Kunstfehler Ärzte und Schwestern bekennen sich

Über Kunstfehler wurde in Deutschland bislang kaum besprochen. Nun haben sich 17 Ärzte und Schwestern öffentlich zu Fehlern bekannt, die ihnen unterlaufen ist. Die Aktion soll dazu beitragen, dass in Zukunft besser mit solchen Vorfällen umgegangen wird - und die Mediziner aus ihren Fehlern lernen.

In einer Aufsehen erregenden Aktion haben sich deutsche Ärzte und Krankenschwestern erstmals öffentlich zu ihren Kunstfehlern bekannt. Mit dem Tabubruch wollen sie für mehr Offenheit im Umgang mit ärztlichem Versagen werben. "Wegzuschauen ist kein Weg", sagte der Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Matthias Schrappe, am Donnerstag. Schwere Kunstfehler kämen in Deutschland etwa hundert Mal im Jahr vor. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) lobte den Mut der Bekenner und rief Mediziner und Pflegepersonal dazu auf, mehr aus Fehlern zu lernen.

Das Spektrum der Behandlungsfehler, die von den 17 Ärzten, Krankenschwestern, Pflegern und Therapeuten beschrieben werden, reicht von der zu spät bemerkten Krebserkrankung bis zur Operation am falschen Knie. Meist geschahen sie, als die Autoren noch unerfahren waren oder unter besonderem Zeitdruck standen. Manche Fehler führten zur Zahlung von Schmerzensgeld. In vielen Fällen verzichteten die Patienten aber auf ein juristisches Verfahren - vor allem dann, wenn die Verantwortlichen ihr Versagen von sich aus einstanden.

Das falsche Knie

Der Chirurg Bertil Bouillon berichtet in der Broschüre des Aktionsbündnisses, wie er als junger Assistenzarzt in letzter Minute eine Gelenkspiegelung übernehmen musste. Merkwürdigerweise fand er am Knie der Patientin nicht den erwarteten Miniskusschaden. Später stellte sich heraus, dass er wegen eines Verwaltungsfehlers am falschen Knie operiert hatte. "Seit diesem Vorfall markiere ich am Morgen der Operation immer beim wachen Patienten die zu operierende Extremität mit einem nicht abwischbaren Stift", schreibt Bouillon.

Die Krankenschwester Christel Bienstein bekennt sich zu einer Fehleinschätzung, die möglicherweise zum Tod ihres Patienten beitrug: Während einer Nachtschicht rief sie mehrmals vergeblich den diensthabenden Arzt zu Hilfe. Als dieser nicht auftauchte, entfernte sie mehrfach selbstständig einen Schleimpropfen aus den Atemwegen eines schwer kranken Patienten. Beim Schichtwechsel berichtete sie der Ablösung zwar von den Zwischenfällen, unternahm aber nichts, um dauerhaft Abhilfe zu schaffen. Der Patient erstickte noch am selben Tag.

Schlaf- statt Aufweckmittel

Auch Bundesärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe unterlief zu Beginn seiner Karriere ein "Beinahe-Fehler": Er gab einem Patienten, der mit Beruhigungsmitteln einen Selbstmordversuch gemacht hatte, aus Versehen ein Schlafmittel statt eines Aufweck-Präparats. Die beiden Medikamente hatten fast gleich lautende Namen und standen im Regal nebeneinander. Zum Glück wurden die Ärzte sofort misstrauisch, als der Patient nicht aufwachte, und konnten gegensteuern. Später wurde der Medikamentenschrank in der Klinik völlig neu geordnet. "Ich werde das nie vergessen", sagte Hoppe am Donnerstag.

Ziel müsse sein, in Krankenhäusern und Praxen eine Kultur der Fehlervermeidung zu schaffen, sagte der Ärztepräsident. Das Entscheidende sei "nicht wer ist schuld, sondern was ist schuld". Schmidt sagte, es gehe nicht darum, einzelne an den Pranger zu stellen. Freiwillige Bekenntnisse könnten jedoch bei der Überwindung von Tabus helfen, sagte sie mit Blick auf ähnliche Aktionen in den 1970er Jahren, damals zum Beispiel unter dem Motto "Ich habe abgetrieben".

500.000 Patienten stecken sich im Krankenhaus an

Laut dem Aktionsbündnis Patientensicherheit erleben fünf bis zehn Prozent der Krankenhauspatienten ein "unerwünschtes Ereignis", das nicht mit dem zugrunde liegenden Gesundheitszustand, sondern mit der Behandlung zusammenhängt. Den größten Anteil stellen jährlich 500.000 im Krankenhaus erworbene Infektionen, gefolgt von falschen Arzneimittelverordnungen. In jedem dritten Fall stellte sich laut Schrappe heraus, dass ärztliches Versagen die Ursache war.

Laut AOK-Chef Jürgen Ahrens bitten jährlich 10.000 Patienten die Kasse um Hilfe bei der Aufklärung von mutmaßlichen Fehlbehandlungen. Wenn die AOK eines Tages selbst bestimmen könne, mit welchen Krankenhäusern sie zusammenarbeite, werde sie verstärkt darauf achten, wie offen Kliniken mit Fehlern umgingen, sagte er.

AFP
AFP

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos