Winter-Fitness Dauerlauf durch Matsch und Schnee

Jacke an, Mütze auf, und nichts wie raus. Mit der richtigen Kleidung sind selbst Regen, Matsch und scharfer Wind kein Grund, in der Bude zu bleiben. Sie werden merken: Die Überwindung wird belohnt.

Der Winter ist der Freund der Faulen: Wenn er sich so ungemütlich und dunkel über Städte und Dörfer legt, fällt es leicht wie zu keiner anderen Jahreszeit, einfach zu Hause auf dem Sofa liegen zu bleiben. Vorwände dafür gibt es schließlich genug: Spazieren gehen? Zu kalt. Rad fahren? Zu glatt. Fußball spielen? Zu dunkel. Alles Ausreden!

Der Winter ist kein Feind der Fitness: Wer seinen Körper mit richtiger Vorbereitung und Ausrüstung schützt, trotzt fast jeder Witterung und kann sich auch in den kalten Monaten draußen bewegen - und das sogar mit Genuss.

Anpassungsfähig dank moderner Kleidung

Kälte, Nässe, Dunkelheit - Thomas Wessinghage kennt sie gut, die scheinbar so guten Gründe, sich im Winter lieber nicht ins Freie zu wagen. Irgendwann in seiner rund 25-jährigen Sportlerkarriere sind sie dem früheren deutschen Spitzenläufer und heutigen Mediziner selbst einmal alle durch den Kopf geschossen. Doch verführen ließ er sich von ihnen fast nie: Nur zweimal in dieser Zeit, sagt Wessinghage, habe er vor den Wetterverhältnissen kapituliert. "Da musste ich wegen Eisregens in der Halle trainieren."

Doch weil solche Extremsituationen selbst zu dieser Jahreszeit in Deutschland sehr selten sind, sei Sport und Bewegung das ganze Jahr über draußen möglich. Wessinghage: "Der mitteleuropäische Winter schränkt uns viel weniger ein, als viele glauben." Bestes Beispiel dafür sind die Leichtathleten, die im intensiven Wintertraining die Basis für den Sommer legen. Vielen von ihnen fällt die Belastung in der Kälte sogar leichter als bei drückenden Temperaturen.

Einen ernsthaften Grund, während der Kälteperiode zu pausieren, gibt es nach Wessinghages Ansicht aber auch für mäßig ambitionierte Freizeitsportler nicht - solange den Körper nicht Krankheit oder Verletzungen schwächen. Zwar hat der Mensch im Laufe der Evolution sein Fell weitgehend verloren, dennoch ist er dank seines extrem anpassungsfähigen Organismus und moderner Kleidung wintertauglicher denn je.

Im Frühjahr wieder bei Null anfangen

Beweisen kann er das in unserer Gesellschaft mit ihren Autos, Aufzügen und Büroarbeitsplätzen allerdings immer seltener: "Wir bewegen uns viel zu wenig, deshalb verbrennen Normalgewichtige pro Tag nur noch rund 2200 Kilokalorien statt durchschnittlich 3500 Kilokalorien wie unsere Vorfahren", sagt Dieter Lagerstrøm, Leiter des Zentrums für Gesundheit an der Deutschen Sporthochschule in Köln.

Die Folgen sind besonders im Winter dramatisch, weil unser Körper nach einem Jahrtausende alten System arbeitet, das sich dem gesunkenen Energiebedarf noch nicht angepasst hat: So wird der ungenutzte "Brennstoff" wie in der Ära des Höhlenmenschen für schlechte (kalte) Zeiten als Fett im Körper gespeichert.

Fitness lässt sich dagegen nicht so leicht dauerhaft bewahren. "Stillstand ist Rückgang", sagt Lagerstrøm. "Wer im Winter nicht trainiert, muss im Frühjahr wieder bei Null anfangen." Bereits innerhalb einer Woche könne die Leistungsfähigkeit um 15 bis 20 Prozent sinken, warnt der Sportwissenschaftler. Thomas Wessinghage schätzt den Rückgang weniger dramatisch ein, doch auch er hat beobachtet, dass "vor allem Untrainierte schon nach ein, zwei Wochen oft wieder am Anfang stehen".

Laufen und Walken sind ideal

Sport im Winter muss nicht unbedingt Wintersport bedeuten - schon gar nicht in Deutschland. Während Lagerstrøms Landsleute in Norwegen zu Tausenden ihre Ski unterschnallen, ist in unseren Breiten auf den Schnee kein Verlass. Alternativen zu den klassischen Winterdisziplinen gibt es jedoch genug, denn die meisten Ausdauersportarten sind auch in der kalten Jahreszeit möglich.

Wessinghage: "Laufen und Walken sind ideal, Radfahren ist mit richtiger Ausrüstung und vorsichtiger Fahrweise ebenfalls geeignet. Und bei trockenem Wetter kann man sich sogar mit Inlineskates hinauswagen."

