Ethnologische Sammlung Wie ein Mann die ganze Welt in einer Mühle bewahrt

Neben dem denkmalgeschützten Wohnhaus können Besucher im zwei Hektar großen Garten spazieren. (Archivbild) Foto: Uwe Anspach/dpa
Neben dem denkmalgeschützten Wohnhaus können Besucher im zwei Hektar großen Garten spazieren. (Archivbild) Foto
© Uwe Anspach/dpa
In einem alten Hofgut hat Timo Heiny ein globales Museum geschaffen. Die Exponate erzählen Geschichten gegen die Fremdheit. Besucher stehen mittendrin.

"Kommen Sie", sagt der Mann. Ein kurzer Händedruck, dann besteigt Timo Heiny zügig die Treppe. Die Stufen der Holzmühle knarren leicht, oben öffnet sich ein Raum – und Dutzende Augenpaare blicken aus dem Halbdunkel. Es sind die geschnitzten Gesichter von Figuren, die wirken, als würden sie gleich zu sprechen beginnen. "Hier fing alles an", sagt Heiny und klopft auf einen wuchtigen Balken, als sei er ein alter Freund.

Dass das Hofgut im Dreiländereck von Rheinland-Pfalz, Frankreich und Baden-Württemberg einmal ein globales Archiv sein würde, hätte Heiny nicht geglaubt. Die 1481 gegründete Mühle, deren gewaltige Silo- und Wohngebäude im Wald bei Westheim nach oben ragen, ist längst kein Ort mehr, an dem Korn gemahlen wird. Sie ist ein Knotenpunkt globaler Geschichten, ein imposantes Museum, ein Sammelbecken für Erinnerungen, Menschen und Mythen aus Afrika und Asien.

Zuwachs aus dem Saarland

In diesen Tagen hat die ethnologische Sammlung noch Zuwachs erhalten. Die lange im Saarland eingelagerten Stücke des Abenteurers Heinz Rox-Schulz (1921-2004) haben in der Pfalz eine neue Heimat gefunden: Masken, Waffen und Ritualobjekte, einige leider beschädigt. Heiny prüft und erfasst jedes Exponat - ein mühevolles Unterfangen. Im kommenden Jahr sollen die betörend schönen Stücke in einem eigenen Raum gezeigt werden.

Westheim sei ein guter Ort für die Sammlung von Rox-Schulz, hatte der Stadtrat von Saarbrücken im November geurteilt. Heinys Sammlung überzeuge inhaltlich und konzeptionell, wirke attraktiv und durchdacht. Besucherinnen und Besucher des Hofguts würden seriös informiert. "Damit wird die Präsentation vor einer unreflektierten, sensationsheischenden, rassistischen oder anderweitig die Kultur herabwürdigenden Rezeption geschützt", lobte das Gremium.

Heiny ist 54 Jahre alt. Sein erstes Wort, sagt er, sei "Elefant" gewesen – Afrika, erklärt er, habe ihn "immer gerufen". Mit 17 spart er jeden Pfennig für eine Reise nach Kenia. Als er dort landet, trifft ihn ein Gefühl, das er nicht losgeworden ist: wie heimkommen. "Ich wusste: Da gehöre ich irgendwie hin."

In einer halben Generation in die Moderne

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Er reist seit 35 Jahren, immer wieder, mit der Kamera. "Ich gehe auf Menschen zu, ohne Barriere. Das öffnet Türen", sagt er. Bald erlauben ihm Samburu und Turkana, ihre Rituale zu fotografieren, ihre Gesichter, ihren Alltag. Heiny sieht, wie sich Kulturen mit irrem Tempo verändern. "Die werden in einer halben Generation in die Moderne katapultiert. Bei uns hat das Jahrzehnte gedauert."

Was er sieht, dokumentiert er – zunächst für sich. "Ich dachte nie an Bücher oder Ausstellungen." Doch mit jedem Jahr nimmt er mehr mit zurück nach Rheinland-Pfalz: Geschichten und Fotos - manchmal Schmuck und Werkzeuge, Alltagsobjekte. Nicht als Trophäen, sondern als gegenseitige Erinnerungen. "Es hat in Papua-Neuguinea angefangen. Ich habe Armbänder getauscht, sie haben mir Muschelschmuck gegeben."

Nomaden mit Smartphones

Die Sammlung wuchs. Erst im Büro, dann im Nebenraum. Irgendwann auf mehreren Etagen. Freundinnen und Freunde wollten die Dinge sehen, Zeitungen berichteten, Menschen brachten Stücke – "bevor sie im Müll landen". So entstand etwas, das nie geplant war: ein Haus der Kulturen. "Archivar einer schwindenden Welt", hat "Die Rheinpfalz" einmal Heiny genannt.

Heute führen er und sein Partner Bernd Louis durch afrikanische, asiatische und ozeanische Räume, zeigen antike Buddhastatuen aus Burma, Kultobjekte aus Indonesien, Ritualstühle aus Ostafrika. Sie erzählen von Regenzeiten, die nie kamen, von nomadischen Stämmen, deren Kinder Smartphones haben, von Grenzbeamten, die staunten, wenn Heiny mit Kunsthandwerk einreiste.

Fremdes wird vertraut

Immer mehr legen auch Ausflugsschiffe an, deren Gäste – aus Peru, Singapur oder Australien – vom Rhein mit Bussen zur Mühle gebracht werden. Rund 600 Besucher im Monat. "Die sagen immer, es sei so authentisch hier", erzählt Heiny. "Kein steriles Kunstdepot, sondern ein Ort, an dem Geschichten leben." 

Was er vermitteln will? Heiny denkt nach. "Viele Menschen haben Angst vor Fremdheit, weil sie nie echte Begegnungen hatten. Wenn sie aber hören, wie ich Menschen kennengelernt habe, wie gastfreundlich sie sind, verändert das etwas. Ich kann erklären, warum Kulturen so sind, wie sie sind."

Und was ist mit kultureller Aneignung?

Und was sagt er auf kritische Fragen? Stichworte wie kulturelle Aneignung und postkoloniale Romantisierung? "Das ist eigentlich nur einmal passiert", erzählt Heiny. Natürlich sei das ein sehr sensibles Thema. "Man sollte es im Kontext sehen. Wir zeigen die Dinge respektvoll, im kulturellen Zusammenhang."

Und Afrika? Nächstes Jahr wird Heiny wohl nicht hinfahren. Es wäre das erste Mal seit 35 Jahren. Wegen der Restaurierung, der neuen Räume, der Verantwortung. "Afrika muss warten", sagt er. Es klingt nicht wie ein Abschied. Eher wie Vorfreude und ein Versprechen auf ein Wiedersehen.

dpa