Umstrittene Daten Jeder dritte junge Mann findet Gewalt gegen Frauen in Ordnung? Warum die Ergebnisse der Umfrage nicht so eindeutig sind

Akzeptieren wirklich so viele junge Männer in Deutschland Gewalt gegen Frauen?
Akzeptieren wirklich so viele junge Männer in Deutschland Gewalt gegen Frauen?
© Paul Gorvett / Getty Images
Veraltete Rollenbilder, homophobe Ansichten und Akzeptanz von Gewalt gegen Frauen – dieses Bild zeichnet eine Umfrage im Auftrag der Nichtregierungsorganisation Plan International von jungen Männern in Deutschland. Doch es wird Kritik an der Methodik der Umfrage laut. Zu Recht? 

Es sind erschreckende Zahlen: 33 Prozent der 18- bis 35-jährigen Männer in Deutschland fände es akzeptabel, wenn ihnen im Streit mit der Partnerin "die Hand ausrutsche". Gar 34 Prozent der jungen Männer gab an, dass sie gegenüber Frauen schon mal handgreiflich geworden seien, um ihnen Respekt einzuschärfen. Die Zahlen aus der Umfrage "Spannungsfeld Männlichkeit" im Auftrag der Nichtregierungsorganisation Plan International erwecken den Anschein, dass junge Männer in Deutschland Gewalt gegen Frauen akzeptabel finden.

Viele Medien haben über die Umfrage berichtet. Gleichzeitig wird Kritik an der Methodik der Umfrage laut. Im Bericht zur Umfrage wird auf einer halben Seite die Methode beschrieben und auf die Repräsentativität der Ergebnisse verwiesen. Doch die Zweifel an eben jener mehren sich. Es lohnt sich also ein Blick darauf, wie die Daten im Vergleich mit anderen Untersuchungen einzuordnen sind und wie seriöse Daten überhaupt zu Stande kommen.

Umfrage Männlichkeit – Kritik an Repräsentativität

Umfragen sind ein bewährtes Mittel, um etwas über die Einstellungen und Meinungen von Menschen zu erfahren. Genau das sollte auch die Umfrage von Plan International erreichen: Auf Nachfrage des stern heißt es von Plan International, dass Ziel der Umfrage sei, "ein Lagebild darüber zu erlangen, wie Männlichkeit in Deutschland in der Gruppe der 18- bis 35-Jährigen verstanden und gelebt wird."

Die Gruppe der 18- bis 35-Jährigen ist also die Grundgesamtheit der Umfrage. Alle Menschen in diesem Alter zu befragen, wäre allerdings unmöglich – laut Statistischem Bundesamt beträgt die Bevölkerung im Jahr 2021 der 20- bis 40-Jährigen nämlich 24,4 Prozent und somit in etwa 20,3 Millionen Menschen in Deutschland. Das ist auch gar nicht nötig: Es kann eine Auswahl an jungen Menschen in Deutschland stellvertretend befragt werden. Doch die Auswahl der Teilnehmenden funktioniert nicht willkürlich. Damit die Aussagen der Befragten auf die gesamte Gruppe der 18- bis 35-Jährigen bezogen werden können, muss die ausgewählte Stichprobe den Merkmalen der gesamten Gruppe (Grundgesamtheit) entsprechen.

Heißt: Schulabschlüsse, finanzielle Situation, Herkunft und Wohnortverteilung müssen exakt so in der Stichprobe verteilt sein, wie in der Grundgesamtheit. Und wie genau die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgewählt werden, ist wichtig. Erst wenn dies erfüllt wird, sind Umfrageergebnisse repräsentativ. Ein zweiter wichtiger Punkt für zuverlässige Daten ist die Anzahl der Befragten. Es muss eine ausreichend große Gruppe befragt werden, damit das Ergebnis statistisch signifikant ist. Also: Es müssend genügend Menschen befragt werden, damit wir sicher sein können, dass die Ergebnisse nicht bloß auf einem Zufall beruhen.

Für die Umfrage von Plan International wurden je 1000 Männer und Frauen im Alter von 18 bis 35 Jahren in einer Online-Befragung befragt. Allerdings flossen nur die Aussagen von 947 Männern und 949 Frauen in die Auswertung mit ein, wie es in einer Fußnote im Bericht von Plan International heißt. Sie wurden zu Gefühlen, den Umgang mit Beziehungen, Vorbildern, Gewalt und Rollenbildern befragt. Plan International hat die Umfrage mit dem Online-Access-Panel "Mo-Web" und dem die Marktforscher und Diplompsychologen Eckhard Preis von "Transpekte" durchgeführt.

