Der Ort mit den vielen Kindern, an dem für Lena alles besser werden sollte, liegt in einer Sackgasse. Nebenan ragt eine alte Kirche empor, in der Ferne erheben sich die Hänge des Fichtelgebirges. Rund 90 junge Menschen leben im Kinder- und Jugendhilfezentrum St. Josef, gelegen im Süden von Wunsiedel, einer oberfränkischen Kleinstadt mit bunten Fassaden am gepflasterten Marktplatz. Die Wohngruppen heißen "Löwenzahn" oder "Sonnenschein", etwa 80 Fachkräfte arbeiten hier, im Sommer gibt es ein Maifest.
Lena zog Ende des Jahres 2022 in das Heim. Ein zehnjähriges Mädchen, das Tierärztin werden wollte. Ihre Eltern, eine Arzthelferin und ein städtischer Angestellter, hatten sich einige Jahre zuvor getrennt, seither um das Sorgerecht gestritten und wohl auch um alles andere. Nach Ansicht des Jugendamts litt sie unter dem ewigen Streit. Irgendwann wollte sie nicht mehr in die Schule gehen, wurde aggressiv und unzugänglich. Die Eltern schienen überfordert.
Im November 2022 übertrug ein Familiengericht Teile des Sorgerechts vorläufig ans Jugendamt, und Lena kam nach St. Josef. Im entsprechenden Beschluss stand, "das Wohl des Kindes" sei gefährdet.
Etwa vier Monate später war Lena tot.