Im kommenden Jahr werden nach Schätzungen von UN-Experten die Hälfte der 3,3 Milliarden Menschen weltweit in Städten leben. Bis 2030 werden es sogar fünf Milliarden sein, hieß es im Jahresbericht des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), der in London vorgestellt wurde.
Dies bedeute enorme Herausforderungen, aber auch große Chancen, hieß es in dem Bericht. In Städten lasse sich die Armut leichter bekämpfen, allerdings würden diese Vorteile bisher nicht genutzt. In Afrika dürfte sich die Zahl der Stadtbewohner innerhalb einer Generation mehr als verdoppeln. "Die afrikanischen Städte sind schon heute restlos überfordert", sagte Renate Bähr von der DSW. So seien weder ausreichend Arbeitsplätze noch Wohnraum vorhanden. Besonders hart treffe es Frauen, sagte UNFPA-Vertreterin Bettina Maas. Viele seien in der Stadt nicht besser gestellt als auf dem Land, seien schlecht bezahlt und oft Opfer von sexueller Gewalt.
Verwahrlosung der Jugend droht
Ohne angemessene Vorbereitung drohe den Städten eine Verarmung, eine Verwahrlosung der Jugend und religiöser Extremismus. Diese Probleme zu lösen, sei auch für die Industrieländer von großer Bedeutung, sagte Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD). Wenn die Menschen in den Entwicklungsländern eine Perspektive hätten, nehme der Migrationsdruck ab. "Es gibt kein Problem auf der Welt, das nicht irgendwann auch uns erreicht."
Die SPD-Ministerin forderte in Berlin zusätzliche Anstrengungen, um das Wachstum der Slums in den Städten zu begrenzen. Vor allem müsse in den Ausbau des Gesundheitswesens investiert werden, damit Frauen Zugang zu Familienplanung hätten. Auch eine funktionierende Infrastruktur und Zugang zu Bildung seien wichtig. "Slums werden oft als lästige Begleiterscheinungen betrachtet", sagte Wieczorek-Zeul. "Aber wenn man die Menschen dort ernst nimmt, kann man viel erreichen."
"Arme sollten als Gewinn gesehen werden"
"2008 lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in urbanen Gegenden und wir sind darauf nicht vorbereitet", sagte UNFPA-Direktorin Thoraya Ahmed Obaid. Die derzeitigen Initiativen konzentrierten sich häufig darauf, Armen den Zugang zu den Städten zu erschweren. "Die Städte sehen arme Menschen als Belastung", erklärte sie. "Sie sollten als Gewinn betrachtet werden." Wenn die Städte in diese Menschen investierten und ihnen Schutz und Bildung gewährten, könnten sie zum wirtschaftlichen Wachstum beitragen.
Zur Abschwächung des Städtewachstums könnte nach Einschätzung der Experten eine verbesserte Familienplanung beitragen. Allerdings lasse das urbane Wachstum die Geburtenrate von selbst sinken, da die Menschen in den Städten besseren Zugang zu Informationen und Gesundheitsleistungen hätten. "In einer urbanen Wirtschaft brauchen Frauen weniger Kinder, wollen aber eine bessere Lebensqualität und bessere Bildungschancen", sagte Obaid.

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Extremismus als urbanes Problem
Insgesamt erwarten die Experten, dass sich das Wachstum auf kleinere Städte mit rund 500.000 Einwohnern konzentrieren wird. Diese könnten flexibler reagieren, hätten aber gleichzeitig weniger Geld zur Verfügung. Obaid sagte, wenn die Städte die Bedürfnisse der Migranten nicht erfüllten, drohten soziale Unruhen und religiöser Extremismus. "Extremismus ist oft eine Reaktion auf plötzliche Veränderungen oder ein Gefühl der Ausgeschlossenheit und Ungerechtigkeit", erklärte sie. "Es ist hauptsächlich ein urbanes Phänomen."