Ob in der U-Bahn, im Internet oder im Kino: Ernst, 50 Jahre alt, Architekt ist momentan überall zu sehen. Selbstbewusst und zuversichtlich schaut er die Betrachter von den Plakaten und der Leinwand an. Der vitale Mann aus Bayern ist einer von zwölf Botschaftern, die sich im Rahmen der diesjährigen Kampagne zum Welt-Aids-Tag zu ihrer Erkrankung bekennen. Dank moderner Medikamente ist HIV behandelbar, die Diagnose kein Todesurteil mehr, darauf will Ernst hinweisen. "Freunde von mir sind gestorben, da sie ihre Medikamente nicht genommen haben", sagt er. "Ich würde jedem raten, einen Test zu machen und sich behandeln zu lassen, wenn er einen Verdacht hat."
Ernst weiß, wovon er spricht. Er selbst hatte lange Zeit die Signale seines Körpers ignoriert - magerte ab, hatte mit Fieberschüben und Hauterkrankungen zu kämpfen. Da er in einer stabilen Partnerschaft lebte, machte Ernst sich keine Gedanken um das Thema Aids. Heute sagt er: "Ich habe es unterschwellig geahnt. Dachte aber, es ist besser, Du weißt es nicht." Sein Hausarzt machte ohne sein Wissen einen HIV-Test, da er sich die Symptome nicht erklären konnte. "An einem Freitag, den 13., teilte er mir das Ergebnis mit", erinnert sich der 50-Jährige. "Ich habe meine Mutter angerufen und geheult. Ich war fest überzeugt, dass ich zum Tode verurteilt bin."
HIV und Aids
In Deutschland leben laut Robert-Koch-Institut 73.000 Menschen mit HIV. Die Zahl der Neuinfektionen in der Bundesrepublik lag Ende 2010 bei 3000, etwa 550 Infizierte starben. Das Aidsvirus zerstört das Immunsystem, Krankheitserreger können nicht mehr abgewehrt werden. Die 2010 gestartete Kampagne zum Welt-Aids-Tag "Positiv zusammen leben. Aber sicher!" soll dazu beitragen, dass HIV-Positive oder Aidskranke ohne Ausgrenzung und Diskriminierung leben können. Der Weltaidstag wurde 1988 zum ersten Mal von den Vereinten Nationen ausgerufen.
Fast gestorben
Doch selbst nach der Diagnose im Jahr 2008 suchte Ernst keine ärztliche Hilfe. Eine Gehirnentzündung als Folge der HIV-Infektion kostet ihn kurz darauf tatsächlich fast das Leben - und brachte die Wende. Im Krankenhaus wurde Ernst erstmals mit Medikamenten gegen HIV behandelt. "Wenn ich diesen Schritt früher gemacht hätte, wäre es sicher besser gewesen. Aber ich musste wohl erst bis zu diesem Punkt kommen", sagt er. Eine Hörhilfe muss der 50-Jährige seitdem zwar tragen, denn die Gehirnentzündung ließ ihn fast taub werden. Doch die Medikamente halten das HI-Virus in Schach.
Drei Jahre später ist die Zahl der Viren im Blut bei Ernst unter der Nachweisgrenze, die Zahl der für die Immunabwehr wichtigen T-Helferzellen gestiegen. Morgens muss er noch eine Tablette nehmen, abends zwei. "Dass Medikamente so gut funktionieren, eine Krankheit so im Zaum halten, war für mich eine neue Erfahrung", sagt er. Vierteljährlich muss Ernst zur Kontrolle, Nebenwirkungen spürt er nach eigenen Angaben keine.
Doch das ist nicht bei jedem Erkrankten so. Andere HIV-Infizierte leiden unter Übelkeit und Erbrechen, ihre Nierenfunktion verschlechtert sich oder sie entwickeln Resistenzen gegen die Medikamente. Zwar sind in den vergangenen Jahren neue antiretrovirale Mittel, mit denen die Virusvermehrung gehemmt werden kann, auf den Markt gekommen. Sie sind einfacher einzunehmen und wesentlich verträglicher als zum Beispiel Medikamente der ersten Generation. Doch auch diese Mittel haben Nebenwirkungen. "Vor allem über die Langzeitwirkungen ist noch wenig bekannt", sagt der Aids-Experte Jürgen Rockstroh. Sichtbar werde schon jetzt, dass bei den Behandelten häufiger Knochenbrüche, Schlaganfälle und auch neurokognitive Veränderungen wie Demenz auftreten.
