Laut Recherchen von Correctiv haben sich im November 2023 verschiedene Akteure der rechtsextremen Szene getroffen, um ihre menschenfeindliche und faschistische Ideologie einer sogenannten "Remigration" zu besprechen. Hinter dem rechten Kampfbegriff steckt nichts anderes als die Massenverdrängung all jener, die nach rechtsextremistischer Ideologie nicht zu einem "deutschen Volk" gehören – was immer das eigentlich sein soll. Ob sie einen deutschen Pass besitzen oder nicht.
Neben dem rechtsextremistischen Aktivisten Martin Sellner waren mit Roland Hartwig, Gerrit Huy und Ulrich Siegmund auch hochrangige Mitglieder der AfD sowie Simone Baum und Michaela Schneider von der CDU bei dem Treffen zugegen. Die überraschte Empörung, die auf den Enthüllungsbericht folgte, ist auf den ersten Blick nachvollziehbar, spätestens beim zweiten Hinsehen jedoch verwunderlich.
"Remigration" stand schon 2019 im AfD-Programm
Denn die Pläne einer sogenannten "Remigration" werden keineswegs nur in dunklen Hinterzimmern am Potsdamer Lethizsee besprochen, sondern von der AfD seit Jahren öffentlich vorgetragen. So findet sich der Begriff "Remigration" bereits in den Programmen der AfD zur Europawahl 2019 und 2024. Im Bundestagswahlkampf, in Bundestagsreden und auf Parteitagen wird von AfD-Mitgliedern seit Jahren von "Remigration" gesprochen.
Dass es sich dabei nie nur um die Rückführung von Menschen ohne Bleiberecht in Deutschland handeln sollte, ist genauso lange ersichtlich. Auf einer Pegida-Demo in Dresden vor zwei Monaten fasste Björn Höcke das kürzlich ziemlich eindeutig zusammen: "Was ist denn das deutsche Volk überhaupt? Schaut euch ins Gesicht! Wenn es hart auf hart kommt, werden wir uns erkennen." Alexander Gauland wollte 2018 die SPD-Politikerin und deutsche Staatsbürgerin Aydan Özoğuz "in Anatolien entsorgen", und Alice Weidel implizierte in einem Facebook-Beitrag von 2020, dass der türkischstämmige Journalist Deniz Yücel kein echter Deutscher wäre.
Berliner CDU fragte nach den Vornamen festgenommener Deutscher
Die Berliner CDU wies ein ähnliches Verständnis von deutscher Staatsbürgerschaft auf, als sie im vergangenen Jahr nach Ausschreitungen an Silvester nicht nur nach ausländischen Tätern fragte, sondern sich zusätzlich noch nach den Vornamen der festgenommenen Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft erkundigte.
Selbst nach Erscheinen der Correctiv-Reportage scheint man bei der AfD nicht im Geringsten verärgert oder bestürzt zu sein. Der brandenburgische AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer twitterte nach Veröffentlichung: "Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen." Öffentliche Distanzierungen – Fehlanzeige.
Trotz all dieser Bekenntnisse hieß es in vielen Gesprächen mit Menschen ohne Migrationsgeschichte und auch in der Presse oft mit beschwichtigendem Unterton: Die Ergebnisse des Correctiv-Berichts seien zwar schlimm, wirklich dabei gewesen seien aber nur AfD-Hinterbänkler aus dem Bundestag oder Lokalpolitiker.
Doch mit dieser Denkweise machen wir es uns zu leicht. Mehr noch: Sie ist das Einfallstor, durch das Rassismus in Deutschland an Boden gewinnen kann.

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?
Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.
Nur ein paar unbekannte Hinterbänkler?
In den Nullerjahren waren es die unbelehrbaren Neonazis mit Springerstiefeln und Baseballschlägern, nach der Eurokrise ein paar Uniprofessoren mit befremdlichen Ideologien, bei den ersten Wahlerfolgen der AfD lediglich kleine Ortsverbände im Osten. Und heute sind es eben "nur" ein paar unbekannte Hinterbänkler aus dem Bundestag. Es ist unser Schweigen und unser Ausgliedern von Rassismus und Demokratiefeindlichkeit an eine vermeintlich kleine Gruppe Anderer, welche diese braune Pflanze weiter in die Gesellschaft und Parlamente wuchern lassen.
Die deutsche Mehrheitsgesellschaft ohne Migrationsgeschichte, die von den faschistischen Plänen der Rechtsextremisten am wenigsten betroffen wäre, wähnt sich auf der moralisch richtigen Seite, solange sie sich nur mal eben mit Worten abgrenzt. Dabei hat dieses Land seit jeher ein gewaltiges gesellschaftliches Rassismusproblem. Nicht erst seit dem NSU, nicht erst seit Hanau und nicht erst seit dem geheimen Treffen im Landhaus Adlon.
"Seid nicht überrascht, seid nicht schockiert – lasst nicht locker!"
Es sind nämlich nicht nur die Anderen, es sind wir als Bevölkerung ohne Migrationsgeschichte, die mit unserer erlernten und verinnerlichten Haltung "biodeutscher" Überlegenheit zum Rassismus beitragen. Wegschauen, vergessen, "neutral sein" – all das sind Privilegien, die allein uns zufallen. Jede und jeder trägt eine tägliche Verantwortung. Wer die eigenen Emotionen, Sozialisierung und rassistischen Verhaltensweisen nicht hinterfragt, macht sich mitschuldig am Erfolg der Rechten.
Und was kann man als weiße Person nun tun? In ihrem vielzitierten Instagram-Beitrag "Dear white people…" gibt die Autorin Tupoka Ogette die passende Antwort: "Seid nicht überrascht. Seid nicht schockiert. (…) Sprecht mit Kolleg*innen, in der Familie, mit Freund*innen, mit Nachbarn. Lasst nicht locker. Übt es, zu argumentieren, habt eure Fakten parat, bildet euch."
Das alleinige Teilen eines Beitrags auf Instagram in den sozialen Medien reicht nicht aus. Es wird die rechten Parteien keine Stimme kosten. Es gibt keinen Mythos, der durch das Offenlegen einer Recherche enthüllt werden muss. Man braucht die Vertreterinnen und Vertreter einer rechten Gesinnung auch nicht durch Interviews und Gespräche zu entlarven. Wir, die nicht vom Rassismus betroffen sind, sind vielmehr jeden Tag gefordert, aktiv gegen rechtsextremistische Ideologien anzugehen und diese als solche zu benennen. Tun wir es nicht, sind wir Teil des Problems.