"40 Gründe, warum Deutschland abschmiert" Standortnachteil Regionalstolz: Der echte Berliner ist jetzt der Zugezogene

Verwitterter Regionalstolz: abgeblättertes Schild weist den Weg zum Berliner Traditionsrestaurant "Waldhütte"
Regionalstolz hilft auch nicht weiter
© Jürgen Ritter / Imago Images
Der Regionalstolz in Deutschland ist regelrecht deutschenfeindlich. Für New Yorker ist kein New Yorker, wer das New-York-Gefühl blöd findet. Wir machen es umgekehrt: Wir wollen nicht, dass sich Zugezogene als Einheimische fühlen.

Dieser Text stammt aus dem Buch "Wir dürfen jetzt nichts überstürzen! 40 Gründe, warum Deutschland abschmiert" von Marcus Werner

"Ich bin ein Berliner." Ganz dünnes Eis! Dass Kennedy nach diesem Spruch damals nicht gelyncht wurde, ist ein Glücksfall der Geschichte.

Viele Einheimische grenzen andere Deutsche aus und sprechen dann kuschelig von "Regionalstolz". Mal ist das lustig oder dusselig harmlos, mal einfach, ja deutschenfeindlich.

Ausgrenzung aus Regionalstolz ist Fremdenfeindlichkeit in noch provinzieller. Eine flüchtige Bekannte hat mir vor einiger Zeit auf einer Party in Berlin erzählt: "Ich bin keine echte Berlinerin. Obwohl ich mein ganzes Leben in Berlin verbracht habe. Weil: Ich bin in Potsdam geboren. Meine Eltern haben damals zwar in Berlin gelebt und sind noch am Tag meiner Geburt die zehn Kilometer mit mir nach Hause gefahren. Aber in meinem Ausweis steht: Geburtsort Potsdam. Und mein Leben lang bekomme ich jetzt zu hören: Sorry, aber eine echte Berlinerin bist du nicht."

Die Frau neben ihr schwenkte versonnen ihr Weißweinglas und hauchte: "Ja, bist du ja auch nicht."

Falscher Regionalstolz: "Erzählen Sie doch nicht, dass Sie Berliner sind"

Nun bin ich selbst ein nach Berlin Zugezogener. Als ich einst einem neugierigen Tischnachbarn in einem Restaurant in Bangkok erzählte, dass ich aus Berlin sei, mischte sich ein Deutscher von einem dritten Tisch aus ein:

"Sind Sie in Berlin geboren?"

"Nein, das nicht."

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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"Dann erzählen Sie doch nicht herum, dass Sie Berliner sind."

Echt wahr! Das war kränkend. Es war kränkend, dass meine Stadt so ein Angstdorf ist.

Cover des Buches "Wir dürfen jetzt nichts überstürzen! 40 Gründe, warum Deutschland abschmiert"
© Yes Publishing

Dieser Text stammt aus dem Buch "Wir dürfen jetzt nichts überstürzen! 40 Gründe, warum Deutschland abschmiert" von Marcus Werner. Darin blickt der Fernsehmoderator und Kolumnist mit dem Humor der Verzweiflung auf sein Land. Verlag "Yes Publishing", 224 Seiten, Preis: 15 Euro 

In New York gehört dazu, wer das New-York-Gefühl teilt

Kaum einem New Yorker würde es in den Sinn kommen, die Zugehörigkeit zur Stadt an die Bedingung der Geburt in einem New Yorker Krankenhaus (oder Taxi) zu knüpfen. Für New Yorker ist kein New Yorker, wer dort lebt, aber das New-York-Gefühl blöd findet. Das wäre doch auch was für uns: Wem es in Kaff A nicht passt, soll nach Kaff B ziehen. Aber wir machen es umgekehrt: Wir wollen nicht, dass sich Zugezogene als Einheimische fühlen. Von Ausländern fordern wir Integrationswillen. Deutsche hingegen sollen Fremde bleiben. Ist das nicht ballaballa?

Nicht nur in Berlin, in ganz Deutschland gestatten viele einem nur dort richtig zu Hause zu sein, wo wir nachweislich geboren sind. Und die Eltern am besten auch schon. Im Idealfall gibt es im Stadtarchiv ein verwaschenes Schwarz-Weiß-Foto der Urgroßeltern, wie sie gerade in der Kapelle die Gesangsbücher verteilen.

Im badischen Bühl war ich von der siebten bis zur zehnten Klasse als der Junge aus Niedersachsen immer der Fischkopp. Wo die das Wort aufgeschnappt hatten, wusste ich nicht. Die kannten bis dato ja gar keinen Menschen von nördlicher als Karlsruhe. Das Nachbarmädchen durfte nicht so oft mit meiner Schwester spielen, damit es ihren badischen Dialekt nicht verlernte. Bis heute gilt dort: Wer Hochdeutsch spricht, ist arrogant. Verstehe ich nicht. Badischfrei zu sprechen, ist nun mal eine Gnade Gottes. Dafür können die Hochdeutsch Sprechenden doch nichts. (Scherzle gmacht!)

Baden und Schwaben, Düsseldorf und Köln – immer diese Feindschaft

Im Ernst: Schwaben erging es nicht anders. Zwar wusste keiner der Teens mehr, warum Baden und Schwaben was gegeneinander haben, aber es war ihnen von den Eltern so erklärt worden: "Bisch ä Schwob, wirsch niemals ä Badner sei." Ausgrenzung aus Regionalbewusstsein – das hat in manchen Familien Tradition wie Raclette und Rotkäppchen zu Silvester.

Dann diese schnurrbärtige Köln-Düsseldorf-Feindschaft.

"Man bestellt keinen Whopper bei McDonald’s und man bestellt kein Altbier in Köln." Seufz.

Und was der Abgrenzungsquatsch kostet! Dieses Saarland, dieses Bremen. Haben ja alle ihre Existenzberechtigung. Ins Saarland kann man zum Beispiel billig aus Frankreich pendeln. Und Bremen hat die Stadtmusikanten. Alles super. Aber doch nicht als Bundesland!

Leute, bitte! Guckt euch NRW an. Rheinland, Westfalen, Ruhr gebiet und Lippe. Alles zusammengeführt zu einem Bundesland. Zusammengehalten vom WDR. Das geht!Wer zu einem Deutschtürken sagt: "Du wirst niemals ein richtiger Deutscher sein", der schadet seinem Land. Aber wenn ein Berliner einem zugezogenen Deutschen sagt: "Du wirst niemals ein richtiger Berliner sein", dann meint der das natürlich herrlich schrullig. Was für eine Marke! Hahahahaha! So süß.

Und so falsch. Der echte Berliner ist heute der Zugezogene. Die in Berlin Geborenen sind mittlerweile in der Minderheit. Aber ich habe kein Problem mit denen. Die dürfen gern bleiben.