Die vierte Welle rollt noch unerbittlicher durchs Land als ihre Vorgänger. Fast 34.000 Menschen haben sich zuletzt mit dem Coronavirus infiziert – ein neuer Höchstwert. Die meisten Experten glauben auch nicht, dass sich die Lage über den Winter wesentlich verbessern wird. Zwar verhindern Impfungen schwere Covid-19-Verläufe, aber zum einen ist die Impfquote in Deutschland weiterhin beschämend niedrig, und zum anderen verhalten sich Politik und manche Menschen so, als sei die Pandemie im Grunde so gut wie überwunden.
Kostenlose Coronatests abgeschafft
Da plant die Ampelkoalition, also die mutmaßlich künftige Bundesregierung, das Ende der "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" an die viele Corona-Maßnahmen gekoppelt sind. Da wurden leichtfertig kostenlose Coronatests abgeschafft, obwohl auch Geimpfte infiziert und ansteckend sein können. Da kippt Nordrhein-Westfalen die Maskenpflicht an Schulen, was allen Schülerinnen und Schülern zu gönnen ist, aber sicher nicht dabei hilft, das Virus im Zaum zu halten. Da werden großzügig Booster-Impfungen empfohlen, ohne zu wissen, wo und wie sie unters Volk kommen sollen.
Am Bodensee treffen sich jetzt die Ländergesundheitsminister, um den Corona-Kurs der nächsten Wochen zu besprechen. Die Entscheidungen und Diskussionen der vergangenen Tage erwecken den Eindruck, als hätten sie nichts aus 2020 gelernt. Im Gegenteil. Wie zum Hohn fordert der Ressortchef des Bundes, Jens Spahn, die erst vor zwei Monaten geschlossenen Impfzentren wieder zu öffnen – als handele es sich dabei um Café-Terrassen, auf die man nur schnell ein paar Stühle und Tische zu hieven braucht.
Geht der Schmerz, gehen die Einschnitte
Leider erinnert das alles an das Antibiotika-Phänomen. Da werden die Pillen auch gerne schon abgesetzt, sobald der Schmerz schwindet. Obwohl die Ärzte stets mahnen, bitte die ganze Packung aufzubrauchen, weil sonst die Wirkung verpufft. So ähnlich scheint das auch seit 20 Monaten mit der Politik und den Corona-Maßnahmen zu sein: mit den ersten Schmerzen gehen auch die Einschnitte. Verständlich, aber kurzsichtig. Vor allem aber auch deswegen ärgerlich, weil nichts von dem, was gerade an der Inzidenz-, Impf- und Intensivstationsfront passiert, überraschend wäre oder wir nicht schon einmal so oder so gehabt hätten.
Es ist ja nicht nur so, dass schon das Virus an sich den Menschen zu schaffen macht und das überforderte Pflegepersonal in andere Berufe flüchten lässt. Nicht minder ermüdend sind die ständigen Hü-und-Hott-Entscheidungen in Berlin und anderswo. Wie soll Verständnis für all die Maßnahmen entstehen, wenn jeder 2G-Wirt mehr über den Impfstatus seiner Gäste weiß, als deren eigene Arbeitgeber? Jedenfalls dann, wenn kontrolliert wird, was ohnehin nicht immer die Regel zu sein scheint.
Aber vielleicht gibt es dennoch Hoffnung. Mitten hinein in diese Tirade über den Klub der irrlichternden Ladys und Gentlemen platzt die Meldung, dass sich Spahn und die Ärzteverbände darauf verständigt haben, dass alle einen Booster bekommen können, deren letzte Impfung sechs Monaten her ist. Klingt nach einer klaren wie nachvollziehbaren Regelung. Jetzt muss es nur noch dabeibleiben.