Frontstadt Charkiw "Alles ist tot, es wirkt wie Tschernobyl nach dem Unfall"

  • von Morgane Bona
Charkiw liegt nur 20 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Täglich schlagen Bomben ein, die Truppen des Kreml sind gefährlich nah. Was treibt die Menschen an, die hier bleiben? 
Andrij steht in Trümmern in Charkiw
Andrij,  der Leiter der Produktion der Druckerei Faktor-Druck steht schockiert in den Trümmern der Fabrik
© Johanna Maria Fritz / stern

"Komm her, Maxym! Komm sofort her!", ruft der 52-jährige Andrij und läuft seinem Sohn hinterher. Aber der Neunjährige rennt einfach weiter, immer weiter, auf einen Baumarkt zu, hier in Saltiwka, einem Stadtteil im Nordosten von Charkiw. Oder was einmal ein Baumarkt war.

Am 25. Mai 2024 verwüsteten zwei russische Bomben das Gebäude und töteten 19 Menschen. Es war ein weiterer in einer schier endlosen Reihe von Angriffen auf Charkiw – und der bislang tödlichste.

Die zweitgrößte Stadt der Ukraine liegt nur wenige Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Am 10. Mai 2024 begannen die Truppen des Kreml hier eine neue Offensive. Charkiw, das ist fast Front. Seit Beginn des Jahres war die Stadt das Ziel von 1700 Bombenangriffen. Überall in Charkiw trifft man auf Krater, auf zerstörte Gebäude – wie den Baumarkt von Saltiwka.

Drinnen ist von den Regalen nichts mehr übrig, unter den Resten des Blechdachs hängt noch immer beißender Brandgeruch. Draußen, auf dem Parkplatz, hebt Maxym erst einen Schraubenschlüssel auf, dann einen Hammer. Schließlich entdeckt er, was er sucht, ein verbogenes Stück Metall: "Das ist ein Teil der Bombe!" Er hält den Fund wie einen Schatz in seinen mit Staub bedeckten Händen.

Erschienen in stern 25/2024