Franka Frei ist noch nicht einmal 30 Jahre alt, hat aber schon mehrere Bücher geschrieben, seit sie "aus Versehen" zur Menstruationsaktivistin geworden ist. In der aktuellen Folge des stern-Podcasts "Die Boss" spricht sie mit Gastgeberin Simone Menne über Themen, die insbesondere auch für die Ohren von Männern bestimmt sind: "Verhütung ist Arbeit", und sie ist (auch) Männersache.
Frau Frei, meine Generation beziehungsweise die meiner Mutter, Jahrgang 1935, hat die Pille noch als Errungenschaft gesehen. Denn sie war die einzige Möglichkeit zur Selbstbestimmung. Heutzutage sagen junge Frauen eher: Warum sollte ich mit einem Hormonprodukt verhüten, das mir schadet? Was hat sich verändert?
Ich glaube, dass Themen wie Verhütung durch Social Media heute eher auf unsere Agenda gebracht werden – und damit auch die Probleme, die damit einhergehen. Ja, die Pille hat wahnsinnig viele Vorteile, und es ist sehr wichtig, dass es sichere Verhütung gibt, besonders für Frauen. Aber Verhütung ist auch Arbeit – und sie hat Nebenwirkungen. Die Gesellschaft entwickelt sich weiter, aber die Technologie steckt noch fest.
Sie spielen auf die "Pille für den Mann" an. Wie gehen Männer aus Ihrer Sicht mit dem Thema Verhütung heute um? Für meinen Vater war das ein absolutes No-Go. Aber heute habe ich zum Beispiel mit meinem jungen Trainer über das Thema gesprochen, und er hatte überhaupt keine Hemmung. Das fand ich erstaunlich.
Das zeigt den Erfolg einer kleinen Revolution. Denn im Sport ist inzwischen die Erkenntnis da, dass es viel Potenzial hat, den Zyklus in die Leistung mit einzubeziehen. Da findet aus meiner Sicht gerade ein Umdenken statt. Deshalb wundert es mich nicht, dass ein junger Trainer für diese Gespräche offener ist. Im Sport wie in der Medizin war das Männliche über lange Zeit das Maß aller Dinge. Bei vielen Athletinnen führt der klassische Hochleistungssport dazu, dass sie gar nicht mehr menstruieren. Das hat gravierende Folgen.
Können Sie das genauer erklären?
Die Periode wird in allen Bereichen ausgeklammert, ignoriert oder als etwas Negatives empfunden. Wir haben gelernt, es als gut zu empfinden, wenn sie nicht da ist. Dabei ist sie ein sinnvoller, gesunder Teil der körperlichen Gesundheit. Der Zyklus ist nicht nur wichtig für die Reproduktionsfähigkeit, sondern auch das für das Wohlergehen unserer Knochen, unserer Haut und Muskeln, unserer kognitiven Kapazitäten, unserer Gefühle und so weiter.
Und da sind wir wieder bei der Pille.
Genau. Die Pille und andere hormonellen Verhütungsmittel funktionieren so, dass sie den Zyklus komplett lahmlegen. Wenn wir die Pille pausieren, setzt die Blutung ein. Das hat aber nichts mit der Menstruation zu tun, außer dass sie ihr ähnlich sieht und eine Art natürlichen Zyklus nachspielt. Aber diese Blutung ist für nichts gut. Sie ist nicht einmal ein sicherer Indikator, ob jemand schwanger ist oder nicht. Diese Denke, die Periode sei überflüssig, führt dazu, dass ganz viele junge Frauen schon in den entscheidenden Entwicklungsphasen ihres Lebens hochdosierte Hormone einnehmen, die ihren Zyklus abstellen. Dabei ist der Zyklus ein sinnvoller Prozess für das Heranwachsen eines gesunden Körpers. Und diese Einsicht bewegt immer mehr Frauen dazu, die Pille nicht zu nehmen.
Abgesehen von den Nebenwirkungen für den Menschen sagen Sie auch, dass der ökologische Blick auf die Pille fehlt.
Das sind hochdosierte synthetische Hormone, die nicht identisch mit den körpereigenen Hormonen sind. Wenige wissen, dass der Stoff, den ich einnehme, damit mein Körper zum Beispiel weniger Östrogen produziert, ein anderer ist als das Östrogen, das mein Körper herstellt. Synthetische Hormone haben nicht die gleiche Wirkung auf meine Gesundheit – und sie landen, nachdem sie in meinem Körper ihren Job getan haben, wieder im Abwasser und ungefiltert in der Umwelt.

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Das heißt, diese Stoffe haben Einfluss auf die Umwelt, ähnlich wie andere Rückstände von Medikamenten?