Ein solches Online-Panel besteht aus einem Pool an befragungsbereiten Menschen. Solche Online-Panels bestehen meist aus Personen, die sich bei den Marktforschungsinstituten registriert haben und sich freiwillig bereit erklärt haben, an Umfragen teilzunehmen. Und genau hier besteht ein Problem: Die Auswahl an Teilnehmenden an diesem Pool kann die Aussagen verzerren. Es werden sich nur Menschen bereit erklären bei einem solchen Panel mitzumachen, wenn sie gerne ihre Meinung sagen und sich gerne äußern. Es fragt sich also, ob diese besonders mitteilungsbedürftigen Menschen wirklich stellvertretend für alle jungen Menschen in Deutschland stehen können. Bei Online-Panels ist es außerdem üblich, dass Teilnehmende eine finanzielle Aufwandsentschädigung für ihre Teilnahme bekommen.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Zusammensetzung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Auf Nachfrage des stern zu der Auswahl der Teilnehmenden heißt es von Plan International: "Die Stichproben waren bevölkerungsrepräsentativ nach Altersgruppen (18-24 Jahre, 25-29 Jahre und 30-35 Jahre), nach Bildungsgrad (Menschen mit gar keinem bis Realschulabschluss und mit Abitur oder Hochschulabschluss) und nach den Regionen Nord, Süd, West, Ost aufgebaut. Die jeweils gewünschten Fallzahlen wurden exakt vom Panelbetreiber in der Stichprobe erfüllt."

Offenbar wurde bei dieser Auswahl zum Beispiel nicht auf Persönlichkeitsmerkmale, der Zugehörigkeit zu einer Religion oder dem Wohnort in der Stadt oder auf dem Land geachtet und ob dies die Bevölkerung repräsentiert. Es braucht aber möglichst viele Angaben zur Person, damit die Aussagen einer Person gewichtet werden können, je nachdem, wie sehr ihre Stimme für eine gesellschaftliche Gruppe steht. 

Zudem gibt die Nichtregierungsorganisation an, dass die Teilnehmenden vor der Umfrage nicht wussten, um welches Thema es gehe. Und der Link zur Umfrage sei nur einmal gültig, damit keine zusätzlichen Personen an der Umfrage hätten teilnehmen können, was zu einer Verzerrung führen könnte.

Umfrage von Plan International: Gestaltung des Fragebogens

Doch nicht nur die Art der Auswahl der Teilnehmer:innen lassen Zweifel an der Repräsentativität der Daten aufkommen. Auch die ein oder andere Zahl aus der Umfrage überrascht im Vergleich mit anderen Daten. So fühlen sich 48 Prozent der befragten Männer gestört, wenn homosexuelle Männer ihre Homosexualität in der Öffentlichkeit zeigen. In einer repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2016 im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hingegen heißt es: 28 bzw. 38 Prozent der Deutschen ab 16 Jahren ist es unangenehm, wenn sich zwei Frauen bzw. zwei Männer in der Öffentlichkeit küssen.

Auch wie der Fragebogen genau gestaltet ist, hat einen Einfluss auf die Antworten der Befragten. Trotz Nachfrage konnte der stern den kompletten Fragebogen nicht einsehen. Von Plan International hieß es, dass es nicht üblich sei, die Rohdaten oder Fragebögen zu Umfragen herauszugeben.

Dem stern liegt allerdings vor, wie die Zustimmung zu Aussagen abgefragt wurde. Die Befragten sollten bei verschiedenen Aussagen angeben, ob diese auf sie zutreffen. Sie sollten der Aussage nicht nur zustimmen, wenn die Situation auf sie zutraf, sondern sich auch in Situationen hineinversetzen. Also zum Beispiel ein junger Mann, der Single ist, musste sich in eine Beziehung hineinversetzen. Heißt: Es ist durch die Art der Fragestellung so nicht herauslesbar, ob wirklich 34 Prozent der jungen Männer gegenüber ihren Partnerinnen gewalttätig war. Oder nur ein Teil der jungen Single-Männer von sich denkt, dass sie sich in einer Beziehung gewalttätig verhalten würden.

