In der Debatte um steigende Sozialkosten der Kommunen hat sich jetzt auch der Landrat des südhessischen Landkreises Groß-Gerau, Thomas Will (SPD), mit einem offenen Brief an Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) gewandt. Er knüpfe an das Schreiben der Oberbürgermeisterinnen und -bürgermeister der Landeshauptstädte von Ende Oktober an, das diese an Merz gerichtet hatten, erklärte Will, "sie sprechen uns Landräten aus der Seele".
Die strukturellen Finanzprobleme der Landkreise gingen aber noch tiefer. "Die wachsenden sozialen Transferleistungen sind der zentrale Treiber der finanziellen Schieflage in den Haushalten der Landkreise", hieß es in dem Schreiben weiter. Eine Wende in der kommunalen Finanzausstattung sei unabdingbar.
Will: Lösungen gefragt, die sich konkret niederschlagen
So seien allein im Landkreis Groß-Gerau die sozialen Transferleistungen zwischen 2023 und 2024 um mehr als 28 Millionen Euro gestiegen, während die Erträge aus Schlüsselzuweisungen im selben Zeitraum um 2,6 Millionen Euro zurückgegangen seien. Die so entstehende Haushaltsbelastung könne nur durch höhere Umlagen aufgefangen werden. "In letzter Konsequenz bedeutet dies eine Mehrbelastung für jede Bürgerin und jeden Bürger aufgrund steigender Grundsteuerhebesätze in den Kommunen", so Will.
Als weitere Beispiele nannte er deutlich gestiegene Kosten für Hilfen zur Schulbegleitung und verwies auch auf die Versorgung pflegebedürftiger Menschen. Die Differenz zwischen den Leistungen der Pflegekasse und den tatsächlichen monatlichen Kosten, die bei Pflegegrad 4 mehr als 5.700 Euro betrügen, müssten Betroffene und ihre Familien tragen – und am Ende über die Sozialhilfe beglichen werden. Angesichts einer wachsenden Schieflage der Rentenfinanzierung seien "Lösungen gefragt, die sich konkret im Alltag der Menschen vor Ort positiv niederschlagen".
Grundsatz "Wer bestellt, muss bezahlen" müsse wieder greifen
Will warnte auch vor einer "gefährlichen Erosion der kommunalen Selbstverwaltung". Während die Standards wüchsen, stagnierten die Mittel. Bund und Länder würden Aufgaben übertragen, ohne die Finanzierung vor Ort dauerhaft sicherzustellen. Der Grundsatz "Wer bestellt, muss bezahlen" müsse wieder greifen.
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Zuvor hatte Merz nach dem Brandbrief der Rathauschefs der Landeshauptstädte aller 13 Flächenländer zur kommunalen Finanzmisere Unterstützung zugesichert. "Wir müssen den Kommunen helfen", dass sie "gesetzliche Verpflichtungen, die wir ihnen auferlegen, erfüllen können", hatte er vergangene Woche in Schwerin gesagt. Denn es seien in der Regel Bundesgesetze, manchmal zusätzliche Landesgesetze und Verordnungen. "Die Gemeinden haben recht mit dem, was sie uns auch an Bitten vortragen. Es sind ja mittlerweile wirklich Hilferufe und ich nehme die sehr ernst."
Der Kanzler hatte gesagt, die Kommunen stünden vor erheblichen Problemen, etwa durch stark steigende Kosten in der Jugendhilfe, der Eingliederungshilfe, der Sozialhilfe für die Pflege und auch beim Unterhaltsvorschuss. Das seien Themen, die für die Kommunen mittlerweile zu einer nicht mehr tragbaren Kostenlast geworden seien, sagte Merz, betonte jedoch zugleich: "Die Lösungen liegen eher auf der Korrektur der Ausgabenseite". Weder der Bund noch Länder seien in der Lage, die Kostensteigerung mit höheren Zuwendungen an die Kommunen zu kompensieren. "Ich will ausdrücklich sagen, wir stellen hier die Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaates nicht infrage", sagte Merz. Gleichwohl müsse mit dem Geld sorgfältiger umgegangen werden.