Die wenigen Studien, die es dazu gibt, zeigen wirklich alarmierende Konsequenzen – Fischspezies, die aufgrund der veränderten Hormonwerte im Wasser aussterben, oder Hirnveränderungen bei Säugetieren, etwa bei Schafen. Und diese Rückstände können genauso wieder in unserem Trinkwasser landen. Das kann auch bei Menschen zu Veränderungen im Hormonhaushalt führen, die mit diesen so genannten endokrinen Disruptoren zusammenhängen. So etwas könnte zu ungewollter Kinderlosigkeit oder Unfruchtbarkeit – auch bei Männern – führen. Das zeigt in meinen Augen wie kein anderes Beispiel, dass Verhütung uns alle angeht. Das ist auch ein umweltpolitisches Thema.
Wenn wir jetzt auf die Alternativen in der Verhütung blicken und den Mann mehr in die Pflicht nehmen, wäre das eine neue Errungenschaft. Aber was, wenn das nicht funktioniert? Am Ende ist es trotzdem die Frau, die schwanger wird und die gesundheitlichen, finanziellen oder sozialen Konsequenzen trägt. Würden Sie das Risiko eingehen?
Wenn ich sage, "Verhütung ist auch Männersache", heißt das nicht, dass sie nur Männersache werden soll. Das wäre ein Schuss ins eigene Knie. Ich bin auch nicht dafür, die Pille vom Markt zu nehmen, auch wenn ich ihr gegenüber kritisch bin. Es geht um eine gemeinsame Verantwortung. Jeder Mensch sollte entscheiden können, die Pille zu nehmen oder eben nicht. Oder in einer Beziehung gemeinschaftlich entscheiden, dass ich auf die andere Person vertrauen möchte und nach Jahren, in denen ich verhütet habe, nun sie an der Reihe ist. Es gibt Zahlen, die zeigen, dass Frauen in heterosexuell aktiven Beziehungen mehrheitlich dazu bereit wären, sogar zu 90 Prozent. Es geht also nicht darum, Menschen diese Selbstbestimmtheit zu nehmen, sondern sie auszuweiten. Und ich finde, auch Männer haben das Recht auf mehr Optionen. Es geht auch um ihr Leben und um ihre Verantwortung. Am Ende lassen sich Verhütungsmittel auch kombinieren, das würde die Sache nur sicherer machen. Denn kein Verhütungsmittel, auch nicht die Pille, ist zu 100 Prozent sicher.

Und das ist, wie der Titel Ihres Buches sagt, "überfällig". Haben Sie bestimmte Forderungen an die Politik, an die Gesellschaft, was es für mehr Gerechtigkeit in Sachen Verhütung braucht?
Es geht vor allem um die Unterstützung von Forschungsprojekten zu einer Art "Pille für den Mann". Es muss nicht einmal eine Pille sein, die männliche Verhütung möglich macht, da gibt es ganz viele Ansätze, sowohl hormonell als auch nicht hormonell oder auch ganz einfach nur mittels Körperwärme. Das Ziel wäre eine breite Auswahl an Mitteln. Aber der Forschungsbereich ist seit Jahrzehnten chronisch unterfinanziert. Auch wenn wir immer mal wieder das Gefühl haben, wir stehen kurz vor dem Durchbruch und Forschende jetzt eine neue Substanz entdeckt haben – diese Illusion, das sage ich ganz bewusst, wird uns seit Jahrzehnten gemacht. Schon seit mehr als 40 Jahren steht eine Pille für den Mann kurz vor dem Durchbruch, doch dazu gekommen ist es nie. Und das liegt daran, dass die Pharmaindustrie schon vor über zehn Jahren komplett ausgestiegen ist aus der Forschung an männlicher Verhütung. Und die wenigen Forschungsprojekte, die es gibt, die dümpeln vor sich hin. Unterfinanziert.
Woran liegt das?
Das ist ein strukturelles Problem. Forschungsprojekte mit einer Hormonspritze wurden oft aufgrund von Nebenwirkungen abgebrochen, die uns sehr bekannt vorkommen. Hormonelle Verhütung funktioniert geschlechtsunabhängig ähnlich, aber bei Männern werden Nebenwirkungen wie Akne, Libidoverlust und so weiter nicht toleriert. In der Medikamentenentwicklung gibt es die Richtlinie, dass bei einem potenziellen Mittel immer Risiko und Nutzen gegenübergestellt werden müssen. Bei Frauen rechnet man das potenzielle Risiko einer Schwangerschaft gegen die Nebenwirkungen der Pille auf. Das macht die Toleranzgrenze dafür sehr hoch. Die gleiche Rechnung geht nicht auf, wenn jemand am eigenen Körper keine Schwangerschaft zu befürchten hat. Aber das geht ja von der Logik aus, dass eine Schwangerschaft Frauen jederzeit einfach so passieren könnte. Aber so ist es ja nicht. Dazu gehören zwei. Und diese Logik verhindert auch, dass Männer Verantwortung übernehmen können. Eine klassische Pille für den Mann würde genauso Nebenwirkungen mit sich bringen wie die für die Frau. Aber Männer wären zunehmend dazu bereit, sie trotzdem einzunehmen.