So viel sportlicher Einsatz sei aber zur Stärkung der Gesundheit gar nicht nötig, meint Lagerstrøm. "Es bringt schon viel, wenn wir im Alltag die Gelegenheiten zur Bewegung annehmen." Das Auto stehen lassen und zu Fuß gehen, die Treppe statt des Aufzugs benutzen oder die Mittagspause nicht in einem Café, sondern bei einem Spaziergang an der fri schen Luft verbringen. Entscheidend ist dabei nach Ansicht des Wissenschaftlers die Regelmäßigkeit. Bereits eine halbe Stunde Bewegung am Tag nützt der Fitness, eine Hammertrainingseinheit pro Woche im Kraftraum beruhigt allenfalls das Gewissen.

Ohnehin halten die beiden Fachleute Fitness-Studios nur für eine Notlösung, wenn im Freien gar nichts mehr geht. Wessinghage vergleicht die Trainingscenter mit Vitaminpillen: "Die Tabletten enthalten zwar viele wichtige Nährstoffe, können Obst aber nicht ersetzen." Wer sich draußen bewegt, setze seinen Körper vielfältigen Reizen aus, die ein Studio nicht simulieren könne. "Beim Joggen über unebenen Boden werden viel mehr Muskelgruppen aktiviert als auf dem Laufband." Außerdem regt die kühle Temperatur im Freien die Durchblutung an und härtet den Körper im Laufe der Zeit ab; die feuchte Luft schont die Atemwege, und der Lichtreiz vertreibt trübe Stimmung - sofern man am Tag unterwegs ist.

Inneren Schweinehund überwinden

Doch bevor das Training draußen beginnen kann, muss man besonders im Winter erst einmal das entscheidende Rennen im Kopf gewinnen: gegen den inneren Schweinehund. Ein paar Tricks helfen dabei:

» Nehmen Sie sich nicht zu viel vor.

Zu ehrgeizige Ziele schrecken eher ab, statt zu motivieren. Kleine Erfolgserlebnisse spornen dagegen an. Und wenn Sie sich gut fühlen, können Sie eine Trainingseinheit jederzeit auch noch kurzfristig verlängern.

» Suchen Sie sich eine Trainingsgruppe.

Es ist viel schwieriger, anderen abzusagen als nur sich selbst. Außerdem ist es angenehmer zu wissen, dass man sich bei schlechtem Wetter nicht allein durch Regen und Matsch kämpfen muss. > Binden Sie Sport und Bewegung fest in Ihr Alltagsleben ein. Gehen Sie ruhig beim Telefonieren herum oder beugen Sie beim Zähneputzen die Knie.

» Reservieren Sie Ihrem Training feste Termine

im Wochenplan, bis es zur Routine wird. Mit der Zeit werden Sie auf die Bewegung nicht mehr verzichten wollen.

» Entwickeln Sie rechtzeitig Gegenstrategien

für gefährliche Situationen, die zum Aussetzen verführen könnten. Überlegen Sie sich zum Beispiel ein Alternativprogramm für den Fall, dass Sturm oder Blitzeis Ihr Training draußen verhindern.

Nicht zu warm anziehen

Eine entscheidende Motivationshilfe kann auch die passende Ausrüstung sein: Wer nur einen Baumwollpulli und die alte Trainingshose von den Bundesjugendspielen im Schrank liegen hat, wird sich leicht von unwirtlichem Winterwetter abschrecken lassen. Mit atmungsaktiver Kleidung müssen Sportler Nässe von außen und innen sowie Kälte nicht mehr fürchten.

Grundsätzlich gilt: nicht zu warm anziehen. "Lieber die ersten zehn Minuten leicht frieren, als nach dem Warmmachen das Gefühl haben, vor Hitze zu platzen", sagt Wessinghage. Effektiver ist es auch, sich nach dem Zwiebelprinzip in mehrere dünne Lagen zu hüllen, statt nur eine dicke Jacke und Hose zu tragen. So kann der Schweiß besser nach außen verdunsten, und die Luftpolster zwischen den Stoffschichten isolieren den Körper gegen die Kälte.

Wessinghage empfiehlt bis zu drei Schichten für den Rumpf: ein oder zwei Lagen Funktionsunterwäsche aus atmungsaktiven Kunstfasern wie Polyamid oder Polyester, die zum Beispiel unter den Markennamen Coolmax oder Maxtreme angeboten werden; darüber eine feuchtigkeitsabweisende Jacke aus Gore-Tex oder einem ähnlichen Material. Diese Stoffe saugen die Nässe nicht auf und besitzen besonders kleine Poren, so dass Regentropfen an ihnen abperlen. Schweiß kann dagegen durch die winzigen Löcher problemlos verdampfen. Sinken die Temperaturen unter den Gefrierpunkt, rät Wessinghage, statt der zweiten Lage Unterwäsche ein dickeres Fleece-Hemd aus dem gleichen Material anzuziehen.

