J. Peirano: Der geheime Code der Liebe Von Geld bis Sex: Mein älterer Partner kontrolliert alles, was ich tue

Die Machtverhältnisse sind nicht in allen Beziehungen ausgeglichen (Symbolbild)
Die Machtverhältnisse sind nicht in allen Beziehungen ausgeglichen (Symbolbild)
© Wavebreakmedia Ltd / Getty Images
Als Elena ihren älteren Freund traf, erschien dieser als Rettung aus einer schwierigen Lage. Mittlerweile hat sich das ins Gegenteil gekehrt - und sie hat das Gefühl, vollkommen unter seiner Kontrolle zu sein.

Liebe Frau Peirano,

ich (31) bin seit fast zwei Jahren mit einem deutlich älteren Mann (Arno, 54) zusammen. Als ich ihn kennen lernte, war ich gerade in einer schwierigen Phase. Meine Mutter war kurz vorher an Krebs gestorben, zu meinem Vater habe ich keinen Kontakt. Ich hatte durch die Beerdigung meiner Mutter und meine Schauspielausbildung Schulden angehäuft und fühlte mich sehr traurig.

Dann kam Arno in mein Leben. Er lernte mich in der Weinbar kennen, in der ich gekellnert habe, und zeigte großes Interesse. Er kam häufig, brachte mich zum Lachen, machte mir viele Komplimente und hatte Geschenke für mich. Mein Leben war wieder schön. Er ist erfolgreicher Geschäftsmann und hat ein herrliches Leben, zumindest äußerlich. Ich kleidete mich anderes, zog auf seinen Wunsch zu ihm in seine luxuriöse Wohnung. So banal das klingt: Es war toll, keine Geldsorgen mehr zu haben. 

Nach einigen Wochen gab es die ersten merkwürdigen Dinge: Er hielt mich davon ab, meine Freunde zu treffen und machte sie schlecht. Nicht nur Männer, die angeblich alle mit mir ins Bett wollten, sondern auch meine Freundinnen. Wir trafen nur noch seine Bekannten, und er legte großen Wert darauf, mich vorzuzeigen. Er legte mir die Kleider raus, die ich anziehen sollte (immer sexy, kurze Röcke, weite Ausschnitte).  Nach ein paar Monaten schickte er mich zu einem befreundeten Schönheitschirurgen und ich ließ mir die Brüste und die Lippen machen.

Er übernahm immer mehr Kontrolle über mein Leben. Er war dagegen, dass ich kellnerte, obwohl ich die Kollegen mochte. Ich hörte auf, weil er sonst beleidigt war und tagelang nicht mit mir redete. Er erwartete, dass ich ihn zu seinen Unternehmungen begleitete und mehrmals die Woche abends mit ihm essen ging. Ehrlich gesagt brauchte ich dann die Tage, um ins Fitnessstudio zu gehen, damit ich nicht zunahm. Er liebte und begehrte meinen Körper, aber es gab auch Bedingungen dafür. Er sprach oft ganz abfällig über ältere Frauen (über 40) und über Frauen, die sich gehen ließen und ein paar Kilos zu viel hatten (und das heißt schon mehr als Kleidergröße 34). Bei Arno waren die schönen Seiten und die schlimmen Seiten dicht beieinander und konnten schnell wechseln. 

Einmal hat er mich einen Tag in einem Zimmer eingeschlossen, wobei er später behauptet hat, dass es aus Versehen passiert sei. Ich bin mir nicht sicher… Er geht häufiger für ein paar Tage weg und sagt mir nicht, wo er ist. Aus Andeutungen seiner Freunde glaube ich, dass auch Frauen im Spiel sind, ich habe das Wort "Escortgirl" häufiger aufgeschnappt. Er streitet das ab.

Seine Lust auf mich ist riesig, und ein Nein beim Sex gibt es nicht. Ich würde es aber auch nie so deutlich sagen, wenn ich nicht will. Er nimmt Viagra, und wenn er dann auf mich zugeht und so einen bestimmten Blick hat, dann weiß ich, dass es kein Entkommen gibt. Am Anfang habe ich mich begehrt und auserwählt gefühlt. Jetzt lasse ich es häufiger über mich ergehen oder versuche, ihn abzulenken oder auszuweichen. Er steht auf Analsex, was für mich sehr schmerzhaft ist. Wir reden nie darüber, was ich möchte.

Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass er mich total kontrolliert und dass ich eigentlich sein Leben lebe. Ich wohne in seiner Wohnung, gebe sein Geld aus, treffe mich mit seinen Kollegen und Bekannten, fahre mit ihm in die Hotels, die er auswählt. Und er bleibt ständig an mir dran. Wenn ich im Restaurant ans Buffet gehe, legt er mir die Hand auf den Po, haucht mir ins Ohr. Ich kann im Urlaub nicht in Ruhe lesen, weil er immer fernsehen will und ich mit ihm fernsehen soll. Und natürlich der Sex.

Es klingt absurd, aber auf der anderen Seite ist er auch wie ein Vater, den ich nie hatte. Er kümmert sich um mich, bezahlt meine Arztrechnungen und weiß, wo es lang geht im Leben. Ich glaube, ich bin nicht bereit zu gehen.

