Vorstoß der WHO Jeder Sechste auf der Welt ist unfruchtbar – jetzt sollen Kinderwunschbehandlungen bezahlbarer werden

Frau mit Schwangerschaftest
Wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt, kann das zur Tortur werden.
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Wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt, versuchen es mehr und mehr mit Fertilitätsbehandlungen. Aber die sind teuer – für viele Paare zu teuer. Die Weltgesundheitsorganisation will das jetzt ändern.

Wir werden immer weniger. Vor allem in Europa und Asien, in Ländern wie Italien, Portugal, Rumänien und sogar in China, sterben mehr Menschen, als neue geboren werden. Auch in Deutschland ist die Geburtenrate seit Jahrzehnten rückläufig. 2022 wurden hierzulande laut Statistischem Bundesamt 6,6 Prozent weniger Kinder geboren als im Vergleichszeitraum 2019 bis 2021 im Durchschnitt. Eine einfache Erklärung für das Sinken der Geburtenrate gibt es nicht, die Gründe sind vielfältig – Unfruchtbarkeit ist einer.

Einem neuen Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge ist jeder sechste Mensch auf der Welt biologisch nicht (oder nur erschwert) in der Lage, Kinder zu zeugen. Unterschiede zwischen reichen und armen Ländern gebe es dabei praktisch keine. Die WHO spricht von Unfruchtbarkeit, wenn auch bei regelmäßigem, ungeschütztem Geschlechtsverkehr über einen längeren Zeitraum – ein Jahr oder länger – keine Schwangerschaft zustande kommt. Die Organisation strebt daher an, Kinderwunschbehandlungen bezahlbarer und damit zugänglicher zu machen.

Künstliche Befruchtung für viele unbezahlbar

Unfruchtbarkeit könne zu erheblichen Qualen und Stigmata führen und die mentale Gesundheit der Menschen angreifen. Dennoch sei es für viele Menschen unerschwinglich, sich einer künstlichen Befruchtung zu unterziehen. Oft würden solche Dienste in erreichbarer Nähe auch schlicht nicht angeboten. Die Behandlungen seien teuer und müssten in den meisten Ländern größtenteils aus eigener Tasche bezahlt werden.

Auch in Deutschland ist die Problematik bekannt. Das Familienministerium (BMFSFJ) berichtet, dass fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren hierzulande ungewollt kinderlos ist. Da die reproduktionsmedizinische Behandlung für Betroffene nicht nur finanziell, sondern auch körperlich und seelisch eine Belastung darstelle, hat das Ministerium eine Initiative gestartet. Sie hat das Ziel, Paare mit Kinderwunsch finanziell zu unterstützen. Die Förderung ist allerdings an Bedingungen geknüpft. Eine davon ist, dass die Frau nicht älter als 40 Jahre, der Mann nicht älter als 50 Jahre sein darf.

Ein Problem, denn tatsächlich suchen immer mehr Frauen über 40 Jahren in Kinderwunschkliniken Hilfe. Waren es 2011 noch rund 8000 Frauen aus dieser Altersgruppe, lag die Zahl zehn Jahre später bereits bei mehr als 12.600 Patientinnen. "Die Zahlen steigen nicht exorbitant, aber es ist ein Trend zu spüren", sagte Andreas Tandler-Schneider, Vorstandsmitglied im Deutschen IVF-Register, das Daten über Behandlungen aus mehr als 130 Kinderwunschzentren bundesweit zusammenträgt, der Deutschen Presse-Agentur. Oft seien die Frauen überrascht darüber, wie schlecht die Aussichten auf ein Baby trotz reproduktionsmedizinscher Hilfe seien.

Zu wenig Wissen über Fruchtbarkeitsfenster

Frauen haben weniger Zeit Kinder zu bekommen als Männer. Während Männer immer wieder neue Spermien bilden, werden Frauen bereits mit einer gewissen Anzahl Eizellen geboren, weitere werden im Laufe des Lebens nicht produziert. Diese Zahl an Eizellen nimmt ab der Geburt kontinuierlich ab. Sind es anfänglich rund eine Million Eizellen, sind es zu Beginn der Pubertät nur noch etwa 300.000. Ab etwa 35 sinkt zudem auch die Qualität der noch vorhandenen Eizellen. Bereits mit 40 ist die Eizellreserve bei einer von 100 Frauen erschöpft. Daher können viele Frauen schon Jahre vor der Menopause, deren Einsetzen eine Schwangerschaft in der Regel endgültig unmöglich macht, keine Kinder mehr bekommen.  

Bei Männern gibt es einen solchen Fixpunkt nicht. Aus biologischer Sicht werden sie nicht zeugungsunfähig. Aber auch ihr Zeitfenster, in dem sie Kinder zeugen können, ist begrenzt. Das Fruchtbarkeitsfenster von Männern beginnt sich ab etwa 40 Jahren zu schließen – wie schnell, das ist von Mann zu Mann verschieden. Einfluss darauf hat unter anderem der Lebensstil. Abträglich für die Fruchtbarkeit können das Rauchen, zu viel Alkohol, Cannabis, Leistungssport und Wärme sein. Bewiesen ist, dass im Alter der Mann, ist er gesund, zwar weiterhin Spermien produziert, deren Qualität aber schlechter wird. Zu allem Übel werden die Spermatozoen träge. Sie bewegen sich weniger und verlieren an Geschwindigkeit. 

Die WHO plädiert dafür, dass überall mehr Hilfe für ungewollt unfruchtbare Menschen zu tragbaren Kosten zur Verfügung gestellt wird. "Die schiere Zahl der Betroffenen zeigt, dass der Zugang zu Fertilitätsbehandlungen ausgeweitet werden muss und dass dieses Thema in der Gesundheitsforschung und -politik nicht länger verdrängt werden darf, damit sichere, wirksame und erschwingliche Wege zur Elternschaft für alle, die dies wünschen, zur Verfügung stehen", sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Die WHO hat für diesen Bericht 133 aus weltweit mehr als 12.000 Studien zwischen 1990 und 2021 ausgewählt und ausgewertet.

Quelle: BMFSFJ, Bundesförderrichtlinie, mit Material der dpa

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