Anfälliger für chronische Erkrankungen
Denn das ist die Kehrseite der positiven Nachricht: Zwar haben HIV-positive Menschen heute eine nahezu normale Lebenserwartung. Doch sie leiden im Alter häufiger an chronischen Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Herz-Kreislauf-Problemen. "Darauf müssen wir unser Augenmerk richten und uns fragen, wie wir damit in Zukunft umgehen", sagt Rockstroh.
Der Professor an der Uniklinik Bonn ist Aidsforscher der ersten Stunde. Er hat miterlebt, wie sich die Behandelbarkeit von HIV und die Prognosen für die Erkrankten im Laufe der Zeit deutlich verbessert haben. "Als ich angefangen habe, sind alle Patienten mit der Diagnose HIV innerhalb weniger Monate im Krankenhaus gestorben", sagt er. "Mittlerweile haben wir nur noch wenig stationäre Patienten." 30 Prozent der 1000 Patienten, die in Bonn betreut werden, sind dem Mediziner zufolge über 50 Jahre alt.
"Allerdings gibt es eine erschreckend große Gruppe von Menschen, die gar nicht wissen, dass sie infiziert sind", sagt Rockstroh. Gut ein Drittel sei das in Deutschland. "Von diesen Menschen, die ihre HIV-Infektion unwissentlich weitergeben, geht das größte Risiko aus."
Angst um den Arbeitsplatz
Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), wird daher nicht müde zu betonen, dass die Aufklärung konsequent weitergehen müsse. "Auch wenn HIV mittlerweile gut behandelbar ist, bleibt es eine ernste und schwere Erkrankung, die noch nicht geheilt werden kann", sagt sie. "Das Virus ist ein Leben lang im Körper und muss mit Medikamenten unter Kontrolle gehalten werden."
Auch wenn nur noch 20 Prozent der Allgemeinbevölkerung Aids für eine gefährliche Erkrankung halten - eine neue Sorglosigkeit im Umgang mit dem Thema sieht Pott nicht. "Nie zuvor haben so viele Menschen wie heute Safer Sex mit Kondomen praktiziert", sagt sie. Mit Diskriminierung und Vorurteilen haben Erkrankte allerdings noch immer zu kämpfen - unter anderem in der Berufswelt.
"Von 22 im DAX gelisteten Unternehmen gaben bei einer Befragung sechs an, insgesamt 19 HIV-positive Mitarbeiter zu beschäftigen", sagt Pott. "Rein statistisch hätten es hochgerechnet auf die Anzahl der Beschäftigten allein in diesen sechs Firmen 420 sein müssen." Ihr Fazit: Noch immer würden viele Erkrankte ihre Infektion am Arbeitsplatz verschweigen. Unter anderem, um dem Vorurteil zu entgehen, dass Menschen mit HIV nicht belastbar seien.
Ernst kennt dieses Problem aus eigener Erfahrung. Nachdem bei ihm HIV diagnostiziert war, trennte sich sein Geschäftspartner von ihm. Für Freunde und Bekannte plant er allerdings weiterhin Häuser.
Hoffen auf Heilung
Der größte Wunsch von Ernst: Dass Aids irgendwann einmal heilbar ist. "Darauf hoffe ich", sagt er. "Vor ein paar Jahren haben wir nicht gewagt, daran zu denken", sagt Aids-Experte Rockstroh. Doch Ergebnisse aus der Grundlagenforschung, unter anderem zu gentechnischen Ansätzen, würden Hoffnung machen. "Das ist nichts, was bald umsetzbar ist. Aber die Forschung greift das Thema Heilung wieder auf. Da ist wieder Wind in die Geschichte gekommen", sagt der Mediziner.
Auf die Teilnahme an der Welt-Aids-Tag-Kampagne hat Ernst viele positive Rückmeldungen bekommen. "Ein Bekannter erzählte mir, dass er ebenfalls HIV-positiv ist und ähnliches wie ich durchgemacht hat", sagt er. "Mein Mut hat seinen bewirkt."