Irgendwo weiß ich, dass ich gehen müsste, aber ich habe Angst, dass er es nicht zulässt und ich weiß auch nicht wohin mit mir. Ich habe ja kein eigenes Leben mehr. Und gleichzeitig sehe ich in den letzten Wochen, wie er andere Frauen (alle jünger als ich) anschaut. Begierig. Er ist viel am Handy, versteckt aber, was er macht. Am Anfang war er nur auf mich konzentriert. So fing es eigentlich auch mit uns an, und mittlerweile weiß ich auch, dass er bei unserem Kennenlernen eine Freundin hatte, von der er sich dann getrennt hat.

Was soll ich bloß machen?

Viele Grüße

Elena T.

Liebe Elena T.,

als ich Ihre Geschichte gelesen habe, wurde mir etwas schwindlig. Es hört sich so an, als wenn Sie bei Arno in eine ziemlich gefährliche Falle geraten sind. Was am Anfang bei Arno wie eine Lösung Ihrer Probleme aussah, hat sich mittlerweile in das Gegenteil gedreht.

Am Anfang sah es vielleicht so aus, als wenn Arno Ihnen Freiheit ermöglicht. Jetzt sind Sie sehr unfrei und können nur das tun, was er möchte. Fast hört es sich so an, als wären Sie seine Gefangene. Er kontrolliert Ihre Bewegungen, er hat einen Keil zwischen Sie und Ihre Freunde und Ihr soziales Umfeld getrieben, so dass Sie alleine und dadurch geschwächt dastehen. Sie haben kein eigenes Geld, sondern sind auf seine Unterstützung angewiesen. Und er achtet darauf, stets die Kontrolle und die Oberhand zu haben.

Porträt Dr. Julia Peirano
© Kirsten Nijhof

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben. 

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Ich gehe davon aus, dass er sich absichtlich eine Freundin gesucht hat, die deutlich jünger ist und zudem gerade in einer Lebenskrise steckt und finanzielle Probleme hat. Bei der Konstellation sind die Machtverhältnisse von Anfang an klar, und er hat sie in der Beziehung noch weiter gefestigt.

Natürlich darf ich als Therapeutin keine Diagnosen bei Menschen stellen, die ich nicht persönlich gesehen habe. Dennoch finde ich es hilfreich, bestimmte diagnostische Merkmale vor Augen zu haben als Anhaltspunkt. Das Verhalten von Arno trägt Züge einer narzisstischen Störung. Er setzt anscheinend seine eigenen Interessen rücksichtslos durch, auch sexuell (!), duldet keine Widerworte und setzt bei solchen Manipulation ein. 

Er ist nicht partnerschaftlich und auf Augenhöhe. Das würde sich dadurch bemerkbar machen, dass er auch Ihre Interessen und Ihre Zukunft im Sinn hat und Sie dabei unterstützt, sich eine berufliche Zukunft aufzubauen. Statt dessen (be)nutzt er Sie, um eine Begleitung bei seinen eigenen Interessen zu haben, vor seinen Freunden anzugeben und natürlich für seine sexuellen Vorlieben.

Ich kann mir vorstellen, dass Sie durch die Beziehung traumatisiert worden sind. Deshalb meine Empfehlung, dass Sie sich eine Psychotherapeutin suchen, mit der Sie langfristig zusammen arbeiten können. Es gibt einige Themen bei Ihnen: die Krankheit und den Tod Ihrer Mutter, Ihre Rolle als vaterlose Tochter, Ihre berufliche Zukunft, Grenzen zu setzen und die Befreiung aus der Beziehung mit Arno. Wahrscheinlich wird es danach auch lange dauern, die Beziehung zu verarbeiten und die traumatischen Ereignisse zu bewältigen. So ein Missbrauch hinterlässt in der Regel Spuren.

Ich kann Ihnen erst einmal ein Buch empfehlen, in der eine Frau, Sonja R., in einer ähnlichen Beziehung leidet wie Sie. Das Buch wurde von ihrer Therapeutin Bärbel Wardetzki aufgrund ihrer Geschichte geschrieben:
"Und das soll Liebe sein? Wie es gelingt, sich aus einer narzisstischen Beziehung zu befreien" von Bärbel Wardetzki und Sonja R.

Aus meiner Sicht ist das vorrangige Problem, dass Sie völlig alleine mit Ihrer Situation dastehen. Der einzige, der an Ihrer Seite ist, ist Arno, und der wird Ihnen kaum dabei helfen, sich zu befreien. Aufgrund seiner Muster könnte es höchstens der Fall sein, dass er Sie durch eine jüngere Frau ersetzt. Aber das wäre für Ihr Selbstwertgefühl noch ein härterer Schlag. So nach dem Motto: Erst baut er mich auf, "verschönert" mich und holt sich alles, was er will - und dann legt er mich ab. Es wäre sicher für Sie der bessere Weg, wenn Sie sich vorher von ihm lösen.

Doch aus eigener Kraft wird das sehr schwer werden. Sie stehen ja sehr alleine da, und der einzige nahe Mensch ist Arno, der "Täter" selbst.  Gibt es denn noch einen Menschen, dem Sie vertrauen und der Ihre eigenen Werte kennt und vertritt? Wenn ja: Können Sie zu diesem Menschen Kontakt aufnehmen, ohne dass Arno es merkt? Können Sie sich ein Handy zulegen, von dem er nichts weiß? Können Sie gelegentlich alleine weggehen, ohne über Ihre Zeit Rechenschaft abzulegen?

Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Mut, um sich zu befreien!

Herzliche Grüße

Julia Peirano

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