Drohungen, Schläge, Vergewaltigungen, im schlimmsten Fall auch Mord – nicht in dunklen Ecken, sondern zu Hause: Im vergangenen Jahr wurden in Baden-Württemberg 18.538 Mädchen und Frauen von Partnern, Ex-Partnern oder Verwandten misshandelt. Im Schnitt sind das mehr als 50 pro Tag – und das ist nur die bekannte Zahl.
Die Politik sucht nach Wegen, diese Spirale der Gewalt zu stoppen – und setzt nun auf die elektronische Fußfessel für potenzielle Gewalttäter. Der Landtag berät erstmals über einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf von CDU, Grünen, SPD und FDP.
Der Plan
Künftig soll die Fußfessel nach richterlichem Beschluss auch bei häuslicher oder partnerschaftlicher Gewalt sowie in Stalking-Fällen angeordnet werden können. Bisher ist das nur bei terroristischen Gefährdern möglich.
Opfer sollen über ein Empfangsgerät gewarnt werden, wenn sich der potenzielle Täter nähert. So können sie sich rechtzeitig in Sicherheit bringen, während die Polizei automatisch alarmiert wird. Laut Entwurf soll die Maßnahme bei Hochrisikofällen und zunächst für höchstens sechs Monate gelten, verlängerbar um je drei Monate.
Andere Bundesländer wie Hessen, Sachsen oder Bayern haben ähnliche Regelungen bereits umgesetzt. Auf Bundesebene gibt es nach SPD-Angaben ein Gesetz, das jedoch einen Antrag der gefährdeten Person und nicht der Polizei voraussetzt. Hier ist eine Reform geplant - der baden-württembergische Entwurf ist auf diese Änderungen bereits abgestimmt, sagte eine SPD-Sprecherin.
Die Technik
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Die Fußfessel des Täters kann in Echtzeit mit einem GPS-Gerät des Opfers kommunizieren. Über Satellitensignal (GPS) kann der Träger jederzeit geortet werden. Auf die Daten darf allerdings nur zugegriffen werden, wenn das System Alarm schlägt. Nach zwei Monaten müssen sie gelöscht werden.
Eine Fessel kann - je nach gesetzlicher Vorgabe - so programmiert werden, dass der Träger Zonen nicht verlassen oder nicht betreten darf, dafür lassen sich auch Zeiten festlegen. So kann etwa kontrolliert werden, dass sich jemand, der Kinder missbraucht hat, keinem Spielplatz mehr nähert. Einmal angelegt, lässt sich eine Fußfessel nicht öffnen.
Das Vorbild
Der Entwurf orientiert sich am sogenannten "spanischen Modell". Dort wird nicht ein Ort, sondern der Abstand zwischen Täter und Opfer überwacht: Begibt sich der Täter in die Nähe des Opfers, wird die Polizei alarmiert, das Opfer erhält eine Warnung. Seit Einführung 2009 sank in Spanien die Zahl der ermordeten Frauen nach Angaben von Polizei und Behörden deutlich; keine Teilnehmerin des Programms wurde getötet. Rund 95 Prozent der Frauen gaben an, sich sicherer zu fühlen.
Die Bedenken
Sosehr die Fußfessel Opfern Schutz bietet, greift sie zugleich in die Rechte des Täters ein. "Zum einen kann ein Opfer sich subjektiv sicherer fühlen", sagt Jörg Kinzig, Direktor des Kriminologischen Instituts der Universität Tübingen. "Zum anderen ist das ein schwerwiegender Grundrechtseingriff – in diesem Spannungsverhältnis bewegen wir uns."
Zudem liege die Verpflichtung zum Tragen im Prognosebereich: "Es handelt sich ja nicht um aktuell verurteilte Straftäter", betont Kinzig, der die Bundesregierung zum Thema berät.
Die Grenzen
Ob die Fußfessel Täter tatsächlich abschreckt, ist offen. Das könne der Fall sein, müsse aber nicht, sagt Kinzig: "Wenn jemand sich entschlossen hat, eine andere Person zu töten, wird er das möglicherweise auch tun, wenn er eine Fußfessel hat." Sie sei kein Allheilmittel, sondern biete nur begrenzte Sicherheit.
Auch der Weiße Ring sieht sie als Ergänzung, nicht als Ersatz anderer Maßnahmen. "Es wäre ein wichtiger Baustein, der das Risiko der Gewalt reduzieren würde", sagt der Landesvorsitzende Hartmut Grasmück. Ebenso wichtig seien Annäherungsverbote, Schutzräume und Beratungsangebote.
Kinzig spricht von einem "Stein von vielen". "Andere präventive Vorkehrungen sind mindestens genauso wichtig. Ich würde davor warnen zu sagen: Jetzt haben wir ja die Fußfessel – und können auf andere Maßnahmen verzichten."