Am Anfang hängt das Leben an einem seidenen Faden. Es gibt nur eine einzige Brücke zwischen Mutter und Kind, die Nabelschnur. Sie versorgt das Ungeborene mit all dem, was es zum Leben braucht. Doch nach der Geburt hat die einstige Lebensader ausgedient. Sie wandert samt Mutterkuchen in die Mülltonne. Fast immer.
Manchmal aber wird das Restblut aus der Nabelschnur und aus dem Mutterkuchen sofort schockgefroren und weiterverwendet. "Das Blut aus der Nabelschnur ist eine wichtige Quelle für Stammzellen", sagt Karl Welte, Direktor der Abteilung Kinderheilkunde, Pädiatrische Hämatologie und Onkologie der Medizinischen Hochschule Hannover.
In seiner Abteilung werden kranke Kinder mit solchen adulten Stammzellen behandelt. So lassen sich schwere Leukämien und Tumoren in den Lymphknoten heilen. Aber auch Stoffwechselerkrankungen und Anämien werden in Hannover mit den potenten Zellen kuriert. "Wir haben gerade ein Kind mit Nabelschnurblut aus China therapiert, das unter einem angeborenen Immundefekt litt", sagt Welte. Das Kind ist seither wohlauf.
Knochenmark ist erste Wahl, aber auch Nabelschnurblut kann Leben retten
Da sich die Stammzellen lebenslang zu Blut- oder Abwehrzellen des Immunsystems entwickeln können, springen sie in die Bresche, wenn bei einem Immundefekt die zuständigen Zellen versagen oder diese bei einer Anämie im Blut fehlen. Im Krankheitsfall versuchen die Mediziner zunächst, das natürliche Reservoir an Stammzellen im Patienten anzuzapfen. Beispielsweise lungern Millionen der kleinen Helfershelfer im Knochenmark. Sie werden Krebskranken entnommen und diesen nach der Chemotherapie gezielt zurückgegeben.
Doch bei manchen Erkrankungen sind die körpereigenen Stammzellen selbst entartet. "In solch einem Fall nehmen wir eine Spende aus dem Knochenmark eines anderen Menschen. Finden wir keinen Spender, verwenden wir Stammzellen aus dem Nabelschnurblut eines Fremden. Oder das eigene Nabelschnurblut, wenn es bei der Geburt konserviert wurde", erläutert Welte.
"Die erste Wahl ist für uns die Spende aus dem Knochenmark", sagt Welte. Auf diese Weise behandelt die MHH im Jahr etwa 40 Kinder. Doch jedes Jahr wird für ein bis zwei Patienten kein passender Spender gefunden. Dann greifen die Ärzte auf die Zellen aus Nabelschnüren zurück. "Das Material aus der Nabelschnur ist jünger. Es hat deshalb eine bessere Qualität als die alten Zellen aus dem Knochenmark", sagt der Mediziner. Dennoch ist es nur die zweite Wahl: "Leider reichen die Stammzellen in den Nabelschnüren in der Hälfte der Fälle nicht für eine Transplantation aus." Im Nabelschnurblut befinden sich weniger heilende Zellen als im Knochenmark.
Konservierung für 2000 Euro
Dennoch verzeichnen Nabelschnurblut-Banken regen Zulauf. So sitzen mittlerweile in Dresden, Leipzig, Freiburg und Mannheim öffentliche Banken, die gratis Nabelschnurblut einfrieren. Hier können die Eltern die Zellen der Allgemeinheit zur Verfügung stellen.
Möchten sie hingegen das wertvolle Gut vorsorglich für ihr eigenes Kind reservieren, übernehmen kommerzielle Stammzellbanken diese Aufgabe. Die Kosten von rund 2000 Euro müssen die Eltern selbst tragen. Eine dieser kommerziellen Banken ist die Vita 34 AG in Leipzig. "Bei uns lagern zurzeit über 32.000 Nabelschnurblut-Konserven. Die Zahl ist in den vergangenen Monaten kontinuierlich gestiegen", sagt Susanne Engel-Hömke, stellvertretende ärztliche Leiterin und Sprecherin bei Vita 34.
Öffentliche Bank kontra bunkern für den Notfall
Bisher wurde allerdings erst eine Probe der Vita 34 zur Heilung benötigt. Dennoch ist Engel-Hömke überzeugt: "Die Anwendungen der Stammzellen aus dem Nabelschnurblut werden sich künftig erweitern." Schon heute könnten Forscher Augentumoren, Erkrankungen des Gehirns, Autoimmunerkrankungen wie Morbus Crohn und Multiple Sklerose mit Stammzellen behandeln. Deshalb sei es sinnvoll, das Nabelschnurblut vorsorglich für den Notfall von morgen aufzuheben.
Diese Einschätzung ist in Weltes Augen jedoch zu optimistisch: Es gebe sehr wenige Krankheiten, bei denen die Stammzellen aus dem Knochenmark nicht verwendet werden könnten, weil sie selbst defekt sind. "Das Risiko, dass mein Kind diese tiefgekühlte Reserve für sich selbst braucht, ist äußerst gering. Etwa eins zu einer Million", sagt Welte. "Daher würde ich das Blut lieber einer öffentlichen Bank spenden. Vielleicht kann es ja einem der Milliarden anderen Menschen auf der Erde das Leben retten."