Das Leiden hat viele Namen: atopisches Ekzem, atopische Dermatitis, endogenes Ekzem oder Kleinkinderekzem. Gemeint ist eine chronisch entzündliche Hauterkrankung, die starken Juckreiz auslöst und in Schüben verläuft. Bei Säuglingen und Kleinkindern ist sie die häufigste chronische Hauterkrankung überhaupt: Bis zu zehn Prozent der Kinder sind davon betroffen.
Die Eltern solcher Kinder leiden in hohem Maße mit. "Wie bei nur wenigen anderen Erkrankungen fühlen sie sich oft hilflos und von den Ärzten allein gelassen", sagt Ulrich Wahn, Direktor der Klinik für Kinderheilkunde mit Schwerpunkt Lungenheilkunde und Immunologie an der Berliner Charité. Die wiederum seien selbst mit der Versorgung von Neurodermitis-Patienten überfordert.
Es gibt nicht die eine Ursache
Warum eine Neurodermitis entsteht, ist nicht allein mit einer Allergie zu erklären. Zwar stammen Kinder mit Neurodermitis häufig aus Allergikerfamilien. Sie erben die empfindliche Haut und leiden oft an Nahrungsmittelallergien oder Heuschnupfen. Dennoch gibt es nicht die eine Ursache für das Leiden. Wissenschaftler und Ärzte haben vielmehr unterschiedliche Faktoren ausgemacht, die eine Neurodermitis auslösen oder verschlechtern können. Bei einem Drittel der Kinder mit Neurodermitis spielen zum Beispiel Nahrungsmittelallergien eine Rolle. Hinzu kommen Infektionen, psychische Faktoren, starke Hitze oder Kälte, Allergene aus der Luft wie Pollen oder Hausstaubmilben sowie mechanische Reize der Haut wie Scheuern, Kratzen oder Schwitzen.
Und nicht nur das: Sowohl die Faktoren, die eine Neurodermitis auslösen, als auch jene, die eine bestehende Neurodermitis verschlechtern, unterscheiden sich von Kind zu Kind. Zum Glück bessert sich bei vielen Kindern der Zustand der Haut bis zum Schulalter. Dennoch ist Neurodermitis eine chronische Krankheit, die als nicht heilbar gilt. Wer etwas anderes verspricht, dem sollten Eltern mit Skepsis begegnen. Auch wenn sich das Hautbild bessert, bleiben betroffene Kinder allgemein anfälliger für Allergien, vor allem für Nahrungsmittelallergien und allergisches Asthma.
Symptome
Leidet ein Kind an Neurodermitis, juckt seine Haut sehr stark. Sie ist trocken, gerötet und schuppig, kann aber auch nässen und Bläschen bilden. Das quält die Kleinen sehr. Deswegen sind sie oft unruhig, reizbar und übel gelaunt.
Das Besondere bei Kindern ist, dass je nach Alter unterschiedliche Hautstellen am Körper betroffen sein können:
- Säuglingsalter bis Zweijährige: Neurodermitis tritt selten vor dem dritten Lebensmonat auf. Meist erscheinen die ersten Symptome an den Wangen, an der Stirn oder der Kopfhaut. Danach breiten sie sich über den restlichen Körper aus. Junge Säuglinge, die sich noch nicht an bestimmten Stellen mit den Händen kratzen können, reiben zum Beispiel ihr Gesicht an der Bettwäsche oder am Bettgestell.
- Zwei- bis Zwölfjährige: Die Haut ist trocken und rissig, nässt oder bildet Knötchen. Sie sieht verdickt und von der Hautfaltenstruktur vergröbert aus - die Haut erscheint insgesamt älter. Vor allem die Ellenbeugen, Kniekehlen, der Nacken und die seitlichen Körperpartien sind betroffen. Manchmal treten die Symptome auch nur an den Füßen auf.
- Jugendliche: Bei Jugendlichen verläuft die Erkrankung im Vergleich milder. Sie leiden meist unter trockener Haut und Ekzemen.
Diagnose
Den einen Labortest, mit dem sich eine Neurodermitis nachweisen lässt, gibt es nicht. Vielmehr erkennen erfahrene Kinder- und Hautärzte die Krankheit, wenn sie die typischen Hauterscheinungen sehen. Welche Faktoren die Symptome auslösen oder verschlechtern, können die Eltern durch Beobachtung herausfinden. Auch ein Allergie-Tagebuch kann hier hilfreich sein.
Bei Säuglingen und Kleinkindern bietet sich ein Bluttest an. Mit ihm können Antikörper auf bestimmte Nahrungsmittel, Hausstaubmilben und Tierhaare nachgewiesen werden. Ein Hauttest ist weniger zu empfehlen, weil sie für Kleinkinder sehr belastend sind.
