Klassenkampf Klimapolitik Aus der Berliner Bubble für die Berliner Bubble

Klimapolitik: Wer den abendlichen Verkehrsstau in der Stadt scheut, hat noch andere Mobilitätsmöglichkeiten
Wer den abendlichen Verkehrsstau in der Stadt scheut, hat noch andere Mobilitätsmöglichkeiten
© Julian Stratenschulte / DPA
Die Ampel-Parteien hatten eine grüne Zukunft versprochen. Jahre später fühlen sich viele Bürger von der Klimapolitik abgehängt – zu ungerecht, zu unsozial. Die Regierung kennt das Problem – und will es gesetzlich lösen.

Es gab einmal eine Zeit, da konnten Parteien mit Klimathemen Wahlkämpfe gewinnen: 2021 verkaufte die SPD die Klimawende als neuen Arbeitsmarkt. Die Grünen warben mit einem Klimaschutz-Sofortprogramm, Energiegeld für Geringverdiener und Familien; die FDP wollte die EEG-Umlage reformieren. Sozial gerecht sollte Deutschlands grüne Zukunft werden.

Nach drei Jahren Ampel-Koalition mit einem selbsternannten "Klimakanzler" kann sich die Bilanz der Regierung durchaus sehen lassen: Der Atomausstieg ist geschafft, bei der Kohle ist es auch bald so weit, das Klimaanpassungsgesetz kommt und mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz ist der Bundesregierung ein beispielloser Coup gelungen.

Die Europawahl sollte zum Stimmungstest für die Ampel-Koalition in Deutschland und für die Klimaschutzpolitik werden. Dann das ernüchternde Ergebnis: Mit grünen Versprechen lassen sich keine Wahlkämpfe mehr gewinnen. Stattdessen profitierten konservative und rechte Parteien mit klimaskeptischer Haltung.

Woran hat's gelegen?

Klimapolitik in Städten für Städter

Umfragen und Studien zeigen: Am Interesse der Bürger mangelte es nicht. Die Mehrheit der Deutschen hält den Klimawandel für eine der größten Bedrohungen unserer Zeit und Maßnahmen deshalb für wichtig. Allerdings ist nicht jeder bereit, gleich viel zu investieren. Schon gar nicht, wenn es keine politischen Anreize gibt. Viele haben ein Problem damit, wie Klimapolitik gemacht wird. 

Lange ging es beim Klimaschutz vor allem um den Energiesektor und die Industrie. "Jetzt geht es aber vermehrt um Gebäude und Verkehr, Maßnahmen in diesen Bereichen greifen stärker in die Lebenswirklichkeit der Menschen ein", sagt Brigitte Knopf. Die promovierte Physikerin und Klimawissenschaftlerin ist stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen der Bundesregierung und hat kürzlich den Thinktank "Zukunft KlimaSozial" zur Verbindung von Klima-und Sozialpolitik gegründet. "Wir müssen aufzeigen, dass die Klimapolitik auch Chancen bietet", sagt sie im Gespräch mit dem stern.

Eigentlich waren die Bürger dem Vorhaben der Bundesregierung nicht abgeneigt: Viele hatten darauf vertraut, dass die Ampel Klima- und Sozialpolitik vereinen würde, zeigt eine Umfrage des Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers. Doch die Erwartungen wurden enttäuscht. Um die 80 Prozent der Befragten gaben an, dass Menschen mit geringem Einkommen kaum von der Klimapolitik profitieren. Beispiel CO2-Preis: Wer mehr verbraucht, soll mehr zahlen, so die Idee. Mit einem Klimabonus sollten die Bürger entlastet werden. Die Zahlung ist seit über einem Jahr geplant, bis heute hapert es an der Umsetzung.

Auch mit ihrer Verkehrs- und Energiewende hat die Ampel-Koalition Bürger verloren, zeigt eine Auswertung der Bertelsmann-Stiftung von 2023 zum Thema Klimapolitik und soziale Gerechtigkeit, weil vor allem Städter und Menschen mit vergleichsweise hohem Einkommen und Bildungsstand von den Maßnahmen profitieren – Politik aus der Berliner Bubble für die Berliner Bubble, sozusagen.

