Plötzlich heißt es zur Überraschung der Fahrgäste: Dieser Zug endet hier! Statt die volle Strecke wie im Fahrplan vorgesehen zu fahren, dreht der Zug nach einer der nächsten Stationen um und fährt in die Gegenrichtung wieder zurück. Die Fahrgäste können sehen, wie sie weiterkommen.
Das ist im Regionalverkehr in Nordrhein-Westfalen längst kein Einzelfall mehr. Das Thema sei "vielen Bahnnutzern sehr präsent" und sollte von Politik, Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen endlich angegangen werden, sagt Thomas Probol, Vorstandsmitglied des Fahrgastverbands Pro Bahn NRW.
Wer ist betroffen?
Vorzeitige Wenden betreffen laut Probol nicht nur die Menschen stark, die vorzeitig aussteigen müssen. Der Zug fehle an den nicht mehr angefahrenen Bahnhöfen für die Fahrt in Gegenrichtung, betont er. Bei einem stündlichen oder zweistündlichen Takt entstünden lange Wartezeiten. Besonders spätabends seien die Folgen gravierend, wenn man die letzte Fahrt nicht mehr bekomme.
Was können Betroffene tun?
"Fahrgäste sind dem Ganzen recht hilflos ausgeliefert", meint Probol. Die Apps DB-Navigator und der Verkehrsverbünde böten im Fall der Fälle immerhin Fahrtalternativen. Pro Bahn empfiehlt, Fahrplan-Apps auf dem Handy zu installieren und Mobilfunktarife mit ausreichend Datenvolumen zu wählen. "Der Nahverkehr ist das arme Schwein", verdeutlicht Probol den Vorrang von Fernverkehr und internationalem Güterverkehr gerade auch bei Verspätungen.
Wo müssen Züge häufig warten?
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Entlang der Achse Köln - Düsseldorf - Duisburg gebe es häufig Überholungen in Leverkusen-Wiesdorf und Düsseldorf-Flughafen. Der Regionalexpress müsse dann extra lang halten, damit durchfahrende ICEs überholen können. Auch die hoch ausgelastete Strecke Osnabrück - Münster - Recklinghausen - Gelsenkirchen ist laut Pro Bahn von vielen Überholungen durch ICEs geprägt. Aus Sicht des Fahrgastverbands macht eine vorzeitige Wende vor allem dann Sinn, wenn sich der folgende Nahverkehrszug kurz hinter dem verspäteten Zug befindet.
Nur in Ausnahmefällen vertretbar
Wie oft und wo vorzeitige Wenden vorkommen, dazu gebe es keine Übersicht, erklärten die drei für die Schiene zuständigen Verkehrsverbünde gemeinsam. Grundsätzlich sei das nur in absoluten Ausnahmefällen vertretbar - "nämlich dann, wenn zum einen eine umfassende Kommunikation an die Reisenden erfolgt und zum anderen adäquate Alternativen für die Reiseketten der Betroffenen bestehen". Dies lasse sich jedoch nicht immer gewährleisten.
Eisenbahnverkehrsunternehmen versuchten bei größeren Verspätungen durch eine vorzeitige Wende die Rückfahrt wieder gemäß Regelfahrplan fahren zu können, zumindest ab dem Bahnhof, wo sie die Rückfahrt antreten. "Aus Fahrgastsicht gibt es dabei Verlierer und Gewinner, angebotsseitig und kommunikativ ist der Vorgang jedoch als äußerst kritisch zu werten."
Infos auf verschiedenen Wegen
Fahrgäste werden den Angaben zufolge in der Regel sowohl über die Auskunftssysteme informiert als auch über Zugzielanzeiger am Bahnsteig. Bei kurzfristigen Abweichungen erfolgt die Information über Durchsagen im Zug und an den Stationen. In einigen Zügen würden auch die Anzeigen angepasst. Neben Verspätungen könnten längerfristige Abweichungen durch Baustellen ein vorzeitiges Wenden nötig machen. Darüber werde per Aushängen und Apps informiert.
"Flaschenhälse" auf der Schiene
Das Bahnnetz in NRW ist sehr ausgelastet, erklärt das Vorstandsmitglied von Pro Bahn. Das sehe man im Extremfall zwischen Duisburg Hbf und Düsseldorf Hbf mit sieben Regionalexpresslinien und rund drei ICEs pro Stunde und Richtung auf maximal drei Gleisen. Zwei weitere Gleise würden für die S-Bahn benötigt. Aber auch eingleisige Abschnitte wie zwischen Rheydt Hbf und Odenkirchen könnten zu großen Folgeverspätungen führen, falls da etwas aus dem Ruder laufe.
Schlechter Netzzustand
Sieben der bundesweit 23 überlasteten Bahnstrecken befinden sich laut Pro Bahn in NRW. Dazu zählten die Strecken Viersen – Kaldenkirchen Gr, Stolberg Hbf – Aachen West sowie Gelsenkirchen Hbf – Münster Hbf. "Darüber hinaus hat NRW den schlechtesten Zustand des Netzes aller Flächenländer", erklärt Probol. Der Ausbau des Gleisnetzes etwa für Regionalexpresse reiche nicht aus. Zudem wirke sich der "Verfall der Infrastruktur" aus. So gebe es viele Stellwerkstörungen zwischen Mönchengladbach Hbf und Rheydt Hbf.
Billige Bahnsteigwende
In vielen Fällen wechsele der Triebfahrzeugführer am Zielbahnhof von einem zum anderen Ende des Zuges, um dann in die Gegenrichtung zu fahren. Der Sicherheitspuffer betrage teilweise nur zweieinhalb Minuten wie beim RB 34 in Dalheim und in Mönchengladbach. Beim RE 2 in Düsseldorf seien es zehn Minuten. Besser, aber auch teurer wäre, wenn ein anderer Zug für die Rückfahrt bereitstünde.