Die richtige Dosierung ist bei Arzneimitteln wichtig, damit sie zuverlässig wirken können. Doch die Angaben auf dem Beipackzettel und beigelegten Messbechern oder Spritzen sind bei vielen rezeptfreien Medikamenten verwirrend und mangelhaft, wie eine Untersuchung zeigt. Dies könne leicht zu einer gefährlichen Überdosierung oder Unterdosierung führen, schreiben die Wissenschaftler um die Medizinerin H. Shonna Yin von der New York Universität im "Journal of the American Medical Association" (JAMA). Besonders Kinder sind gefährdet: Wissenschaftlern zufolge macht gut die Hälfte aller Eltern unfreiwillig Fehler, wenn sie ihren Schützlingen Medikamente verabreicht.
Für die Studie untersuchten die Ärzte die 200 in den USA gängigsten Medikamente für Kinder zur Behandlung von Erkältungen, grippalen Infekten, Allergien und Bauchschmerzen sowie die meistverkauften Schmerzmittel. Dabei handelte es sich um flüssige Präparate wie Säfte oder Tropfen, bei denen das Risiko einer falschen Dosierung besonders groß ist. Die Produkt-Palette umfasste nahezu den gesamten Markt der Flüssig-Medikamente, die für Kinder unter zwölf Jahren zugelassen sind.
Fehlende Messbecher
"Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Eltern häufig flüssige Medikamente für ihre Kinder fehlerhaft dosieren und sie so dem Risiko einer Unterdosierung oder einer Vergiftung aussetzen", schreibt Darren DeWalt von der University of North Carolina in einem die Studie begleitenden Editorial. Ein Problem, das auch der US-Arzneimittelbehörde FDA bekannt ist. Die Behörde hat daher im November 2009 Richtlinien für Herstellung, Marketing oder Vertrieb von diesen Medikamenten erlassen. Ihnen zufolge müssen rezeptfrei verkäufliche Flüssig-Medikamente unter anderem eine Dosierungshilfe enthalten; auch die Dosis sollte im Beipackzettel und auf dem Hilfsmittel immer in denselben Maßeinheiten angeben sein. Allerdings sind die Richtlinien nicht verpflichtend. An der Umsetzung mangelt es daher noch, wie die Studie zeigt.
Bei einem Viertel der untersuchten Medikamente fehlte eine Dosierhilfe wie ein kleiner Messbecher oder eine Spritze. War diese vorhanden, fanden die Wissenschaftler bei nahezu allen dieser übrigen 148 Produkte verwirrende Angaben: So unterschieden sich die Einheiten auf der Dosierhilfe und dem Beipackzettel. Bei einem Viertel fehlten die Markierungen auf dem Messbecher oder der Spritze komplett, andere enthielten überflüssige Angaben. Ein Beispiel: Bei einem Mittel waren die Dosierungen auf dem Becher neben der Markierung in Teelöffeln (englisch "teaspoon"; abgekürzt als tsp) und Millilitern, die empfohlene Einnahmedosis auf der Verpackung dagegen in Esslöffeln und Millilitern angegeben. Wer hier die gängige Abkürzung tsp nicht kennt oder sie mit tbsp (der Abkürzung für Esslöffel) verwechselt, kommt schnell ins Schleudern. "Das ist sehr verwirrend und erschwert es Eltern, ihren Kindern die richtige Dosis der Medizin zu verabreichen", kritisiert Studienautorin Yin.
Besser nicht mit Löffeln dosieren
Am häufigsten wurde die Dosis bei den untersuchten Medikamenten in Millilitern und Teelöffeln, seltener auch in Esslöffeln angegeben. Kommen dazu noch Kubikzentimeter oder Milligramm, wird es unübersichtlich. Für zusätzliche Verwirrung bei der Einnahme von Medikamenten sorgen auch Abkürzungen, die nicht erklärt werden. Gefährlich zudem: Einige der Medikamente, bei denen die Dosis kleiner als eins war, setzten vor den Punkt keine Null. Das könne schnell dazu führen, dass statt der empfohlenen die zehnfache Dosis des Medikaments verabreicht wird, warnen die Wissenschaftler. Um das gefährliche Wirrwarr zu beenden, fordern Yin und ihre Kollegen eine Standardisierung der Maßeinheiten, der verwendeten Abkürzungen und der numerischen Darstellung der Dosis.
"Auch in Deutschland ist das Problem bekannt", sagt Reinhard Berner vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin der Uniklinik Freiburg und Experte des stern.de-Ratgebers Kindergesundheit. "Idealerweise ist bei flüssigen Medikamenten die Mengenangabe in Millilitern angegeben und die Hersteller liefern eine Dosierhilfe, zum Beispiel eine Pipette, mit dazu, mit der diese Menge genau abgemessen werden kann." Die Mengenangabe in Löffeln sei zwar nah an der Lebenswelt der Verbraucher, aber "nutzlos", da ungenau. Zum einen ist Löffel nicht gleich Löffel, denn die Größe des Bestecks variiert je nach Haushalt. Daneben gibt es laut Berner noch ein anderes Problem: Jeder füllt den Löffel unterschiedlich.
"Pharmafirmen geben Hunderte Millionen Dollar aus, um Medikamente zu entwickeln, zu testen und sicherzustellen, dass diese wirken und ungefährlich sind. Viel Arbeit wird dabei darauf verwendet, die richtige Dosis zu ermitteln", schreibt DeWalt im Editorial. "Relativ wenig Ressourcen wurden allerdings in klare Dosierungsanleitungen gesteckt, die sicherstellen, dass die Medikamente richtig eingenommen werden." Doch das effizienteste Medikament versage, wenn es Patienten oder Ärzten nicht korrekt dosieren.