Neurodermitis und Co. "Ohne Dankbarkeit läuft nichts": Wie Positive Psychologie bei chronischen Krankheiten helfen kann

Eine Frau meditiert mit geschlossenen Augen.
Achtsamkeit kann auch im Umgang mit chronischen Erkrankungen helfen. 
© Science Photo Library / Imago Images
Rund 40 Prozent der Deutschen leben mit einer chronischen Erkrankung. Katja Williams ist eine von ihnen. Sie hat seit ihrer Kindheit Neurodermitis. Doch sie hat gelernt, trotzdem ein selbstbestimmtes Leben zu führen – auch dank Positiver Psychologie. 

Schlaflose Nächte, ständiges Kratzen und unangenehme Blicke: Wenn Katja Williams über die erste Zeit mit ihrer Neurodermitis-Erkrankung spricht, dann fallen ihr vor allem negative Momente ein. Im Gespräch mit dem stern erzählt sie, wie die Diagnose ihr Leben verändert hat: "Neurodermitis begleitet mich seit meiner Kindheit." Auch, wenn es zwischendurch eine Zeit ohne Neurodermitis gegeben habe, hätten sich die Symptome im Laufe der Zeit verschlimmert.

Neurodermitis ist eine chronische Erkrankung, die vor allem von Hautausschlag in Kombination mit einem quälenden Juckreiz geprägt ist. Je nach Ausprägung tritt der Ausschlag an unterschiedlichen Stellen des Körpers auf. Bei Williams hat alles in den Kniekehlen und Armbeugen angefangen. "Irgendwann kamen die Hände hinzu und schließlich Hals und Gesicht. Das war das Schlimmste für mich, denn diese Stellen kann ich ja nicht bedecken."

Die Verbindung zwischen Körper und Psyche

Mit solchen oder ähnlichen Problemen haben alleine in Deutschland nach Angaben der Deutsche Dermatologischen Gesellschaft (DDG) jedes Jahr rund zwei Millionen Kinder und 2,5 Millionen Erwachsene zu kämpfen. Nicht selten ziehen sich die Betroffenen zurück und entwickeln psychische Probleme. Auch für Williams war der Leidensdruck groß, sie habe schnell gemerkt, dass "Neurodermitis sich nicht nur auf der Haut zeigt, sondern oft auch auf der Seele."

Auch Psychotherapeutin Andrea Horn kennt die psychischen Begleiterscheinungen einer chronischen Erkrankung. Im Gespräch mit dem stern sagt sie: "Körper und Psyche bilden immer eine Einheit, weshalb wir beides nur gemeinsam betrachten können. Wenn dem Körper also etwas fehlt, dann reagiert auch immer die Psyche." Deshalb seien gerade Menschen mit einer chronischen Krankheit gefordert, auf ihre Psyche aufzupassen.

Vor allem Neurodermitis sei eine Krankheit mit einer enormen Belastung für die Psyche eingergeht. Schuld daran ist der Juckreiz wie Horn erläutert: "Juckreiz spricht im menschlichen Gehirn exakt die Areale an, die auch bei Schmerzen anspringen. Von der Verarbeitung her ist der Leidensdruck also ähnlich." Außerdem spiele bei Betroffenen auch die Angst vor einem neuen Schub, die Scham, sich damit in der Öffentlichkeit zu zeigen und die damit verbundene Angst vor Ablehnung eine Rolle.

Warum positives Denken nicht reicht

Eine Situation, mit der sich Williams irgendwann nicht mehr abfinden wollte, wie sie dem stern erzählt: "Ich wollte ein erfülltes Leben leben können – trotz meiner Erkrankung." Sie habe mit der Zeit gelernt, sich selbst anzunehmen und sich mit ihrer Neurodermitis auseinanderzusetzen. Ein wichtiger Wegweiser in diesem Zusammenhang war die Positive Psychologie. Heute weiß sie: "Eine positive Sichtweise auf die Erkrankung hat mir in Kombination mit einer medizinischen Therapie gut geholfen."

