Milchviehhalter durchleben gerade harte Zeiten: "Für viele Betriebe ist die Situation tatsächlich existenzbedrohend", sagt der Agrarmarktexperte der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, Albert Hortmann-Scholten. Die Auszahlungspreise für Milch sind seit dem Spätsommer deutlich gesunken, viele Höfe haben inzwischen Probleme, kostendeckend zu arbeiten.
Der Preisverfall bei der Butter im Lebensmitteleinzelhandel lässt viele Landwirte zornig werden: 99 Cent für die 250-Gramm-Packung sei "inakzeptabel", sagt Frank Kohlenberg, Vizepräsident des Landvolks Niedersachsen.
"Wir kommen bei den Auszahlungspreisen von gut 51 Cent auf 41, vielleicht sogar auf unter 40 Cent", so Kohlenberg. Mit diesen Preisen komme nicht jeder Betrieb zurecht.
Warum sind die Preise gesunken?
Der Preisrutsch habe viele Ursachen, sagt Hortmann-Scholten. Es gebe überall auf der Welt Produktionszuwachs. Für Milchviehhalter in Europa komme der Zollstreit mit China hinzu: Nach der Verhängung von Strafzöllen für chinesische Elektroautos erhöhten die Chinesen die Zölle für Agrarprodukte. Auch der starke Dollar verteuere Exporte aus dem Euro-Raum in andere Länder. All das sorge für große Milchmengen in Europa.
Hinzu komme ein Folgeeffekt der Blauzungenkrankheit, an der im vergangenen Jahr in Nordwesteuropa viele Wiederkäuer erkrankten. In der Folge sank die Milchproduktion, was zu knapper Ware und zu guten Preisen für die Landwirte führte.
Aber inzwischen sei die Milchmenge wieder gestiegen, die krankheitsbedingten Produktionsrückgänge machten sich nicht mehr bemerkbar, sagt Hortmann-Scholten. Im Gegenteil, seit Mitte September habe es einen großen Zuwachs an Milch gegeben, der zum Teil bei acht Prozent über den Vorjahren gelegen habe. "Es hatte kein Molkereifachmann damit gerechnet, dass es auf einmal solch einen Schub gab", erklärt Hortmann-Scholten.
Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?
Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.
Die Molkereien hätten die reichlich vorhandene Milch zu Butter verarbeitet. Der Lebensmitteleinzelhandel habe schnell gemerkt, dass es ein überaus großes Angebot an Butter gab - die Folge: Seit September habe es einen Wettlauf der Einzelhandelsketten um den günstigsten Butterpreis gegeben.
Gibt es Möglichkeiten, den Preisverfall zu begrenzen?
Inzwischen liegt der Preis für die 250-Gramm-Packung der Eigenmarken bei 99 Cent. "Das ist das niedrigste Preisniveau seit mehr als zehn Jahren", sagt Hortmann-Scholten. Die Landwirte hätten dabei das Gefühl, als ob man ihnen den Boden unter den Füßen wegziehe. Und auch die Möglichkeiten der Molkereien, dagegen zu steuern, seien begrenzt, denn auch die müssten ihre Ware ja auf dem Markt verkaufen.
Bis 2015 gab es in der Europäischen Union die Milchquote. Seit ihrer Abschaffung ist die Milchproduktion vollkommen liberalisiert, erklärt der Marktexperte. Interventionsinstrumente - wie einst der "Butterberg" oder die "Milchseen" - gebe es nicht mehr. Zwar gebe es immer wieder die Forderung nach neuen Milchquoten. Die machten aber nur auf europäischer Ebene Sinn, sagt Hortmann-Scholten. Unter den Mitgliedsländern der EU sehe er dafür aber keine Mehrheit.
Ist die Talsohle schon erreicht?
Nein, sagt Albert Hortmann-Scholten. Angesichts der Entwicklung der Börsennotierungen rechne er damit, dass der Milchpreis noch unter die 40-Cent-Marke pro Kilo Milch falle. Auch weltweit sei der Milchmarkt voll. Der in Neuseeland erstellte sogenannte Global Dairy Index verzeichne seit vier Monaten sinkende internationale Milchpreise.
Welche Rolle hat der Lebensmitteleinzelhandel?
Aus Sicht von Landvolk-Vizepräsident Frank Kohlenberg liegt die Verantwortung für den geringen Auszahlungspreis einzig bei den Handelsketten in Deutschland. Diese hätten angesichts des geringen Einkaufspreises auch höhere Verkaufspreise beibehalten, und den Abstand an die Landwirte weiterreichen können. "Das hätte der Handel machen können, der immer betont, mit den Landwirten fair umgehen zu wollen", sagt Kohlenberg.
Die Einzelhandelspreise für Butter seien in anderen europäischen Ländern wesentlich höher als in Deutschland. Das komme den Landwirten in den Nachbarländern zugute, argumentiert Kohlenberg: "Gerade der holländische Landwirt profitiert schon davon, dass in Holland die 250-Gramm-Packung Butter nicht für 99 Cent gehandelt wird." Seitens der Landwirtschaft werde überlegt, ob man sich weiter an den Agrardialogen mit dem Einzelhandel beteiligen wolle.
Wie reagieren die Landwirte?
Der Bayerische Bauernverband hat das Bundeskartellamt zur Prüfung der niedrigen Butterpreise eingeschaltet. Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte zu den Butterpreisen: "So kann man kein hochwertiges Lebensmittel verramschen, auch wenn man das als Lockangebot vor Weihnachten nutzen will."
Zu Protestaktionen rufen die großen Bauernverbände nicht auf. Aber viele Landwirte sind unzufrieden und sehen ihre Existenz bedroht. Erste inoffizielle Aufrufe zu Trecker-Protesten gibt es schon. "Diese Krise müssen die Betriebe jetzt irgendwie überstehen", sagt Hortmann-Scholten. "Und am Weihnachtsfest wird in vielen Familien wohl darüber gesprochen werden: "Wollen wir den Betrieb in dieser Form noch weiterführen?"."