Der Montag muss ein aufregender Tag für Marianne Tritz gewesen sein. Anlässlich des Suchtgipfels der Bundesregierung hatte die Bundesärztekammer gefordert, Raucher künftig als "Kranke" einzustufen, was der Geschäftsführerin des Deutschen Zigarettenverbandes die Zornesfalten auf die Stirn trieb. "Wer das fordert, erklärt ein Drittel der deutschen Bevölkerung auf einen Schlag als krank", gab sie öffentlichkeitswirksam zu Protokoll. Und weiter: "Ich halte diesen Vorschlag für krank!" Als nächstes ist dann der Weinliebhaber krank." Ob sie wohl weiß, dass der es längst ist - zumindest wenn er den Wein so sehr liebt, dass er täglich ein bis zwei Flaschen die Kehle hinunterspült?
Rauchen als Lifestyle-Problem abgetan
Im Gegensatz zu Alkoholismus gilt Rauchen in Deutschland als Lifestyle-Problem, obwohl es das Zeug zur Krankheit hätte. Nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation WHO ist Nikotinabhängigkeit eine Krankheit. Und: Rauchen kann selbst diverse Krankheiten verursachen, von denen Lungenkrebs, Herzinfarkte und Schlaganfälle nur drei der schlimmsten sind. Jährlich sterben in Deutschland rund 140.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Statistisch gesehen stirbt ein Raucher zehn Jahre früher als ein Nichtraucher.
Dass Zigaretten abhängig machen, weiß jeder Raucher, der schon mal probiert hat aufzuhören. Die Rauchentwöhnung ist eine Geschichte des Scheiterns. Nach Schätzungen - genaue Zahlen hat niemand - versucht jeder dritte Raucher mindestens einmal im Jahr den Zigaretten abzuschwören. Doch gerade einmal jeder Zwanzigste schafft es durch die ersten vier Wochen. Die Folgen sind wahlweise Gleichgültigkeit gegenüber dem Laster oder aber hohe Frustration und Verzweifelung. Ein Blick in diverse Internetforen - wie etwa dem von stern.de geben davon einen kleinen Eindruck.
Etwas besser sind die Chancen, wenn Hilfsmittel hinzukommen. Studien zeigen, dass es beim Einsatz von Verhaltenstherapien in Kombination mit Nikotinpflastern oder von Raucherpillen wie Vareniclin immerhin 20 Prozent der Entwöhnungswilligen ein Jahr ohne Zigarette schaffen. Allerdings sind die Präparate sogenannte Lifestyle-Medikamente, die vom angehenden Nichtraucher selbst gezahlt werden müssen. Sie kosten - kann das Zufall sein? - pro Tag etwa vier Euro, also genauso viel wie eine Schachtel Zigaretten.
Bezuschusst werden allein die Verhaltenstherapien, die die meisten Krankenkassen anbieten. Doch genau diese werden von Ärzten kritisiert. In der der "Stellungnahme der Bundesärztekammer" werden die Kurse als "regional kaum verfügbar" eingestuft. Dass gleichzeitig die Nachfrage nur sehr gering ist, bestreiten nicht einmal die Krankenkassen selbst. Die Folge: Ein Raucher, der aufhören möchte, steht ziemlich allein da mit seiner Sucht.
Wie können die Ärzte helfen?
Die Ärzte sagen nun, sie könnten helfen. Ärzte kommen mit Menschen in Kontakt, die die bestehenden Entwöhnungsangebote nicht von sich aus nutzen. Der Mediziner könnte die Suchtproblematik offensiver ansprechen, Therapieangebote empfehlen, bei Problemen reagieren. Die Frage "Rauchen sie, und wenn ja wie viel" könnte ein Standard beim Arztbesuch werden. Natürlich möchten die Ärzte für diese Leistungen künftig bezahlt werden. Aber das ginge eben nur, wenn Raucher als Kranke anerkannt wären.
Doch wenn die Ärzte tatsächlich möchten, dass sie von den Krankenkassen - und damit der Gemeinschaft der Einzahler - bezahlt werden, muss die Bundesärztekammer konkreter werden. Welchen Mehrwert können Ärzte wirklich erbringen? Welche Leistungen sind nicht schon längst Standard bei einem Arztbesuch? Bei ihrem medienwirksamen Vorstoß sind die Ärzte extrem schwammig geblieben: In der vierseitigen "Stellungnahme" sind derzeit weder Definition noch Diagnose thematisiert, genauso wenig wie Therapieangebote. Es bleiben viele Fragen offen: Wie soll der Vergütungsrahmen aussehen? Was könnten Ärzte künftig tun? Werden Lifestyle-Medikamente wie Nikotinpflaster, Vareniclin oder Bupropion künftig bezuschusst?
Nikotinsucht ist eine Krankheit, die schon jetzt wegen der möglichen Folgen - vom Herzinfarkt bis zum Lungenkrebs - enorme Kosten verursacht. Wenn es den Ärzten gelingen sollte, die Rauchentwöhnung zu einer Erfolgsgeschichte zu machen, dann wäre das tatsächlich viel Geld wert. Doch so lange die Mediziner nicht konkrete Maßnahmen aufzeigen, steht der Verdacht im Raum, dass sie lediglich eine neue Einnahmequelle auftun wollen. Die eigentliche Frage lautet daher nicht, ob Raucher als "krank" stigmatisiert werden. Wichtig ist einzig und allein, wie man denjenigen, die aufhören wollen, am besten hilft. Die Alternative wäre all die Süchtigen im Lande mit ihren Problemen allein zu lassen. Aber zumindest hätte Frau Tritz vom Zigarettenverband dann kein Problem mehr mit Stigmata.