"Lustpille" für die Frau Pink Viagra - die große Lüge der Pharmaindustrie

Die USA haben Flibanserin, die "Lustpille" für Frauen mit gestörter Libido, zugelassen. Pharmazeut und Mediziner Wolfgang Becker-Brüser sieht das kritisch. Er erklärt, warum "Pink Viagra" zwar ein Siegeszug für die Pharmaindustrie ist - aber Frauen mehr schadet als nutzt.

"Pink Viagra" wird als Siegeszug der Emanzipation interpretiert. Ist es das?

Mit Emanzipation hat das nichts zu tun. Wenn künftig Männer zu ihren Frauen sagen können: "Jetzt nimm halt diese Pille, dann haben wir mehr vom Sex", dann ist das wohl eher das Gegenteil von Emanzipation. Das sogenannte "Pink Viagra" erfüllt vor allem die Bedürfnisse eines Pharmaunternehmens und auf keinen Fall emanzipatorische Bestrebungen. 

Zur Person

Wolfgang Becker-Brüser ist Pharmazeut und Mediziner. Er ist außerdem Herausgeber und Chefredakteur der Fachzeitschrift "arznei-telegramm", sowie Mitgründer von "Gute Pillen - Schlechte Pillen". Die Gesundheitszeitschrift der Gemeinnützigen Gesellschaft für unabhängige Gesundheitsinformation versteht sich als kritische Gegenstimme zu den Veröffentlichungen der Pharmaindustrie.

 In Deutschland soll jede dritte Frau von einer Libidostörung betroffen sein, heißt es...

Es gibt mit Sicherheit einige wenige Frauen, die eine medizinisch zu behandelnde Störung der Libido haben. Aber bei dem neuen US-amerikanischen Präparat  geht es gerade darum, möglichst viele Frauen zu erreichen. Die Methoden sind zweifelhaft: Die Pharmaindustrie legt Normen für sexuelles Verhalten  fest, auf dieser Basis wird hoch gerechnet, und schon hat jede dritte Frau ein Libidoproblem.   

Die Zahlen stimmen also nicht?

Ich halte sie für absurd. Interessant ist doch, dass vor gut zehn Jahren noch keiner von dieser Störung gesprochen hat, also von einem Mangel an sexuellem Verlangen bei Frauen. Dann hat der Erfolg von Viagra gezeigt, wie viel Geld sich mit einer "Lustpille" machen lässt. Nun hat man eine vermeintliche "Lustpille" für die Frau, und um diese erfolgreich zu vermarkten, definiert man eine Krankheit, die möglichst viele betrifft. 

Gab es bereits ähnliche solcher Kampagnen im Bereich der Sexualmedizin?

Mit dem Viagra-Wirkstoff Sildenafil war es damals ähnlich. Seine Wirkung wurde zufällig entdeckt, als man an einem Herz-Kreislauf-Mittel forschte. Als solches taugte Sildenafilzwar wenig, aber man bemerkte zufällig, dass es die männliche Potenz steigert. Um es an den Mann zu bringen, wurde verbreitet, dass eine beträchtliche Zahl von Männern Erektionsprobleme habe. Die Rede  war sogar von 30 Prozent... 

Spricht der Erfolg von Viagra nicht dafür, dass es tatsächlich viele Männer mit Erektionsstörung gibt? 

Nun ja, viele Männer wollen offensichtlich nachhelfen und auf Nummer sicher gehen, ohne dass sich dahinter ein medizinisches Problem verbirgt. An den Erfolg von Viagra will der Hersteller von Flibanserin nun anknüpfen. Dazu passt der Slogan "Pink Viagra". Der ist allerdings irreführend: Während Viagra vor Ort wirkt und die Erektion verstärkt, wirkt Flibanserin auf Botenstoffe im Gehirn, die die sexuelle Lust steigern sollen. Es wurde ursprünglich als Antidepressivum entwickelt. Anders als Viagra wirkt Flibanserin nicht unmittelbar sondern allenfalls nach mehrwöchiger Einnahme. Das bedeutet eine Dauermedikation. 

Glauben Sie, dass die "Lustpille" auch in Europa zugelassen wird?

Die Erfahrung mit Viagra hat gezeigt, dass ein Mittel, das die Sexualität betrifft und dadurch viel öffentliches Interesse erregtt, relativ rasch auch auf den europäischen Markt kommt. Das wird mit Flibanserin nicht anders sein. Ungeachtet der Tatsache, dass es vor der Zulassung in den USA von der Food and Drug Administration (FDA) zweimal abgelehnt wurde. Wegen mangelnder Wirksamkeit und zu vielen Nebenwirkungen. 

Wie kann das sein?

Dahinter steckt eine gigantische Marketingkampagne. Nachdem die FDA die Zulassung für das Medikament abgelehnt hatte, gab die deutsche Entwicklerfirma Boehringer Ingelheim ihre Rechte an die US-amerikanische Firma Sprout Pharmaceuticals ab. Sprout vertreibt nur dieses eine Produkt und war sozusagen dazu verdammt, Flibanserin marktreif zu bekommen. Siebezahlten unter anderem so genannte Mietmäuler, also Wissenschaftler, die für das Produkt einstehen, unds bezogen geschickt auch Frauengruppen in ihr Marketingkonzept ein. Die Geschäftsführerin  von Sprout, Cindy Whitehead, behauptete, es sei Sexismus, wenn man diese Pille nicht zulassen würde. Das ist geradezu absurd und zugleich ein raffinierter Schachzug. Wer will sich schon Sexismus vorwerfen lassen. Umso beängstigender finde ich es, dass die FDA Flibanserin am Ende doch zugelassen hat. Und ich fürchte, dass es in Europa auch dazu kommen wird. Die Pharmaindustrie ist unheimlich gut trainiert, Bedarf an Arzneimitteln zu schaffen und im Markt durchzusetzen,  selbst wenn diese medizinisch gesehen nutzlos oder gar riskant sind. 

Wie riskant ist Flibanserin denn?

Der Schaden überwiegt den Nutzen meines Erachtens ganz klar. In klinischen Studien zeigte sich, dass der Nutzen sehr beschränkt ist: Die Probandinnen hatten einmal mehr befriedigenden Sex pro Monat. Man kann zwar sagen, dass das für jemanden, der sonst wenig Sex hat, relevant viel sein kann. Aber zu welchem Preis? Das Präparatmuss kontinuierlich über einen langen Zeitraum eingenommen werden. Die unerwünschten Wirkungen sind beträchtlich: Kreislaufprobleme, schwere Müdigkeit, Übelkeit, Verstopfung, Angstzustände und mehr. Während der gesamten Einnahmezeit darf kein Alkohol getrunken, und eine Vielzahl von Arzneimitteln wie Antibiotika oder Herzmittel sind währenddessen tabu. Sonst drohen starker Blutdruckabfall und Ohnmacht. Ob sich eine Frau wirklich an all diese Einschränkungen für einmal mehr befriedigenden Sex im Monat hält? Das ist doch weltfremd! Ich hoffe sehr, dass Flibanserin in Europa nicht zugelassen wird. Ich sehe es eher als eine Bedrohung für die Gesundheit von Frauen, denn als Hilfe. Und ganz sicher nicht als Siegeszug der Emanzipation.

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