden ist nicht Donald Trump. Das ist der größte Trumpf von Joe Biden, gerade in Deutschland. Außerdem geht der 80 Jahre alte Demokrat nicht nur langsam wie der siebenfache Großvater, der er ist, sondern lächelt ebenso freundlich. Freilich kann dieses Lächeln nicht verhüllen, dass in Bidens Wirtschaftspolitik ganz schön viel "America first" steckt. Unter dem Eindruck von Pandemie, Energiekrise und China-Ernüchterung werden gerade die Regeln der Globalisierung neu geschrieben – und die Macher in Washington wollen dafür sorgen, dass die Regeln vor allem für ihr eigenes Land funktionieren. Was das für Europa und speziell für die Exportnation Deutschland bedeutet, hat ein Rechercheteam für Sie zusammengetragen, unterwegs in einer Welt im Wandel.
Erlauben Sie mir einen letzten Rückblick ins Jahr 2022: Da enthüllte unsere Reporterin Tina Kaiser den Aufenthaltsort von Attila Hildmann – dem Promikoch, der zum Hassprediger und Rechtsextremisten geworden und in die Türkei geflohen ist, wo ihn Kaiser in der Kleinstadt Kartepe aufstöberte. Doch die Geschichte geht im neuen Jahr weiter. Genauer gesagt, sie geht eben nicht weiter. Wie Kaiser recherchierte, hat die Bundesregierung die Türkei noch immer nicht um die Auslieferung Hildmanns gebeten. Eigentlich müsste die Türkei ihn gemäß Europäischem Auslieferungsabkommen festnehmen und nach Deutschland überführen, immerhin liegt ein entsprechender Haftbefehl von Interpol vor. Warum aber macht unsere Regierung nicht mehr Druck auf Ankara, und weshalb kommt die Türkei nicht ihrer Pflicht nach, Hildmann festzunehmen? Nutzt ihn vielleicht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan als Druckmittel, um im Gegenzug türkische Oppositionelle aus Deutschland ausgeliefert zu bekommen? Die Hildmann-Saga geht weiter. Wir bleiben dran, auch 2023, versprochen.