Bei einer allergischen Spätreaktion auf Nahrungsmittel gibt es keinen geeigneten Bluttest. Wenn die Eltern nicht ein bestimmtes Nahrungsmittel im Verdacht haben, das sie gezielt weglassen und wieder zuführen können, bekommt das Kind eine so genannte hypoallergene Diät, bei der die häufigsten Auslöser vom Spieseplan gestrichen werden. Dann werden einzelne Nahrungsmittel nach und nach wieder angeboten, am besten unter ärztlicher Aufsicht. Dieser Provokationstest hilft herauszufinden, bei welcher Speise sich der Zustand der Haut verschlechtert.
Therapie
Jede Behandlung hat das Ziel, die Lebensqualität der betroffenen Kinder und ihrer Familien zu verbessern. Dazu gehört unter anderem, den Juckreiz zu lindern und nachts wieder Ruhe zu finden.
Bei der Therapie einer Neurodermitis verfolgen Ärzte zwei Ansätze: Allergenkarenz und Hautpflege. Mit Allergenkarenz ist gemeint, dass Faktoren, die eine Neurodermitis auslösen oder verschlechtern, unbedingt vermieden werden sollten. Dazu gehören Allergene wie Pollen oder Hausstaubmilben, Zigarettenrauch oder Nahrungsmittel, auf die das Kind nachweislich allergisch reagiert. Bei der Hautpflege steht die Behandlung der entzündeten Haut im Vordergrund.
Genug Fett und Feuchtigkeit
Reinigen und pflegen Sie die Haut Ihres Kindes schonend und geben Sie ihr genügend Fett und Feuchtigkeit. Achten Sie auch darauf, dass Pflegeprodukte keine Duftstoffe enthalten, das schützt die Haut zusätzlich. Zum Waschen reicht klares Wasser. Für ältere Kinder sind Duschen mit kühlem Wasser besser als lange, heiße Bäder. Ärzte raten sogar dazu, das Kind nicht zu selten zu waschen, um Salbenrückstände, Schweiß und Bakterien zu entfernen. Häufiges Eincremen lindert die Beschwerden, vor allem, wenn die Salben gekühlt sind. Tragen Sie Cremes oder Salben drei bis sechs Mal täglich auf, damit die Haut geschmeidig bleibt.
Entzündungshemmende Salben enthalten meist Kortison oder Steinkohlenteer. Die Auswahl des Wirkstoffes und die Dosierung hängen jeweils vom Alter des Kindes und der Ausdehnung der befallenen Hautstellen ab. Zwar ist der Einsatz von Kortison immer eine Gratwanderung: Auf der einen Seite will man das Leiden lindern, auf der anderen unangenehme Nebenwirkungen vermeiden. Es gibt jedoch kaum Alternativen. Und manchmal ist dieser Wirkstoff unverzichtbar, weil Juckreiz und Hautentzündungen oft nur damit gelindert werden können.
Gesundheitliche Schäden aufgrund von Kortisonsalben sind heute nicht mehr zu befürchten. Der Arzt wird Dosis und Dauer der Anwendung so wählen, dass keine Nebenwirkungen auftreten. Das Mittel sollte zum Beispiel nicht dazu führen, dass die Haut dünner wird, wie es früher bei starken Kortisonpräparaten oft der Fall war. Und die Dosis muss der Arzt so wählen, dass das Kortison nicht in die Blutbahn des Kindes aufgenommen wird und den Hormonhaushalt beeinflusst.
Verzweifelte Eltern suchen in ihrer Not oft nach einer "Wundersalbe". Doch Vorsicht: Solche Versprechen sind höchst unseriös. In angepriesenen Mitteln aus dem Internet oder Ausland ist oft schlicht Kortison enthalten, ohne dass darauf hingewiesen wird.
Das Kratzen vermeiden
Die offenen Stellen an der Haut, die durch das permanente Kratzen entstehen, sind ein großes Problem bei Neurodermitis. Das Kratzen schädigt die ohnehin gereizte Haut zusätzlich, was wiederum den Juckreiz verschlimmert. Ärzte raten Eltern daher, die Fingernägel der Kinder kurz zu halten und zu feilen oder ihnen zum Schlafen Baumwollhandschuhe anzuziehen.
Wenn das Kind sich tagsüber kratzen will, versuchen Sie es abzulenken. Spielen Sie mit ihm oder zeigen Sie ihm zum Beispiel, dass es bei Juckreiz hilft, auf die Haut zu klopfen oder sie zu kühlen statt zu kratzen.
Tragen Sie beim gemeinsamen Spielen keine Wollsachen, da sie die empfindliche Haut des Kindes reizen können. Das Kind selbst sollte Kleidung aus Baumwolle, Seide oder Leinen tragen, die häufig und mit wenig Waschpulver gewaschen wird, und möglichst nicht schwitzen.
