Forschung Ist das der Gamechanger? Neues Medikament gegen Alzheimer verlangsamt das große Vergessen

Ältere Frau hält sich verzweifelt die Hände vors Gesicht
Eine Alzheimer-Erkrankung bedeutet Abschied auf Raten.
© ipopba / Getty Images
Alzheimer ist nicht heilbar. Ein neues Medikament soll den Krankheitsverlauf immerhin verlangsamen. Ist das der langerwartete Durchbruch? 

Zuerst ist da nur eine gewisse Fahrigkeit. Immer mal wieder fehlt das passende Wort, immer öfter wird etwas vergessen. Dann nehmen die Sprachstörungen zu. Mangelnde Orientierung wird zum Problem, der Alltag zur Belastung. Irgendwann verschwimmen Gegenwart und Vergangenheit. Die Welt wird zum Irrgarten, der körperliche Verfall nimmt zu. Der Mensch von früher verschwindet – es ist ein Abschied auf Raten.

Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz. Allein 2021 erkrankten laut Deutscher Alzheimer Gesellschaft etwa 440.000 Menschen über 65 Jahren neu an der Demenzform. Geheilt werden kann Alzheimer nicht. Ein Hersteller will nun aber ein Mittel gefunden haben, das Fortschreiten der Krankheit zumindest zu verlangsamen. Ist das der erwartete Gamechanger?

Antikörper als Schlüssel gegen Alzheimer

Laut der Studie des Herstellers Eli Lilly schafft es das neue Alzheimer-Medikament Donanemab, das Fortschreiten der Krankheit im frühen Stadium zu verlangsamen. Noch in diesem Quartal soll die Zulassung bei der US-Arzneimittelbehörde FDA beantragt werden, teilte der US-Pharmakonzern Eli Lilly mit. Experten sprechen von einem "wirklichen Fortschritt", warnen aber auch vor Nebenwirkungen.

Der Antikörper Donanemab erkennt im Gehirn der Patienten eine Form des Peptids Amyloid-β, das bei Alzheimer-Erkrankten im Gehirn in Amyloid-Plaques angehäuft ist. Solche Ablagerungen von Eiweißen im Gehirn treten Jahre vor den ersten Symptomen auf und sind charakteristisch für Alzheimer. Das neue Medikament zielt darauf ab, diese abgelagerten Plaques zu entfernen, anstatt nur die Ablagerung neuer oder das Wachstum bestehender Plaques zu verhindern.

In einer 18-monatigen sogenannten Phase-III-Studie mit mehr als 1700 Teilnehmern zeigten die Menschen, die Donanemab bekommen hatten, nach Unternehmensangaben rund 35 Prozent weniger kognitive Beeinträchtigungen, als solche, die ein Scheinmedikament erhalten hatten. Auch im Alltagsrahmen zeigten sich Verbesserungen. Demnach waren die Patient:innen nach 18 Monaten Behandlungszeit bei Aktivitäten des täglichen Lebens um 40 Prozent weniger beeinträchtigt als die Placebogruppe.

Alzheimer-Medikament: "Nachweisbarer, aber geringer Effekt"

Wie diese Ergebnisse einzuschätzen sind, wird derzeit noch diskutiert. "In meinen Augen ist das der erste überragende Behandlungserfolg der Alzheimererkrankung mit einem Antikörper", meint Hans-Ulrich Demuth, Professor am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie. Er beruft sich auf die signifikante Reduktion der Plaque-Level bei einem Drittel der Patient:innen nach sechs Monaten, nach eineinhalb Jahren Behandlungszeit hätten mehr als 70 Prozent der Teilnehmer:innen die Studie mit dem "Ergebnis der völligen Plaque-Clearance" beendet.

Auch Christian Haass, der die Abteilung für neurodegenerative Erkrankungen an der Ludwig-Maximilians-Universität München leitet, wertet die Entwicklung positiv und äußert sich vorsichtig optimistisch. Sicherlich sei mit Blick auf die Nebenwirkungen und eine bessere Wirksamkeit der Therapie noch vieles zu verbessern, so Haass. Allerdings sei die Reduzierung von Amyloid "sicherlich der richtige Ansatz, um die Krankheit zumindest zu verlangsamen". Und: "Eines sollte jetzt nun auch endlich mal klar sein, die Amyloid-Hypothese ist keine Hypothese mehr, sondern ein Fakt!“

Stefan Teipel wertet die Daten zwar ebenfalls als ermutigend. Die Euphorie des Leiters der Forschungsgruppe Klinische Demenzforschung am Deutschen Zentrum für neurodegeneratve Erkrankungen hält sich dennoch in Grenzen. In der Zusammenschau sprächen alle bisherigen Ergebnisse zwar für einen nachweisbaren, aber geringen Effekt der Amyloid-Antikörper auf die kognitive Leistung über 18 Monate. "Für den einzelnen Patienten wird die positive Wirkung nach 18 Monaten kaum spürbar sein, die Hoffnung ist, dass die Effekte über längere Zeiträume anhalten, was bislang aber noch nicht gezeigt wurde", so Teipel.

Nicht der erwartete Gamechanger

Bereits im Januar war in den USA das Medikament Leqembi zugelassen worden, das einen ähnlichen Ansatz verfolgt (mehr zu Legembi hier). Es wurde vom US-Unternehmen Biogen zusammen mit dem japanischen Pharmaunternehmen Eisai entwickelt und enthält den Antikörper Lecanemab. Der Antikörper bindet die löslichen Amyloid-β-Moleküle und verhindert damit die Entstehung der Plaques. 

Die Studienergebnisse zu Donanemab seien ein "wirklicher Fortschritt für die Patienten", sagte Frank Jessen, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Köln, der Deutschen Presse-Agentur. Grundsätzlich sei die Wirkung von Donanemab und Lecanemab vergleichbar. "Für einen genauen Vergleich muss man die Studiendaten sehen und hoffentlich auch zukünftig in der Versorgung in Deutschland mit diesen Substanzen vergleichende Erfahrung sammeln."

"Auch Donanemab ist leider kein Gamechanger",  sagte Linda Thienpont, Leiterin Wissenschaft bei der Alzheimer Forschung Initiative, das Medikament könne aber ein nächster Schritt in die richtige Richtung sein. "Es kann die Alzheimer-Krankheit weder heilen noch stoppen, aber auch wie Lecanemab zumindest den kognitiven Abbau verlangsamen." Thienpont unterstrich allerdings noch einmal die teils schweren Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen und Hirnblutungen, der Wirkungseffekt sei "teuer erkauft".

Quelle: PM Hersteller Eli LillyDeutsche Alzheimer Gesellschaft, mit Material der Dpa und dem Science Media Center

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