Ich glaube auch, dass viele Männer dazu bereit wären – im Zweifel auch aus eigenem Interesse. Aber hormonelle Verhütung birgt für Männer dieselben gesundheitlichen Risiken, auch die ökologischen Folgen für die Umwelt bleiben nicht aus. Müsste es nicht etwas viel Innovativeres geben in der Forschung?
Innovationen in der Verhütung sind sehr wichtig, aber wir dürfen nicht vergessen, dass Forschung immer auf Forschung aufbaut. Langfristig müssen wir weg von Hormonen zur Verhütung. Aber so schnell wird das nicht gehen. Weltweit sind Hormone die meistgenutzte und wichtigste Verhütungsmethode für Frauen, auch weil es an guten Alternativen mangelt. Und solange wir immer nur nach einer perfekten Pille für den Mann suchen, wird keines dieser Mittel jemals auf den Markt kommen.
Aber Sie klären auch gerne darüber auf, dass es bereits Mittel gibt …
Was viele nicht wissen: Es gibt die Möglichkeit, als Mann mit der eigenen Körperwärme zu verhüten. Wärme nimmt Einfluss auf die Spermien-Produktion. Es heißt ja oft, Männer mit unerfülltem Kinderwunsch sollen nicht mit der Sitzheizung fahren oder zu lange in die Sauna gehen. Aber das wurde selten als Potenzial erkannt, um daraus eine Verhütungsmethode zu bauen. Dabei hat eine Frau schon in den 50er-Jahren, parallel zur Forschung an der ersten Pille, erste Versuche dazu in Gang gesetzt. Das wurde nur leider nicht ernst genommen. In den 70er-Jahren hat der französische Androloge Roger Miesseut den Ansatz wieder aufgegriffen und mit einer Gruppe von feministisch motivierten Männern einen Slip entwickelt, der die Hoden näher an den Körper drückt. So erwärmen sie sich tagsüber, und das schränkt die Spermien-Produktion so ein, dass es zur Verhütung ausreicht. Normalerweise werden die Hoden außerhalb des Körpers gekühlt, damit Spermien produziert werden können. Hört man auf, den Slip zu tragen, normalisiert sich das auch wieder. Ich glaube, dass in diesem Ansatz sehr viel Potenzial für Veränderung steckt.
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Findet das schon Anwendung?
Ja, daraus ist eine ziemlich revolutionäre Bewegung von Verhütungsaktivismus entstanden. In Frankreich nutzen mittlerweile wohl 20.000 Männer einen Silikonring zur wärmebasierten Verhütung, der heißt Andro-Switch. Er wird über Penis und Hoden gezogen und führt – anders als umständliche Verhütungs-Unterhosen aus den Siebzigern – relativ einfach dazu, dass die Hoden näher an den Körper gedrückt werden und sich auf Körpertemperatur erwärmen. Vielleicht ist es eine Gewöhnungssache, aber die Männer, die diesen Ring nutzen, sagen: Ja, nach zwei, drei Tagen hat man sich dran gewöhnt. Das ist so ähnlich, wie man eine Armbanduhr trägt. Ich stelle es mir so vor wie eine Menstruationstasse. Die Methode ist nicht hormonell, und es braucht keinen Eingriff. Leider gibt es noch zu wenig medizinische Unterstützung. Die meisten Urolog:innen haben davon noch nie gehört und sind der Sache deswegen verständlicherweise auch erstmal skeptisch gegenüber eingestellt. Und da sind wir wieder beim Handlungsbedarf, bei mehr Aufklärung und mehr Investitionen, um diesen Ansatz wissenschaftlich weiterzuführen.
Ich frage meine Gästinnen zum Schluss immer, welche Frage, sie nicht mehr gestellt bekommen wollen. Gibt es etwas, das Sie nicht mehr hören können?
Ich finde es ganz anstrengend, wenn in Bezug auf die Menstruation Vergleiche gezogen werden im Sinne von "Männer haben es ja auch nicht leicht mit ungewollten Erektionen oder mit Durchfall." Oder: "Wenn Frauen kostenlos Tampons bekommen, sollten Männer Kondome und Rasierer bekommen." Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll, dieses Argument auseinander zu nehmen. In Bezug auf die Verhütung finde ich es schwierig, wenn es heißt, Frauen wollten Männern die Pille aufschwatzen. So einfach ist es nicht. Es geht um die Übernahme von Verantwortung und Solidarität. Ich glaube, dass das etwas ist, was unsere Gesellschaft in vielerlei Hinsicht lernen muss.
Das Gespräch führte Simone Menne mit Franka Frei im stern-Podcast "Die Boss – Macht ist weiblich". Es wurde redaktionell angepasst.