Wer ein Lehrbuch zur Fragebogenkonstruktion aufschlägt, wie jenes von Rolf Porst, findet dort heraus, dass Befragte über nichts befragt werden sollten, was sie mutmaßlich nicht beantworten können. Wie sich jemand in einer Situation verhält, die er noch nicht erlebt habt, ist für viele Befragte mutmaßlich nur schwer oder gar nicht beantwortbar. Es kann also sein, dass die Befragten irgendeine Antwort gegeben haben, wenn sie noch in keiner Beziehung waren/sind. Und sich in einer Beziehung nicht gewalttätig gegenüber der Partnerin verhalten würden.

Eine weitere Vermutung beim Blick auf die Umfrageergebnisse ist, dass sich die Reihenfolge der Fragen gegenseitig beeinflusst haben könnte. So wird auf die Frage nach Vorbildern beispielsweise der Influencer Andrew Tate von jungen Männern genannt. Dieser hat sich öffentlich frauenfeindlich geäußert. Wurde danach beispielsweise etwas zu Rollenbildern oder Gewalt gegen Frauen abgefragt, könnte dies die Antworten ungewollt beeinflussen. Dies ist allerdings nur eine These, die nur mit Einsicht in den Fragebogen bestätigt oder widerlegt werden kann. Es verdeutlicht aber, wie komplex die Gestaltung von Fragebögen ist und wie viele Fehlerquellen sie birgt.

Zugespitzte Präsentation der Daten

Ein weiteres Problem liegt in der Art wie die Daten präsentiert werden. Denn so entsteht eine Zuspitzung. Das lässt sich anhand eines Beispiels zeigen: Der Aussage: "Ich finde es ok, wenn mir bei einem Streit mir meiner Partnerin gelegentlich die Hand ausrutscht" haben in der Umfrage 33 Prozent der befragten Männer zugestimmt. Zur Abfrage der Zustimmung wurde nach Angaben von Plan International eine Vierer-Skala genutzt: "Trifft auf mich … überhaupt nicht zu / … eher nicht zu / … eher zu / … voll und ganz zu". In dem Bericht wurden die Prozentwerte für "trifft auf mich eher zu" / "trifft auf mich voll und ganz zu" allerdings zusammengefasst. Im Bericht der Umfrage wird also nicht aufgeschlüsselt, wie viele der jungen Männer der Aussage komplett zustimmen und wie viele nur in Teilen.

Es lässt sich also sagen, dass es berechtigte Zweifel an der Repräsentativität der Umfrage gibt. Es bleiben durch die Umfrage viele Fragen offen, weil nicht detailliert über die Methode, die Aussagekraft der Daten und was sie eben nicht leisten können, aufgeklärt wird. Durch die Art der Fragestellung und der Datenpräsentation wird ein zugespitztes Bild der jungen Männern in Bezug auf Rollbilder und Gewalt gezeichnet. An dieser Stelle bräuchte es mehr Forschung zu Rollenbildern, Gewalt in heterosexuellen Beziehungen und Männlichkeit. Dabei sollte auch nicht nur die Gruppe der jungen Männer untersucht werden, sondern alle Altersgruppen, um feststellen zu können, ob bestimmte Einstellungen sich in verschiedenen Generationen unterscheiden.

Es ist wichtig, dass Umfragedaten hinterfragt und kritisiert werden. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass aufgezeigte Probleme aus der Umfrage existieren – unanbhänig davon, ob die Daten repräsentativ sind oder nicht. Bereits existierende Studien zeigen, dass Gewalt gegen Frauen und Homophobie ein Problem in unserer Gesellschaft sind. Im Jahr 2021 haben sich 143.604 Menschen in Deutschland laut Bundeskriminalamt an die Polizei gewandt, weil ihr Partner oder ihre Partnerin ihnen gegenüber gewalttätig war. 79 Prozent der Taten wurden von Männern verübt und 80 Prozent der Opfer sind Frauen. In der Statistik zu politisch motivierter Kriminalität des Bundesinnenministerium werden 1.005 Straftaten im Zusammenhang mit dem Themenfeld "Sexuelle Orientierung" für das Jahr 2022 registriert. 2021 waren es noch 870.