Gastbeitrag Ramadan und Intervallfasten: Was alle daraus lernen können

Von Asif Malik
Fastenbrechen im Ramadan: eine dreiköpfige muslimische Familie sitzt am Tisch und greift lächelnd nach Essen
Im Ramadan essen muslimische Familien nach Sonnenuntergang oft gemeinsam 
© Tirachard/iStockphoto
Intervallfasten liegt im Trend. Im Ramadan machen Muslime genau das. Doch aus welchen Gründen man sich auch fürs Fasten entscheidet: Es geht um mehr als um Verzicht.

Intervallfasten ist längst kein Geheimtipp mehr. Ob als 16:8-Methode, Heilfasten oder Detox-Kur – Millionen Menschen setzen auf bewusste Essenspausen, um gesünder zu leben. Studien belegen positive Effekte: Stoffwechsel und Fettverbrennung verbessern sich, Entzündungen im Körper gehen zurück. Doch wer einmal bewusst gefastet hat, merkt schnell, dass es um mehr geht als nur den körperlichen Nutzen. Fasten verändert den Blick auf den eigenen Lebensstil, schärft die Selbstwahrnehmung und macht bewusst, wie sehr unser Alltag von ständiger Verfügbarkeit geprägt ist.

Im islamischen Fastenmonat Ramadan steht genau diese Erfahrung im Mittelpunkt – allerdings mit einer viel weitergehenden Dimension. Ramadan ist keine individuelle Diät, sondern eine gemeinschaftliche, tief verwurzelte Tradition, die sich mit Verzicht, Disziplin und sozialer Verantwortung auseinandersetzt. Die Frage ist: Was können Menschen, die selbst nicht religiös fasten, aus dieser Praxis mitnehmen?

Wir leben in einer Zeit des Überflusses. Nahrung, Konsum, Information – alles ist jederzeit verfügbar. Wir bestellen Essen mit einem Klick, schauen Serien auf Abruf, checken rund um die Uhr Nachrichten. Doch je mehr wir konsumieren, desto weniger spüren wir, was wir wirklich brauchen.

Fasten hat überraschende Folgen

Fasten ist eine bewusste Unterbrechung dieses Automatismus. Wer einmal für einige Stunden oder sogar einen ganzen Tag auf Essen verzichtet, erlebt ein überraschendes Phänomen: Das erste Stück Brot nach einer langen Pause schmeckt intensiver, ein Glas Wasser wird zur echten Wohltat. Verzicht schärft die Sinne – nicht nur für das, was wir zu uns nehmen, sondern auch für das, was uns umgibt.

Der Ramadan zeigt, dass Fasten mehr ist als eine Methode der Selbstoptimierung. Es ist eine Schulung in Achtsamkeit. Wer von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang weder isst noch trinkt, erfährt nicht nur, wie stark der eigene Wille sein kann, sondern auch, was es bedeutet, echte Entbehrung zu erleben. Diese Erfahrung schafft einen Perspektivwechsel, der in unserer Wohlstandsgesellschaft oft fehlt.

Der Autor

Asif Malik, geboren 1978 in Pakistan und aufgewachsen in Berlin, ist Diplom-Betriebswirt, MBA und Führungskraft in der freien Wirtschaft. Neben seiner beruflichen Tätigkeit engagiert er sich seit 20 Jahren ehrenamtlich im interreligiösen Dialog und ist Mitinitiator zahlreicher integrativer Projekte wie dem "Charity Walk & Run" und der "Muslime für Frieden"-Kampagne. In seinen Texten setzt er sich mit muslimischem Leben in Deutschland, Integration und Islamismus auseinander

Ein zentrales Motiv des Ramadan ist Mitgefühl. Wer selbst Hunger und Durst spürt, entwickelt ein tieferes Verständnis für Menschen, für die Entbehrung Alltag ist. Laut den Vereinten Nationen leiden fast 800 Millionen Menschen weltweit an Hunger, während gleichzeitig täglich über eine Milliarde Mahlzeiten verschwendet werden. Ramadan erinnert daran, dass Sättigung kein Naturgesetz, sondern ein Privileg ist – und dass dieses Privileg Verantwortung mit sich bringt.

Was Fasten auch Nicht-Muslimen bringt

Doch diese Lektion ist nicht auf Muslime beschränkt. Auch außerhalb religiöser Traditionen kann Fasten als Schulung der Empathie verstanden werden. Es zwingt uns, die eigene Bequemlichkeit zu hinterfragen und bewusster mit Ressourcen umzugehen. Vielleicht würde ein gesellschaftlich verankerter Fastentag, an dem Menschen freiwillig auf eine Mahlzeit verzichten und die eingesparten Mittel für soziale Zwecke spenden, unsere Wahrnehmung nachhaltiger verändern als jede politische Debatte über Verteilungsungerechtigkeit.

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Ein weiteres bemerkenswertes Element des Ramadan ist seine gemeinschaftliche Dimension. Während viele Menschen Intervallfasten als individuelles Gesundheitsprojekt betreiben, ist das Fasten im Ramadan eine soziale Erfahrung. Familien, Freunde und Nachbarn kommen am Abend zusammen, um das Fasten zu brechen – das gemeinsame Essen bekommt eine besondere Bedeutung.

Inspiration durch den Ramadan

Gerade in westlichen Gesellschaften, in denen Einsamkeit immer mehr zum Problem wird, könnte dieser Aspekt eine Inspiration sein. Warum nicht gezielt Zeiten einplanen, in denen man bewusst mit anderen isst – ohne Ablenkung durch Smartphones, ohne Hektik? Warum nicht Rituale schaffen, die das Essen wieder zu einem bewussten, gemeinschaftlichen Akt machen?

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Fasten ist kein Selbstzweck. Es geht nicht darum, sich zu quälen oder sich selbst zu bestrafen. Vielmehr kann es – ob religiös motiviert oder nicht – ein Weg sein, sich selbst und die Welt bewusster wahrzunehmen. Ramadan zeigt, dass der bewusste Verzicht nicht nur eine spirituelle, sondern auch eine gesellschaftliche Dimension hat.

In einer Zeit, in der vieles selbstverständlich geworden ist, kann diese alte Tradition eine neue Bedeutung gewinnen. Vielleicht liegt die wahre Kunst des Fastens nicht nur im Verzicht, sondern in dem, was wir daraus lernen.