Ein regelmäßiger Tagesablauf und das Gefühl, sicher und geborgen in der Familie aufzuwachsen, stärkt die Psyche des Kindes. Und das ist wichtig, denn der quälende Juckreiz, die entzündete Haut und die schlaflosen Nächste machen ihm sehr zu schaffen. Ärzte und Wissenschaftler betonen dabei, dass eine labile Psyche meist die Folge von Neurodermitis ist - nicht die Ursache. Stress kann jedoch den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen. Starke psychische Belastungen können neue Schübe auslösen und die Beschwerden massiv verschlimmern.
Tipps
Säuglinge, die aus einer Familie stammen, in der Neurodermitis bereits aufgetreten ist, oder die schon während des Stillens in den ersten Monaten Symptome entwickeln, sollten erst ab dem sechsten Monat Brei bekommen. So lässt sich einer Nahrungsmittelallergie vorbeugen, die sonst womöglich eine Neurodermitis auslösen könnte. Eltern sollten jedoch immer skeptisch sein, wenn ihnen eine unausgewogene, verallgemeinernde Neurodermitis-Diät empfohlen wird, die nicht mit einem Arzt oder einer Diätassistentin abgesprochen ist. Sie kann zu einer Mangelernährung führen und die Entwicklung des Kindes stören.
In Einzelfällen übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für spezielle Schulungsprogramme für Eltern und Kinder. Ein Team aus Ärzten, Psychologen, Kinderkrankenschwestern und Diätassistenten informiert dabei ausführlich über die Krankheit, gibt wertvolle Tipps und bringt den Betroffenen Entspannungstechniken bei.
Expertenrat
Die Allergie-Experten von stern.de beantworten Ihre Fragen:
Gibt es psychische Gründe für die Entstehung einer Neurodermitis?
Es gibt keine typische Neurodermitis-Persönlichkeit, obwohl immer wieder behauptet wird, dass eine labile Psyche die Ursache einer Neurodermitis sei. Eher sind Kontaktscheu oder Reizbarkeit Folgen und nicht Ursache von Neurodermitis. Die Kinder sind eher in sich gekehrt, da ihre Haut auffällig aussieht und sie darauf negative Rückmeldungen von ihren Mitmenschen erfahren. Die Reizbarkeit entsteht unter anderem durch Schlafmangel wegen des Juckreizes. Tatsächlich kann aber psychischer Stress den Zustand der Haut bei einer bestehenden Neurodermitis verschlechtern, zum Beispiel die Trennung von der Mutter bei einem Klinikaufenthalt oder sehr hohe Anforderungen in der Schule.
Kann eine Impfung Neurodermitis verursachen?
Immer wieder hört man, dass Neurodermitis durch Impfungen ausgelöst würde. Diese Annahme ist falsch. Bislang gibt es keine seriösen wissenschaftlichen Nachweise dafür, dass Impfen Neurodermitis verursacht. Vielmehr dürfen und sollen Kinder, die an Neurodermitis erkrankt sind, nach Impfplan geimpft werden. Allerdings müssen die Eltern und der Arzt darauf achten, dass die Impfung möglichst in einer stabilen Phase der Haut erfolgt, da es eventuell zu einer vorübergehenden Verschlechterung der Symptome kommen kann.
Hilft eine Bestrahlung mit UV-Licht?
Nein, eine UV-Therapie gegen Neurodermitis wird bei Kindern nicht empfohlen.
Forschung
In Finnland verabreichten Forscher werdenden Müttern, deren Babys ein hohes Allergierisiko hatten, ab vier Wochen vor der Geburt Kapseln mit probiotischen Darmbakterien, so genannte Lactobazillen. Nach der Entbindung nahmen stillende Mütter die Kapseln bis zu sechs Monate weiter. Bei Kindern, welche die Flasche bekamen, mischten die Forscher die Kapseln in die Säuglingsmilch. In einer Vergleichsgruppe erhielten Mütter und Kinder ein Scheinpräparat. In der Gruppe, die Probiotika verabreicht bekamen, entwickelten nur noch halb so viele Kinder Neurodermitis.
Die Kinder wurden über einen längeren Zeitraum beobachtet: Auch vier Jahre später trat Neurodermitis in der Lactobazillen-Gruppe nach wie vor seltener auf. Dies galt nicht für Asthma oder Nahrungsmittelallergien. Aber: Die Untersuchungen werden mit unterschiedlichen Bakterienstämmen durchgeführt. Deshalb lassen sich die Ergebnisse dieser Studie keineswegs auf Probiotika allgemein übertragen.