Mütze gehört dazu

Für die gewöhnlich nicht so kälteempfindlichen Beine genügt meist eine enge, lange Hose aus Funktionsmaterial, so genannte Tights. "Wer leicht friert, kann auch noch eine dünne Regenhose darüber anziehen", sagt der Mediziner. Die Füße schützt man mit dickeren Socken. Vorsicht: Die Schuhe dürfen nicht zu eng sein, sonst werden die gegen Kälte besonders empfindlichen Zehen nicht mehr ausreichend durchblutet. Besondere Winterschuhe mit stumpfen Spikes sind laut Wessinghage nicht nötig, die Sohlenprofile der gängigen Laufmodelle seien griffig genug. Im Dunkeln solle man ohnehin lieber an einer beleuchteten Straße als im Wald laufen, wo der gefrorene Boden genauso hart ist wie Asphalt.

Unbeliebt, aber in der Kälte unverzichtbar: die Mütze. Sie gehört zwingend zur Winterausrüstung, denn um die 40 Prozent der abgegebenen Körperwärme verliert der Mensch über den Kopf. Wie man seine Hände am besten gegen Erfrierungen schützt, ist immer noch eine Glaubensfrage. Dieter Lagerstrøm bevorzugt moderne Handschuhe aus Funktionsmaterial. "Darin heizen sich die Hände nicht so auf, und man schwitzt nicht so wie in Lederhandschuhen", sagt er. Auch Wessinghage rät von dem Naturmaterial ab. Mit Modellen aus Baumwolle hat er ebenfalls schlechte Erfahrungen gemacht: "Die halten nicht richtig warm und saugen die Nässe auf."

Radfahrer kleiden sich im Winter nach ähnlichen Regeln wie Läufer. Jacken, Hosen und Handschuhe bestehen aus den gleichen Materialien. Darüber hinaus sollten sie erst recht im Winter auf einen Helm nicht verzichten. Zudem müssen sie nicht nur sich, sondern auch ihr Rad auf die Licht- und Wetterverhältnisse vorbereiten. "Am besten lässt man es erst einmal von einer Werkstatt durchchecken", empfiehlt Bettina Cibulski vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC). Eine Routineprüfung von Bremsen, Lampen und Reifen kostet meist 25 bis 30 Euro ohne Material.

Aufwärmen nicht vergessen!

Wer sich in rutschigem Gelände sicherer fühlen will, sollte den Sattel etwas herunterschrauben, bis er im Sitzen mit den ganzen Füßen den Boden erreicht, rät die ADFC-Sprecherin. Breitere, grobstollige Reifen geben festeren Halt auf Schnee und Matsch; und anders als bei Autos sind für Fahrräder auch Mäntel mit Spikes erlaubt. "Damit fährt man auf Eis sehr sicher", sagt Cibulski. "Allerdings ist das Rad damit nicht so wendig und die Fahrt auf Asphalt sehr unbequem." Wichtig: Falls Radwege nicht geräumt sind, darf man auf der Straße fahren.

So bedeutend wie die passende Ausrüstung ist für jedes Training das Aufwärmen. "Gerade im Winter muss der Körper wie ein Automotor erst einmal warmgefahren und die Kerntemperatur um rund ein Grad Celsius erhöht werden", erklärt Lagerstrøm. Am besten bringt man Kreislauf und Muskeln mit langsamen, gleichmäßigen Ausdauerbewegungen auf Touren.

Nach 15 bis 20 Minuten gehen, laufen oder Rad fahren ist die Gefahr einer Zerrung oder eines Muskelfaserrisses längst nicht mehr so groß und der Körper auch für härtere Beanspruchungen wie kurze Sprints, Fußballspielen oder Intervallläufe mit wechselndem Tempo bereit.

nicht zu lange in der Kälte bleiben

Und wie lange darf man sich dann draußen bewegen? "Das muss jeder selbst entscheiden, eine Standardregel gibt es nicht", sagt Wessinghage. 30 bis 50 Minuten seien für die meisten Menschen kein Problem. Auf den Skipisten hielten sich viele Abfahrtsläufer sogar mehrere Stunden auf. "Grundsätzlich gilt aber: Wenn es unangenehm wird, sollte man lieber aufhören - und die Gymnastik am Schluss nicht vergessen." Denn die Muskeln, die im Winter ohnehin nicht so elastisch sind, verkürzen sich beim Kontrahieren und sollten nach dem Training vorsichtig gedehnt werden.

Auf eine beliebte Sommergewohnheit sollten Sportler im Winter übrigens unbedingt verzichten: ausgiebiges Klönen am Ende einer Trainingseinheit. Denn wer länger in klammer Kleidung in der Kälte herumsteht, kühlt aus und fängt sich leicht eine Erkältung ein - und kann sich anschließend mit seinem Arzt oder Apotheker unterhalten.

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Torben Müller

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