Plötzlich zieht sich ein Freund aus dem Freundeskreis zurück, sagt häufig Treffen ab, oft kurzfristig. Sie sind etwas beleidigt, vor allem aber ratlos – und ahnen, dass da irgendetwas los ist. Aber Sie wissen nicht was. Und dann erfahren Sie: Derjenige hat Probleme mit der Psyche, leidet plötzlich an Depressionen. Bevor Sie darauf reagieren, atmen Sie vielleicht besser einmal durch, und versuchen, sich einige Sätze zu sparen, die in dieser Situation häufig gebraucht werden.
"Du hockst ja auch immer nur zuhause rum. Geh mal wieder mehr unter Leute!"
– Typische Verwechslung von Ursache und Effekt. Wer an Depressionen leidet, igelt sich in der Regel ein, weil die ganze Umwelt plötzlich unendlich überfordernd wirkt. Findet man die selbstgewählte Isolation toll? In der Regel nicht! Aber oft ist es schlicht nicht möglich, sich in größeren Menschengruppen zu bewegen, die Vorstellung von Gesprächen mit Fremden macht gar Angst.
Für gesunde Menschen mag ein Kneipenabend mit Freunden Balsam für die Seele sein – jemand mit Depressionen sollte aber das tun, was jedem Kranken geraten wird: Erstmal langsam machen, sich erholen und sich eine Weile nur auf das Nötigste konzentrieren. Treffen mit Freunden sind wieder drin, wenn es dann etwas besser geht. Und das wird es.
"Du hockst ja auch immer nur zuhause rum. Du musst Sport machen, joggen gehen, es ist bewiesen, dass das hilft!"
– Ein Klassiker. Natürlich ist Bewegung gesund, erst recht an der frischen Luft. Für jeden. Sicher auch für Depressive. Diese Tatsache bringt aber niemandem etwas, der morgens allein vier Stunden dafür braucht, um sich beide Socken anzuziehen, und dabei von mehreren Weinkrämpfen unterbrochen wird.
Diese Info hilft niemandem, der es nicht einmal in den Supermarkt um die Ecke schafft. Wirklich nicht. Niemand bekommt Depressionen, weil er zu wenig Sport macht. Niemand, der schwere Depressionen hat, wird sich allein mit Joggen da herausziehen können. Es ist und bleibt eine Krankheit – solche halbgaren Ratschläge schaden mehr, als dass sie nutzen, weil Betroffene sich direkt noch "unfähiger" fühlen.
"Nimm bloß keine Medikamente, alles Chemie. Ich habe mal XY-Nahrungsergänzungsmittel / Kräuter / Homöopathie ausprobiert – viel besser!"
– Sagen Sie dass auch Menschen, die Insulin brauchen? Oder Blutdruckmittel? Die Antibabypille? Menschen mit chronischen Krankheiten, die ohne regelmäßige Medikamenteneinnahme ein echtes Problem hätten? Heutige Antidepressiva haben nichts mehr mit den recht heftigen Mitteln aus den 60ern oder 70ern zu tun, an die so mancher vielleicht direkt denkt, wenn er dieses Wort hört.
Trotzdem sind sie weder Lutschbonbons noch Drogen. Man muss sie mindestens 14 Tage regelmäßig nehmen, um überhaupt eine Wirkung zu spüren – und gesunden Menschen bringen sie nichts außer Nebenwirkungen. Um die wissen Betroffene gut genug: Verstärktes Schwitzen, schwer zu bekämpfender Heißhunger, schwindende Libido etc. sind keine angenehmen Begleiterscheinungen. Aber: Fast jeder findet ein Antidepressivum, das gut gegen seine Art der Depression hilft. Und das ist eine unglaubliche Erleichterung. Medikamente dieser Art verändern jemanden nicht – sie helfen ihm, wieder er selbst zu werden.
Mein düsteres Ich – Alles zum Thema Depression und psychische Krankheiten

"Aber du hast doch ein super Leben? Was fehlt dir denn?!"
– Serotonin.
"Kann ja sein, aber ... früher gab's das nicht. Und da ging's den Menschen doch viel schlechter?!"
– Niemand würde behaupten, dass wir es heute objektiv schlechter hätten als mittelalterliche Bauern, die den ganzen Tag auf dem Acker schuften mussten, in Kriegen kämpfen und ihrer Familie beim Dahinsiechen an der Beulenpest zusehen mussten. Dafür sind wir in der modernen, schnelllebigen Welt ganz anderen Stressoren ausgesetzt: Informationsflut, ständige Erreichbarkeit, soziale Medien etc. Dafür sind unsere Gehirne nicht ausgestattet.
