Ein Drittel der Europäer könnte nach Angaben der EU-Kommission an der Schweinegrippe erkranken. Es sei zu befürchten, dass sich das Virus im Laufe der kommenden Monate verändern werde und deutlich aggressiver werde, sagte EU-Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou der Zeitung "Die Welt". "Nach allem, was wir wissen, können sich bis zu 30 Prozent der Bevölkerung mit der Schweinegrippe infizieren." In diesem Fall müsse auch mit einer "erheblichen Zahl" von Toten gerechnet werden. "Wir müssen wachsam bleiben", sagte Vassiliou. In der Europäischen Union leben fast 500 Millionen Bürger.
Die EU-Gesundheitskommissarin warnte zugleich vor den Folgen der Schweinegrippe für die Konjunktur. Die möglichen wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Schweinegrippe dürften nicht vernachlässigt werden. "Die wirtschaftliche Erholung in der EU könnte durch die Schweinegrippe geschwächt werden", sagte Vassiliou. Vor allem Wirtschaftszweige wie Tourismus oder Freizeitindustrie könnten demnach Einbußen erleiden. Wegen höherer Krankenstände und weniger Konsum infolge von Unsicherheit seien außerdem eine niedrigere Produktivität und Störungen der Produktionsabläufe in den Unternehmen denkbar.
Vassiliou forderte Schulen bei Infektionen zu schnellem Handeln auf. "Es gibt derzeit keine Notwendigkeit, zur Vorsorge Massenschließungen von Schulen vorzunehmen", sagte die EU-Kommissarin aus Zypern. Wenn bei einzelnen Schülern Infektionen festgestellt würden, sollten die betroffenen Schulen allerdings "unverzüglich schließen". Auch Freizeitveranstaltungen wie Sport, Musikunterricht oder Tanzkurse sollten dann abgesagt werden.
Für die Entwicklungsländer fast nichts übrig
Sollte sich das Virus ausbreiten und aggressiver werden, könnte es nach Einschätzung der EU-Kommissarin "durchaus einen Wettbewerb zwischen den Ländern um den Impfstoff geben". Möglicherweise sei jedoch nur eine Impfung notwendig, statt wie bisher geplant zwei Impfungen, sagte Vassiliou. Dies werde in Kürze von den europäischen Gesundheitsbehörden entschieden. Staaten, die über zu viel Impfstoff verfügten, sollten dann etwas davon abgeben an Länder, die zu wenig haben, forderte die EU-Kommissarin.
Ähnlich äußerte sich auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie erklärte, dass in den Entwicklungsländern der Bedarf an Impfstoff gegen das Schweinegrippe-Virus bei weitem nicht zu decken sei. Im Falle einer Seuche würden "Milliarden von Impfdosen" fehlen, sagte WHO-Generaldirektorin Margaret Chan in Havanna. Die WHO will im November damit beginnen, Impfstoffe an mehr als 100 Entwicklungsländer zu liefern, darunter auch Kuba.
Die WHO hatte bereits vor zwei Wochen davor gewarnt, dass mit den bislang von Pharmakonzernen und Industrieländern zur Verfügung gestellten Chargen nur rund zwei Prozent der Bevölkerung in den Entwicklungsländern geimpft werden können. Seit dem erstmaligen Auftreten des Virus A (H1N1) in Mexiko Anfang des Jahres starben weltweit mindestens 5000 Menschen an der Schweinegrippe.