Positive Psychologie kann von entsprechenden Psychotherapeut:innen als Begleitindikation zum Einsatz kommen. Dabei geht es aber um weitaus mehr, als positives Denken. Psychotherapeutin Horn erklärt das Konzept so: "Das Ziel ist nicht, dass wir jeden Tag freudestrahlend durch die Welt gehen. Das geht auch gar nicht." Viel wichtiger sei es, dass wir lernen, jedes unserer Gefühle zu akzeptieren.

Im Gespräch mit ihren Klienten verdeutlich Horn das gerne in einem Bild: "Unsere Gefühlswelt ist wie eine Farbpalette – es gibt sehr fröhliche und bunte Farben, aber eben auch eine sehr düstere Palette. Positive Psychologie sagt nicht, dass wir jeden Tag in den buntesten Farben malen, sondern diese Vielfalt anerkennen."

Aber: eine Krankenbehandlung ist Positive Psychologie damit keineswegs. Die Methoden und Strategien, die sich vor allem um Achtsamkeit, Ressourcen- und Stärkenaktivierung und die Etablierung einer positiven Grundhaltung zum Leben drehen, haben zum Ziel, dass gesunde wie chronisch kranke Menschen ihr Leben selbstbestimmt und zufrieden gestalten können. "Betroffene schauen also, was sie abseits des Leidens ausmacht, welche Stärken, Wünsche und Talente sie eigentlich haben", erklärt die Psychotherapeutin.

Stress versus Positive Psychologie

Der Neurodermitis-Betroffenen Williams ist es so gelungen, besser mit ihrer Erkrankung umzugehen: "Ich habe gelernt, dass zwei Fragen zentral sind: Wie voll oder leer ist meine eigene Batterie und was kann ich tun, um meine Akkus wieder aufzuladen?", sagt sie im Gespräch mit dem stern. Außerdem habe sie gelernt, auf die Signale ihres Körpers zu hören, sich Auszeiten zu nehmen und zu schätzen, was sie am Leben hat: "Ohne Dankbarkeit läuft nichts", sagt Williams.

Andrea Horn nennt einen weiteren positiven Effekt: "Neurodermitis ist auch eine stressbedingte Erkrankung. Das heißt, sie ist stärker, wenn im Leben der Betroffenen mehr Stress stattfindet. Da können wir mit Selbstfürsorge und einer positiven Grundeinstellung dazu beitragen, die Symptomatik zu reduzieren." Aus diesem Grund ist die Psychologin auch davon überzeugt, dass die psychologische Praxis für viele chronisch Erkrankte in Deutschland eine gute Möglichkeit sein kann, ihr Leben aktiv(er) zu gestalten. Vor allem bei Autoimmunerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes habe sie dahingehend schon gute Erfahrungen gemacht. "Meine Grundhaltung ist: Positive Psychologie ist für jeden gut."

Zumindest im Fall von Frau Williams sollte sie Recht behalten. Sie hat durch Positive Psychologie zurück in ein aktives und selbstbestimmtes Leben gefunden, wie sie dem stern erzählt: "Heute geht es mir gut. Natürlich habe ich auch einmal 'schlechte' Tage. Aber das ist in Ordnung, da ich grundsätzlich mit mir im Reinen bin und mein Leben trotz Neurodermitis genieße."

Positive Psychologie hilft nicht immer

Pauschalisieren kann man das allerdings trotzdem nicht. Ob Positive Psychologie, die heutzutage von vielen Psychotherapeut:innen im Rahmen einer Psychotherapie angewendet wird, chronisch kranken Menschen wirklich helfen kann, hängt immer von der individuellen Ausgangssituation ab. Und davon, wie die Betroffenen mit den Inhalten umgehen, wie Psychotherapeutin Horn erläutert: "Man muss aufpassen, dass man sich nicht selbst unter Druck setzt."

In Deutschland leben laut dem Robert-Koch-Institut 40 Prozent der Menschen mit mindestens einer chronischen Erkrankung. Die häufigsten sind Allergien, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Laut Psychotherapeutin Horn lohnt es sich für die meisten Betroffenen, der Positiven Psychologie zumindest eine Chance zu geben, denn "wir haben nur das eine Leben, soweit ich weiß. Und gerade, wenn wir eine körperliche chronische Erkrankung haben, können wir doch nur versuchen, das Beste daraus zu machen."

PRODUKTE & TIPPS