Und wenn Sie einmal zurückdenken, allein in Ihrer eigenen Familie: Sicher fällt Ihnen jemand ein, der an Alkoholismus litt (Alkohol hilft, leider, kurzzeitig gegen die Symptome von Depressionen) oder gar Suizid beging. Speziell in der Nachkriegsgeneration. Vielleicht kannte man damals psychische Krankheiten nicht beim Namen, das heißt aber nicht, dass es sie nicht gab.
"Sag, wenn ich dir was helfen kann!"
– Wer an Depressionen leidet, kann eine Sache besonders schlecht: Kontakt "nach außen" aufnehmen. Er wird Sie vermutlich niemals um Hilfe bitten, selbst wenn er sie bräuchte. Wenn Sie wirklich helfen wollen, dann bieten Sie ganz konkrete Dinge an. Was helfen könnte: Telefonate übernehmen, etwa um Termine beim Neurologen oder für einen Therapieplatz zu bekommen. Essen vorbeibringen. Einfach mal nachhören, wie es dem Betroffenen geht. Keine Vorwürfe machen, wenn sich jemand lange nicht meldet.
Aus dem eigenen Leben erzählen, auch, wenn es nur banale Dinge sind, um denjenigen daran zu erinnern, dass es noch ein Leben außerhalb seiner dunkelgrauen Blase gibt. Ihn erinnern, dass seine Depressionen ein verdammt überzeugender Lügner sind, aber dass sie ihn trotzdem bloß belügen. Und dass es eine Krankheit ist, die behandelt werden kann. Dass es Licht am Horizont gibt.
"Oh wow. Das finde ich aber offen und mutig von dir!"
– Ein nett gemeinter Satz, aber leider ein extrem unangenehmer. Man sollte meinen, das Wissen über psychische Krankheiten wäre heute recht verbreitet. Doch wer diesen Satz hört, fühlt sich sofort wie ein Exot. Der erste und einzige seiner Art, der dem Gegenüber offenbar bisher begegnet ist. Sofort fragt man sich: Hätte ich das doch besser für mich behalten sollen? Oder: Habe ich gerade aus Versehen 'Syphillis' statt 'Depressionen' gesagt? Das zu offenbaren, würde nämlich in der Tat Mut erfordern?!
Gehen Sie davon aus, dass neben dem einen Betroffenen, der Ihnen offen davon erzählt, mindestens zwei bis drei Menschen in Ihrem Umfeld an Depressionen leiden oder litten und es für sich behielten. Dabei macht es für Erkrankte den Umgang mit ihrem Leiden sehr viel einfacher, wenn ihr Umfeld davon weiß und bestimmte Verhaltensweisen einordnen kann. Antworten Sie also lieber: "Das tut mir Leid. Wie kann ich dich unterstützen?"
Was wirklich hilft:
Wer von akuten Depressionen betroffen ist, der muss zu allererst zu einem Facharzt – zum Neurologen oder Psychiater – um medikamentös behandelt zu werden. Wenn es eilt, kann hier auch erst einmal der Hausarzt helfen und dann weiter überweisen. Oft ist eine Gesprächstherapie erst möglich und sinnvoll, wenn der Patient auf diese Weise wieder etwas stabilisiert ist. Helfen Sie einem Betroffenen also konkret damit, einen Termin zu bekommen und dort hinzugehen. Das kann für Erkrankte nämlich extrem überfordernd sein.
Machen Sie Mut: Nicht mit einem vagen "Wird schon wieder" oder "Ist doch gar nicht so schlimm", sondern mit Tatsachen. "Es ist okay, wenn du zwei Stunden zum Duschen brauchst, wenn du drei Stunden am Tag weinst – der Tag hat 24 Stunden und es ist immer noch Zeit, um das zu schaffen, was du dir vorgenommen hast!" Oder: "Du hast jetzt Medikamente, die dir helfen werden, du musst ihnen nur ein paar Tage Zeit geben. Es wird jeden Tag ein bisschen besser werden!"
Hilfreich sind auch kleine Spaziergänge. Nicht immer sind Betroffene dazu fähig, aber bieten Sie ruhig immer wieder an, eine kurze Runde durchs Viertel mit demjenigen zu drehen und machen Sie ihn währenddessen auf Dinge in der Umgebung oder die Natur aufmerksam, damit er für einen kleinen Moment "aus seinen eigenen Gedanken" herauskommt.
Vor allem: Haben Sie Geduld, drängeln Sie nicht und machen Sie keine Vorwürfe – auch, wenn das für jemanden, der einem Depressiven nun mal nicht in den Kopf schauen kann, sicher schwer ist.