"Etwas unheimlich" war es Felix Nicklaus denn doch, als seine Air-France-Maschine in der vergangenen Woche nach der Landung auf dem Hamburger Rollfeld für eine Stunde stehen blieb. "Der sah schon ein bisschen blass aus, den sie in Paris gleich wieder aus der Maschine holten", sagt der 19-jährige Hamburger Schüler, der an der Seine Urlaub gemacht hatte. Offenbar hatten die französischen Behörden einen SARS-Verdachtsfall entdeckt.
Auch in Hamburg kamen Ärzte an Bord. Alle Passagiere mussten eine "Aussteigerkarte" mit Namen, Adresse und Telefonnummer ausfüllen. Als sie das Flugzeug endlich verlassen durften, trafen sie auf Polizeibeamte und Busfahrer mit Mundschutz - eine Situation, auf die sich Reisende in diesen Tagen einstellen müssen.
Flughäfen sind potenzielle Einfallstore für die hauptsächlich in China und Kanada grassierende Lungeninfektion SARS. Nummer eins in Deutschland: Frankfurt, internationales Drehkreuz mit über 100 000 Passagieren täglich. "Wir sind ein Hot Spot", sagt der oberste Flughafenarzt und Leiter der Airport-Klinik Walter Gaber, "und wir entwickeln seit Jahren Szenarien." Bei Gefahr greifen vorbereitete Alarmpläne.
So wie am 15. März. Da landete ein Arzt aus Singapur, auf der Rückreise von einem Epidemiologen-Kongress in New York, mit hohem Fieber und Husten. Männer in Schutzanzügen verwandelten daraufhin das Gate in die Kulisse eines Bio-Krieg-Thrillers. Der Mediziner war, wie sich bald erwies, tatsächlich an SARS erkrankt. Alle Passagiere wurden unter Quarantäne gestellt - nach heutigem Wissen eine übertriebene Maßnahme: "Eine Entscheidung aus der Angst heraus", sagt Gaber, "das war der erste Sturm."
Achtmal war seitdem SARS-Alarm auf dem Rhein-Main-Flughafen. Jedes Mal gab es Entwarnung. Die verdächtig hustenden Passagiere waren nur erkältet. Inzwischen gehen es die Ärzte gelassener an. "Nur die Passagiere sind gefährdet, die direkt angehustet wurden oder unmittelbar mit einem Erkrankten Kontakt hatten, also maximal zwei, drei Reihen von ihm entfernt saßen", sagt Gaber. "Für alle anderen ist das Risiko gleich null, weil die Filter in den Klimaanlagen der Flugzeuge die Erreger herausfiltern."
Hat ein Reisender hohes Fieber, Husten, Gliederschmerzen und kommt er aus Hongkong oder Toronto, wird er in der Flughafenklinik isoliert. Selbst auf die Quarantäne einer ganzen Maschine wäre der Airport mit einer Turnhalle und den Isolierstationen der Kliniken vorbereitet. Bodenpersonal und Stewardessen sind eingewiesen, achten auf glasige Augen und Husten.
"Am 15. März hatten wir in Deutschland den ersten Patienten", sagt der Leiter des Robert-Koch-Instituts in Berlin, Professor Reinhard Kurth, "jetzt kennen wir bereits den Erreger. Wir haben bei seiner raschen Identifizierung Glück gehabt, aber das Glück ist ja mit dem Tüchtigen." Am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg wurde inzwischen ein Test entwickelt, der schnell helfen kann festzustellen, ob ein hustender Fieberpatient möglicherweise an SARS erkrankt ist. Letzte Sicherheit bietet er allerdings nicht.
Sieben SARS-Patienten gab es bis vergangenen Sonntag in Deutschland. Sechs von ihnen wurden bereits gesund nach Hause entlassen, einer wurde noch stationär behandelt. Alle hatten sich auf einer Reise angesteckt. Er wolle die Gefahr von SARS nicht herunterspielen, sagt Kurth: "Aber sie ist überschaubar." Die Infektion ist akut, nicht schleichend wie bei der Immunschwäche Aids, man sieht die Krankheitssymptome, weiß, dass jemand ansteckend ist, wenn er Fieber hat. "Also kann man ihn isolieren."
Für die Mediziner ist SARS auch ein Testfall für andere Epidemien. So rechnen Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit Jahren mit einer Grippe-Pandemie. Zweimal bereits wurden Influenza-Erreger zu apokalyptischen Reitern: Über 20 Millionen Menschen starben zwischen 1918 bis 1920 weltweit an der "Spanischen Grippe", mehr als zuvor auf den Schlachtfeldern des Weltkrieges. Und 1968 war trotz früher Warnung auch die Hongkong-Grippe nicht aufzuhalten. In Berlin schleppten Polizisten Briketts, weil die Kohlenträger mit Fieber im Bett lagen, der hohe Krankenstand bei der Post legte Telefonnetze lahm, in einem U-Bahn-Schacht wurden Särge gestapelt. 20 000 Menschen starben allein in Deutschland.
1999 forderte die WHO alle Regierungen auf, einen Pandemie-Plan zu entwickeln. Denn die nächste Killer-Grippe kommt bestimmt. "Wir haben unsere Arbeit getan", sagt Reinhard Kurth. Auch wenn der Plan noch immer kein amtliches Siegel hat, "er liegt nicht nur in der Schublade, wir haben ihn auch verinnerlicht".
Deutschland setzt auf sein gutes Meldesystem und aufs Internet. Alle 434 Gesundheitsämter sind auf Tastendruck online mit dem Robert-Koch-Institut verbunden. Die Exekutivgewalt in Seuchensachen liegt bei den Ländern, das Institut kann als Bundesbehörde nur Empfehlungen aussprechen. "Aber man folgt uns", sagt Kurth, "wir müssen eben durch Kompetenz überzeugen." Zwölf Ärzte und Biologen stehen als mobiles Einsatzteam bereit. Für jede Infektionskrankheit gibt es an Universitäten Referenz-Labors. Nach dem 2001 verabschiedeten Infektionsschutzgesetz können Schulen, Kinos, Theater, Fußballstadien geschlossen und ganze Landstriche abgeriegelt werden.