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Das 49-Euro-Ticket zahlt sich vor allem in Städten aus, wo die nächste U-Bahn- oder Bushaltestelle nicht weit ist. Komplettiert wird der ÖPNV mit zusätzlichen Angeboten wie Leihrädern, E-Scootern und Ladesäulen, damit der Autoverkehr klimaschonender wird. Nicht zu vergessen die Subventionen für Lastenräder, mit denen Einkäufe im Bio-Supermarkt um die Ecke schnell erledigt sind und der Nachwuchs mal eben in die nahe Kita oder Schule gebracht werden kann. Auf dem Land lässt sich das nicht so ohne Weiteres umsetzen.

Dort bangen die Menschen um ihren Wohlstand. Klimaschädliche "Problembranchen" liegen außerhalb der Städte, der verteufelte Kohlebergbau versorgte die Landbewohner in West- und Ostdeutschland aber jahrzehntelang mit Arbeitsplätzen. Der Emissionsrückgang vor Ort ist zwar der Umwelt zuträglich, sorgt aber in den Gebieten für einen Transformationsstress, weil die Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren. Auch die Verkehrswende gilt auf dem Land als Jobkiller. In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt befürchten mehr als 50 Prozent, so ihre Arbeit zu verlieren, heißt es in der Bertelsmann-Studie. Und mangels Mobilitätsalternativen ist ohnehin fraglich, ob die Verkehrswende auf dem Land überhaupt gelingt.

Deutschlands Klimagesetz soll sozialer werden

Ob Deutschland seinen Wohlstand auf dem Weg zur Klimaneutralität beibehalten kann, ist unter Ökonomen und Forschern umstritten. Laut Bertelsmann-Studie gibt es bisher keinen Präzedenzfall, in dem dieser Drahtseilakt gelungen wäre. Ohne Wohlstands- und Jobverluste wird es wohl nicht gehen. Damit verliert die Ampel-Koalition aber auch den Rückhalt, den sie für ihre Klimapolitik bräuchte.

Kann sie trotzdem noch zur wirtschaftlichen und sozialen Erfolgsgeschichte werden?

Möglichkeiten dafür gebe es genug. Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) schlugen einen "Erneuerbaren Energie-Pool" vor. Er soll stabile Strompreise ermöglichen und gleichzeitig Wind- und Solarprojekte finanzieren. In Österreich profitieren alle Bürger von Klimaticket und Klimabonus. Die französische Regierung fördert die Elektromobilität für Menschen mit niedrigem Einkommen. In Deutschland kämpft Landwirtschaftsminister Cem Özdemir dafür, dass die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse entfällt, wie in Großbritannien und Irland. In der Schweiz dürfen Mitglieder von Wohnungsgenossenschaften nur noch eine bestimmte Anzahl an Zimmern bewohnen, sodass mehr Wohnraum übrig bleibt und gleichzeitig die Energiekosten sinken.

"Die positiven Effekte der Klimapolitik müssen materiell spürbar werden", betont Klimawissenschaftlerin Knopf. "Es wird nicht reichen, eine schöne Geschichte zu erzählen, sondern es muss erfahrbar sein, dass Klimaschutz die Lebensqualität verbessert."

Die Frage, wie Klimaschutz sozial gerecht gestaltet werden kann, hat auch die Bundesregierung als wichtig erkannt. In der viel kritisierten Novelle des Klimaschutzgesetzes wird die "soziale Dimension" künftig eine stärkere Rolle spielen, sagt Knopf. So soll der Klima-Expertenrat in seinen Gutachten auch zu den sozialen Folgen von Klimaschutzmaßnahmen Stellung nehmen.

 

Quellen: Grüne Wahlprogramm 2021, FDP Wahlprogramm 2021, SPD Wahlprogramm 2021, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin.